Hamburg. Nach Großbrand blickt Ex-Ortspolitiker zurück – und erhebt Vorwürfe. Wie die Lage derzeit in Rothenburgsort und Umgebung ist.

Mehr als eine Woche nach dem Großfeuer an der Billstraße sind die letzten Brandnester gelöscht. Besonderen Ärger machte der Feuerwehr ein Container, in dem Kirschkernkissen in Fuchs- und Otterform waren. Er war zuletzt aus den einsturzgefährdeten Trümmern gezogen worden.

Weiterhin unklar ist jedoch die Brandursache. Ermittler des Landeskriminalamtes hatten deshalb die Abriss- und Aufräumarbeiten begleitet, um Spuren zu sichern.

Großbrand in Hamburg: Billstraße – „Man hat einfach nur weggeschaut“

Wie groß die Gefahr ist, die von dem Feuer und dem rund 17.000 Quadratmeter großen Hallenkomplex ausgeht, war lange unklar. Bis Freitag war das Gelände abgesichert, damit niemand den Trümmern zu nahe kommt. Der Grund: Es war Asbest unter den Überresten vermutet worden.

Eine Befürchtung, die laut Feuerwehr erst am Freitag entkräftet werden konnte. Die lange Suche nach gefährlichen Stoffen offenbart auch, das wohl niemand einen wirklichen Überblick über die – oft als chaotisch beschriebenen – Zustände in dem Industriegebiet hatte.

Billstraße: Wurden Hinweise zu chaotischen Zuständen ignoriert?

Das sei, meint Axel Bieder, ehemaliges Mitglied im Ortsausschuss Rothenburgsort, eine Entwicklung, auf die lange hingewiesen wurde, die jedoch von der Verwaltung ignoriert worden sei. „Anfang der 1990er-Jahre hat die negative Entwicklung dort begonnen“, sagt Bieder.

Damals zog in das Gebiet, das von Kontorhäusern und Backsteingebäuden geprägt gewesen sei, eine Veranstaltungshalle für Feiern von Großfamilien. Dann kamen eine Hindu-Gemeinde mit Tempel und immer mehr Händler hinzu. „Uns als Ortsausschuss wurde das als eine ganz tolle Sache verkauft“, erinnert sich der SPD-Mann. „Wir haben aber von Anfang an die Verwaltung darauf hingewiesen, dass man schon sehr genau hinschauen solle, was dort passiert.“

Über neue Nutzungen sei man erst nachträglich, später gar nicht mehr, von der Verwaltung informiert worden. „Es gab viele Anfragen und Anträge“, sagt Bieder. „Passiert ist aber nichts. Man hat einfach nur weggeschaut.“

Hamburg-Rothenburgsort: Alte Waschmaschinen werden exportiert

Dabei werde dort „viel Geld“ mit alten Waschmaschinen oder Reifen gemacht, die nicht mehr den Standards einer Wohlstandsgesellschaft entsprechen und deshalb nach Afrika und in den Nahen Osten verkauft werden. „Was sich dort entwickelt hat, war schon eine Katastrophe hoch drei, als ich 2009 wegzog“, so Bieder.

Mit den Folgen kämpft das Bezirksamt Mitte, das bereits vor dem Brand angesichts der Zustände einen Masterplan 2035 entworfen hat. Dieser soll eine „Rückentwicklung“ der Gegend in ein Industriegebiet gewährleisten. Dazu will die Stadt auch das Vorkaufsrecht für Grundstücke ausüben.

Hamburger Umweltbehörde warnte vor Wasserkontakt

So wusste niemand genau, was alles in den Hallen, von verschiedenen Nutzern gelagert wurde, was für Materialien verbaut sind, welche Stoffe durch das Feuer freigesetzt wurden. Als Löschwasser in den Billekanal floss, schickte die Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft eine Warnmeldung heraus.

Wer in den Stadtteilen Rothenburgsort, Hammerbrook und Billbrook lebt, sollte Kontakt mit dem Wasser vermeiden. Billewasser sollte zudem nicht für Gärten genutzt werden und auch Hundebesitzer wurden davor gewarnt, ihre vierbeinigen Lieblinge ins Wasser zu lassen.

Nach dem Großbrand in Hamburg-Rothenburgsort  warnte die Umweltbehörde vor dem Wasser aus der Bille.
Nach dem Großbrand in Hamburg-Rothenburgsort warnte die Umweltbehörde vor dem Wasser aus der Bille. © IMAGO/Joerg Boethling | IMAGO/Jörg Böthling

Die Behörde ließ als Sofortmaßnahme mehrere Hundert Meter Adsorbersperren im Billekanal sowie den angrenzenden Gewässern auslegen.

Zudem wurden die Gewässer gesperrt, weil man auch eine Woche nach dem Großbrand nicht genau wusste, wie gefährlich die Situation ist und auf der Oberfläche schwimmendes Öl nicht verbreitet werden sollte. Diese Sperrung wurde mittlerweile aufgehoben. Vom Kontakt mit dem Wasser wird jedoch weiterhin abgeraten.

Großbrand in Hamburg war größtes Feuer seit 2012

Der Brand, der am Ostersonntag am frühen Morgen ausbrach, war der größte Brand in Hamburg seit 2012. Damals war an der Nartenstraße im Binnenhafen Harburg eine 3000 Quadratmeter große Halle, in der Kautschuk gelagert wurde, in Flammen aufgegangen. An der Billstraße war die Fläche, auf der es brannte, ungleich größer.

Die Feuerwehr hatte zu den Löscharbeiten in der Spitze rund 220 Einsatzkräfte gleichzeitig vor Ort. 1046 Feuerwehrleute aus ganz Hamburg, einige mehrfach, waren an den tagelangen Löscharbeiten beteiligt.

Seit vergangenem Donnerstag war die Feuerwehr unterstützend an der Billstraße tätig, nachdem der Abriss der stehen gebliebenen Teile der Halle von den Eigentümern an ein Spezialunternehmen vergeben worden war. Zuvor hatte das Bezirksamt Mitte gegen sie eine Abbruch- und Beseitigungsverfügung erlassen, wonach die Gebäudereste vollständig zurückzubauen und zu entsorgen sind.

Hamburg-Rothenburgsort: Zusatzreinigung aller Grünanlagen

Für betroffene und verunsicherte Hamburger aus angrenzenden Stadtteilen hat das Bezirksamt Mitte derweil unter der Telefonnummer 040/428 54–47 77 eine Hotline eingerichtet. So will man insbesondere eine unkomplizierte Beratung und Klärung von Anliegen durch die bezirklichen Fachämter für Gesundheit und Verbraucherschutz ermöglichen.

Zudem ist die Stadtreinigung Hamburg mit einer Zusatzreinigung aller Grünanlagen und öffentlicher Spielplätze beauftragt, die in unmittelbarer Umgebung von drei Kilometern liegen. Die Reinigungsarbeiten beginnen am Dienstag und sollen die zusätzlichen Verunreinigungen bis zum Wochenende beseitigt haben, heißt es vom Bezirksamt Hamburg-Mitte.