Hamburg. Am Wilhelmsburger Krankenhaus Groß-Sand arbeiten die Pflegekräfte nach einem speziellen Modell. Worauf es dabei ankommt.
Prioritäten zu setzen ist in jedem Job wichtig. Das gilt ganz besonders, wenn es darum geht, andere Menschen zu versorgen. Zu erkennen, was ein Patient in diesem Moment am dringendsten benötigt, ist wohl eine der Hauptaufgaben für Pflegekräfte im Krankenhaus.
„Ich werde nie alles schaffen können“, sagt Bianca Schmidt-Maciejewski. „Darum muss ich beachten, was wirklich wichtig ist – und zwar das zu tun, was der Patient gerade braucht.“ Die 51-Jährige leitet die Stabsstelle Pflegekompetenz am Wilhelmsburger Krankenhaus Groß-Sand und ist sowohl in der Wissenschaft, der Aus- und Weiterbildung von Kollegen sowie weiterhin selbst am Patientenbett tätig. Sie weiß also, was Pflege heute leisten muss – und welche Bedeutung diese für das Wohlergehen des Patienten hat.
Klinik Hamburg: Warum das Krankenhaus Groß-Sand Biografien erstellt
Denn ganz abgesehen von der jeweiligen Erkrankung ist Patient nicht gleich Patient. Die Menschen, die in ein Krankenhaus kommen, unterscheiden sich voneinander. Die einen haben gerne Menschen um sich und unterhalten sich viel, die anderen brauchen eher Ruhe, die einen sind stets aktiv, andere haben bestimmte Einschränkungen, jeder Mensch hat bestimmte Gewohnheiten, legt Wert auf bestimmte Rituale, empfindet andere Dinge als besonders wichtig, hat eigene Wünsche. Das gilt für den Alltag genauso wie für die Zeit in einer Klinik.
Deshalb erheben Bianca Schmidt-Maciejewski und ihre Kolleginnen und Kollegen für jeden Patienten eine Biografie. Mal ausführlicher, in akuten Bereichen auch nur kurz und knapp. Doch immer so, dass sie die Pflege entsprechend der individuellen Bedürfnisse planen und entsprechende Pflegeziele festlegen können.
Pflegemodell: So viel Hilfe wie nötig, so wenig wie möglich
Bianca Schmidt-Maciejewski nennt ein Beispiel: „Ist jemand ein sehr kommunikativer Mensch und hat durch einen Schlaganfall seine Sprache verloren, dann müssen wir natürlich schauen, wie wir damit umgehen und diese Einschränkung in die eigentliche Lebenswelt des Patienten einbinden können“, sagt die studierte Pflegeexpertin. „Neben der pflegerischen Aufgabe und der medizinischen Versorgung ist es also auch immer unsere Aufgabe zu gucken, wie wir den Patienten individuell unterstützen können.“
Die konkreten Pflegemaßnahmen würden in kurzen Zeitabständen evaluiert, um zu sehen, ob man auf dem richtigen Weg sei oder ob sich die Bedarfe des Patienten verändert hätten. Wichtig sei dabei, den Menschen zwar so viel Hilfe wie nötig, aber dennoch so wenig wie möglich zu geben, damit die vorhandenen Fähigkeiten des Patienten nicht weiter abnehmen. Schließlich ist das Ziel der Pflege, dass die Menschen schnellstmöglich wieder selbstständig sein können.
In Groß-Sand arbeitet die Pflege nach dem Modell von Monika Krohwinkel
Das Konzept in Groß-Sand, sich an den Ressourcen des jeweiligen Patienten zu orientieren und daraufhin die Pflege zu planen, orientiert sich an dem Modell der Pflegewissenschaftlerin Monika Krohwinkel. Den Bereich der Pflege wissenschaftlich voranzutreiben ist auch Bianca Schmidt-Maciejewski ein besonderes Anliegen.
Warum die Biografie des Patienten im Krankenhaus wichtig ist
„Im Gegensatz zur Medizin ist die Pflegewissenschaft noch ein relativ neues Feld“, sagt die sogenannte Advanced Practice Nurse. „Es gibt hier noch ganz viele Handlungsabläufe, die gar nicht erfasst oder untersucht sind.“ Dabei sei die Pflege eine eigene Berufsgruppe mit eigenen Fragestellungen, die untersucht und mit Evidenzen untermauert werden müssten.
Die Pflegeexpertin hat eine Therapie des Pusher-Syndroms untersucht
Bianca Schmidt-Maciejewski nennt wieder ein Beispiel: „In meiner Masterthesis habe ich zu einer Komplikation geforscht, die nach einem Schlaganfall auftritt, das sogenannte Pusher-Syndrom“, erklärt die Pflegeexpertin. Dabei drücken die Betroffenen ihren Körper zur gelähmten Seite, weil sie das Gefühl haben, zur nicht gelähmten Seite zu fallen – was therapeutische Maßnahmen schwer bis unmöglich macht.
„Ich habe deshalb untersucht, ob eine bestimmte Ausstreichung des Körpers helfen kann, die Fallneigung der Betroffenen zu minimieren, und hatte sehr signifikante Ergebnisse“, sagt Schmidt-Maciejewski. Mithilfe der Ausstreichung modelliere man quasi den Körper mit druckvollen, fließenden Bewegungen von der weniger betroffenen Seite hin zur gelähmten Seite nach, um die Wahrnehmung auf diese Seite zu übertragen.
Pflegekräfte sehen den ganzen Menschen – und sind 24 Stunden da
„Das ist zum Beispiel etwas, das Mediziner gar nicht untersuchen würden, weil diese einfach einen ganz anderen Schwerpunkt haben“, so die Pflegekraft.
Doch gerade in so einem Punkt zeige sich das Alleinstellungsmerkmal der Pflege: die ganzheitliche Arbeit. „Wir sehen immer den ganzen Menschen, wir sehen die Ressourcen, wir sehen die Bedürfnisse und Bedarfe, und wir sind 24 Stunden da“, sagt Bianca Schmidt-Maciejewski, die schwerpunktmäßig für den Intensivbereich und die neurologische Frührehabilitation zuständig ist. Die Pflege greife ins therapeutische und medizinische hinein – und biete zudem zahlreiche Weiterbildungsmöglichkeiten.
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Bianca Schmidt-Maciejewski erklärt die Wege in die Pflege: Zum einen gebe es die klassische, dreijährige Berufsausbildung. Diese sei generalistisch möglich, das heißt, Kinderkrankenpflege, Altenpflege und die klassische Krankenpflege sind zusammengefasst. Danach könne man prinzipiell überall arbeiten. Es gebe aber auch die Möglichkeit, sich mit einer zusätzlichen zweijährigen Weiterbildung auf ein Fachgebiet zu spezialisieren.
Krankenhaus Hamburg: Wer in die Pflege geht, hat zahlreiche Möglichkeiten
Zum anderen können angehende Pflegekräfte ein duales Studium absolvieren und dieses mit einem Bachelor oder einem Master abschließen. Auch hier gebe es im Anschluss zahlreiche Fort- und Weiterbildungsangebote. Es gebe auch die Möglichkeit, Pflegepädagogik oder Pflege-Management zu studieren. „Theoretisch kann man auch promovieren und dann wirklich die rein wissenschaftliche Laufbahn einschlagen“, sagt Schmidt-Maciejewski.
Wenngleich sich Bianca Schmidt-Maciejewski aktuell selbst in Vorbereitung ihres Promotionsvorhabens befindet, kommt eine rein wissenschaftliche Laufbahn für sie nicht infrage. „Mir macht die Arbeit am Patientenbett einfach unglaublich viel Freude“, sagt die Expertin von der KlinikGroß-Sand in Wilhelmsburg. Das sei schließlich auch der Grund dafür gewesen, den Beruf zu ergreifen. Außerdem sei sie „tief davon überzeugt“, dass es sowohl für ihre Rolle als Lehrende als auch für ihre wissenschaftliche Tätigkeit enorm wichtig sei, die Fragestellungen aus der Praxis zu bekommen. „Für mich geht das Hand in Hand.“