Als Bertelsmann in dieser Woche Gruner + Jahr endgültig zerschlug, musste ich an Adorno denken

Es ist ein Alptraum – und eine Groteske zugleich: RTL hat Gruner + Jahr, den früheren Stolz des Medienstandorts Hamburgs, nicht nur filetiert, es hat ihn verschluckt und verdaut, verraten und verkauft. Wie eine Heuschrecke ist Thomas Rabe, als CEO von RTL und Bertelsmann in Personalunion, über das Hamburger Verlagshaus hergefallen.

Was werthaltig war wie das Einhorn Applike wurde aus dem Gruner + Jahr-Portfolio herausgelöst und bei Bertelsmann Invests angesiedelt. Solange die Gewinne sprudelten, ließ man die Kollegen in Hamburg in Ruhe. In dem Moment aber, in dem die gedruckten Magazine wegen der Anzeigen-, Energie - und Kostenkrise ins Minus rutschen, dürfen sie sterben gehen. Für rund 1000 Beschäftigte und ihre Familien beginnen unruhige Zeiten. Der Plot klingt nach Trash-TV. Leider ist er wahr.

Gruner + Jahr hielt Bertelsmann auf Kurs

Jahrzehntelang hatte das stolze Verlagshaus seine Millionengewinne nach Gütersloh überwiesen, in schweren Zeiten die schlingernde Mutter Bertelsmann auf Kurs gehalten. „In guten wie in schlechten Zeiten“ klingt zwar verdächtig nach einer Seifenoper von RTL, ist aber nicht mehr Unternehmenspolitik.

„Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehen“, möchte man rufen. Das würde man bei RTL nur nicht verstehen, weil man das Wort „Mohr“ politisch korrekt niemals aussprechen würde. Und von Schiller vermutlich auch noch nie etwas gehört hat, außer in Zusammenhang mit der Schillerstraße. Aber die lief ja auf Sat1.

Gruner + Jahr: „Stern“, „Geo“ & Co. setzten Maßstäbe

Ich gebe zu, dass sind zornige Zeilen. Denn ich bin zornig. Gruner + Jahr war und ist weder Schraubenfabrik noch Strumpffertigung, sondern ein journalistisches Haus. Das ist für eine Demokratie elementar. Am Baumwall wurde über die Jahrzehnte sehr guter Journalismus gemacht. Die Umweltbewegung der Achtzigerjahre ist ohne „Stern“ und „Geo“ kaum denkbar – die Autoren haben Millionen Leser über das Waldsterben, den Klimawandel und verdreckte Flüsse informiert.

Der „Stern“ war es, der 1971 mit dem Titel „Wir haben abgetrieben“ einen Tabubruch wagte und zugleich die Gesellschaft aufklärte. 1976 startete die „Brigitte“ die Aktion „Wählt Frauen“ und half, den Bundestag weiblicher zu machen. Das Geo-Buch „Zur Lage der Nation“ – einer der Verfasser war Fritz Vahrenholt und wurde später Hamburger Umweltsenator – listete akribisch auf, welche ökologische Sünden die deutschen Landkreise begangen hatten. Ein Meilenstein für die Umweltarbeit vor Ort. Das sind auch Kindheitserinnerungen: Einmal im Monat nahm Geo meine Familie aus der norddeutschen Tiefebene mit in die weite Welt.

Journalismus passt bei RTL nicht ins Format

Und RTL? Entführte die Zuschauer in die Brachen des Seichten. Erika Berger, Dschungelcamp, Bauer sucht Frau, Deutschland sucht den Superstar, Bachelor und Bachelorette, Love Island. Ich bin ein Star – Holt mich hier raus. Das Sommerhaus der Stars.

Meisterwerke des Medienschaffens. Da ahnte man schon, dass die Synergiesuche zwischen RTL und Gruner + Jahr nicht ganz einfach werden würde. Inzwischen haben die Manager erkannt, dass es sie nicht gibt. Dieser Journalismus passt nicht ins Format.

Titel von Gruner + Jahr nur noch „Ramschware“?

Nun muss sich CEO Rabe viel böse Kritik anhören. Er hat die Belegschaft getäuscht, jedes Gespür für seine Leute und das Erbe des Hauses vermissen lassen. Vor allem aber fehlt ihm jede journalistische Idee. Natürlich kann es betriebswirtschaftlich geboten sein, chronisch defizitäre Titel einzustellen, auch Sparprogramme aufzulegen. Aber Zerstören ist weder sanieren noch kreativ.

„Ich bedauere es, dass Gruner + Jahr, einst ein Juwel in der Krone von Bertelsmann, aus der Sicht eines gelernten CFO, der offenbar mehr gejoggt als gelesen hat, derart als Ramschware empfunden wird“, zürnte nun Peter-Matthias Gaede, 20 Jahre lang Geo-Chefredakteur, im Branchendienst „kress“.

Gruner + Jahr: Weder vergnügt, noch einverstanden

Wie heißt es auf der RTL-Seite: „Die Kreativität und Motivation unserer Mitarbeiter:innen sind maßgeblich für unseren Erfolg, weshalb RTL großen Wert auf Diversity, Equity & Inclusion (DEI), faire Arbeitsbedingungen, Gesundheit, Sicherheit und Wohlbefinden sowie eine Kultur der Innovation, Transparenz und Wertschätzung legt.“

Da fragen Sie mal in Hamburg nach – aber wo gegendert wird, liegt das Gute sicher nah. Vielleicht hat Theodor Adorno mit seiner Abrechnung der Kulturindustrie doch recht: „Vergnügtsein heißt Einverstandensein.“ Ich bin weder vergnügt. Noch einverstanden.