Hamburg. Leiterin des Museums für Kunst und Gewerbe warnt: „So verbaut Hamburg seine Zukunft“. Pariser Architekt stellt Gegenentwurf vor.
Bauprojekte an Deutschlands Bahnhöfen sind Operationen am offenen Herzen – zum einen muss es darum gehen, ihre Funktionen auch in den heißen Bauphasen zu gewährleisten, zum anderen sind Bahnhöfe Bauten von besonderem Interesse. Weil ein jeder sie kennt und nutzt, hat auch ein jeder seine Meinung. Besonders deutlich wurde dies am Streitfall Stuttgart 21, der seit Jahren erst eine Stadt und eine Region, am Ende fast die halbe Nation spaltete. Auch der Streit um die Bahnhofsverlagerung aus dem Herzen Altonas nach Diebsteich ist inzwischen ein überregionaler Aufreger.
Da nimmt sich die Debatte um den Ausbau des Hamburger Hauptbahnhofs fast leise aus – oder setzt sie wie in Stuttgart oder Altona erst mit Verzögerung ein? Fakt ist: Der Verkehrsknotenpunkt muss ausgebaut werden – mit mehr als einer halben Million Nutzern pro Tag ist nur der Gare de Lyon in Paris auf dem Kontinent stärker frequentiert.
Hamburg Hauptbahnhof: Museumsdirektorin kritisiert Pläne
Bahn und Stadt wollen die Kapazitäten nun deutlich erhöhen. Im Dezember 2021 wurde ein städtebaulich-freiraumplanerischer Planungswettbewerb abgeschlossen, den bof Architekten aus Hamburg in Zusammenarbeit mit den Landschaftsarchitekten hutterreimann aus Berlin gewannen. Er sieht eine zweite Halle quer zur bestehenden vor, die den Süden erschließt. Zudem ist eine Erweiterung bis weit auf den Hachmannplatz mit überdachter Passage und Geschäften geplant. Inzwischen tagte eine Planungswerkstatt, die Bürger wurden online zum Mittun aufgerufen.
Unglücklich mit den Planungen ist Tulga Beyerle. Die Designerin und Leiterin des benachbarten Museums für Kunst und Gewerbe warnt, dass sich Hamburg am Hauptbahnhof seine Zukunft verbaut. „In Zeiten des Klimawandels, der Stadtveränderung, der Mobilitätswende muss sich der Ausbau auf verkehrliche Fragen konzentrieren und nicht um die maximale Verwertung des Raumes“, sagt sie dem Abendblatt. Die Museumsdirektorin warnt vor einer Zerstörung des prächtigen Bahnhofbaus, den die Architekten Heinrich Reinhardt und Georg Süßenguth 1900 entwarfen. „Sollte der Umbau so kommen, wird von diesem Bau nicht mehr viel zu erkennen sein“, warnt Beyerle. „So verbaut sich Hamburg seine Zukunft.“
Hamburg Hauptbahnhof: Erweiterung nimmt der Stadt Raum für Freiflächen
Der Bau ist ein Zitat des „Palais des Machines“ der Pariser Weltausstellung von 1889 – die 76 Meter hohe freitragende Halle gilt als Meisterwerk. Beyerle glaubt nicht den Versprechen eines „gläsernen“ Anbaus, der auf den Renderings zu erkennen ist. Die Erweiterung nehme der Stadt zudem Raum für notwendige Freiflächen, er beraube Hamburg vieler Optionen. „Das ist das Falscheste, was man jetzt machen kann.“ Ihr Haus, das Museum für Kunst und Gewerbe, werde durch den Ausbau isoliert und abgeschnitten. Sie bedauert, dass Entwürfe wie der des Pariser Architekten Hans Michael Földeak gleich in der ersten Runde aus dem Wettbewerb herausgeflogen sind.
Tatsächlich hatte sich das Pariser Büro fbcc einige „Freiheiten genommen“, die die Ausschreibung nicht vorsah. So verzichtet Földeaks Büro auf den vorgesehenen Hochbau und will den 70er-Jahre Anbau im Südosten, die so genannte Keksdose, erhalten. Dabei möchte die Bahn rund 20.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche schaffen, um die Rentabilität des Baus sicher zu stellen. Földeak hat Zweifel: „Der Bereich am Hauptbahnhof ist aufgrund seiner Komplexität nur sehr teuer zu bebauen.“ Er fürchtet, dass sowohl der Bahnverkehr als auch das städtische Umfeld durch so eine Baustelle lange Zeit litten.
Hamburger Hauptbahnhof: Der Architekt schätzt räumliches Potenzial des Bestandsbaus
„Deshalb haben wir uns entschlossen, nachzuhaken“, sagt der Deutsche, der seit langem in Frankreich arbeitet und auf Infrastrukturprojekte spezialisiert ist. „Wir konnten die Jury nicht überzeugen, aber einige in Hamburg.“ So hat der Architektursalon Földeak zum Salongespräch am 14. März eingeladen. Zudem stellt er sein Modell des Hauptbahnhofs in der Zentralbibliothek aus. Földeak betont, es sei möglich, funktionale Anforderungen an den Verkehrsknotenpunkt und städtebauliche Anforderungen des Quartiers zu verknüpfen.
Der Architekt schätzt das räumliche Potenzial des Bestandsbaus viel positiver ein und will es ertüchtigen statt ein weiteres abgekoppeltes Gebäude neu zu bauen. Zudem sei das zentrale Thema – der Umstieg zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern – im Wettbewerb zu kurz gekommen.
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Földeak schlägt vor, den Bahnhof Richtung Süden neu zu gestalten und ihm eine funktionale Symmetrie zu verleihen. So soll ein Umgang geschaffen werden, welcher Nord- mit Südsteg ebenerdig verbindet und neue direkte Zugänge westlich am Steintorwall und östlich an der Kirchenallee schafft. Ein neuer Mittelsteg ermöglicht zusätzliche Treppen zu allen Bahnsteigen. Ein neuer Südeingang mit Pavillon und Reisezentrum an der Steintorbrücke soll die Leistungsfähigkeit zusätzlich erhöhen. Ein Balkon auf der Südseite der Steintorbrücke könnte den Bahnhof besser in die Wallanlagen integrieren und einen Vorplatz für das MKG bilden. Die vorhandenen Arkaden im Bahnhof sollen geöffnet und bespielt werden, etwa als Fahrradstellplätze, für Geschäfte und Verwaltung,
"Der Hamburger Hauptbahnhof ist ein Meisterwerk"
„Der Hamburger Hauptbahnhof mit seiner Größe, der leichten Krümmung und seiner Filigranität ist ein Meisterwerk. Der erhöhte Blick von den Stegen auf die Kasematten hat eine einzigartige räumliche Qualität“, lobt Földeak. Mit seinem Entwurf ließe sich der einzigartige Blick auf die Südfassade erhalten. „Wir glauben, dass ein so prominenter Ort wie dieser die Möglichkeit bietet für eine professionelle und progressive Debatte.“
Am 14. März soll ein Anfang gemacht werden. Um 18 Uhr diskutierten im Architektur-Salon (Bei den Mühren 70) Hans Michael Foeldeak, Tulga Beyerle, Ingrid Breckner von der HafenCity Universität und Matthias Scholz von SSF Ingenieure aus München. Anmeldung im Internet.