Hamburg. Elbtower, Billebogen, Grasbrook – hier wird an der Zukunft gebaut. Schon jetzt ist klar: Viertel wird nicht wiederzuerkennen sein.
Die gläserne Verbindungsbrücke zwischen U- und S-Bahn-Station Elbbrücken liegt objektiv betrachtet ziemlich genau in Hamburgs Zentrum. Man könnte also durchaus behaupten, dass es das Herz der Stadt ist, das sich mit dem Rahmenplan Stadteingang Elbbrücken und der Neubebauung des Grasbrooks gewaltig verändern wird. Was wird man sehen, wenn man sich hier in 15 Jahren umblickt? Nach einer Fahrradinformationstour mit Oberbaudirektor Franz-Josef Höing und HafenCity-Geschäftsführer Andreas Kleinau steht fest: Das Entrée Hamburgs wird nicht wiederzuerkennen sein.
Das 161 Hektar große Areal umfasst vier Bereiche: die östliche HafenCity rund um den Amerigo-Vespucci-Platz mit dem Elbtower (Elbbrückenquartier), Rothenburgsort von den Autobahnohren bis zum Billekanal (Billebogen), die nördliche Veddel rund um die alten Zollhallen und die Veddeler Fischgaststätte (Veddel-Nord) und der neue Stadtteil Grasbrook mit dem künftigen Moldauhafen- und dem Hafentorquartier.
Stadteingang Elbbrücken: Quartiere werden verbunden
Auch wenn der Rahmenplan des Stadteingangs Elbbrücken nur die Entwicklung des Billebogens und der nördlichen Veddel beschreibt und es für den Grasbrook eigenständige Planungen gibt, haben die Stadtplaner hier das große Ganze im Blick. Erstmals gibt es in Hamburg eine übergreifende Zukunftsperspektive für ein Gebiet, das bislang von überdimensionierten Hauptverkehrsstraßen, Bahntrassen und unzugänglichen, durch Gewerbe besetzten Uferflächen geprägt ist.
Neue Wegeverbindungen werden die Quartiere miteinander verbinden. Dem Grasbrook – beziehungsweise der Entwicklung ehemals hafengenutzter Flächen – kommt dabei eine entscheidende Brückenfunktion zu: Er soll nach dem Worten von Oberbaudirektor Höing „eine Art Scharnier“ sein zwischen der bislang eher abgeschotteten Veddel und der Innenstadt.
Ein Blick auf die Baustelle des Elbtowers
Primär soll es bei der Entwicklung des gesamten Bereichs um das Schaffen dringend benötigten Wohnraums gehen und um das Errichten neuer Büro- und Gewerbeflächen. Doch auch Klimaschutz und eine nachhaltige Mobilität werden große Rollen spielen. Der Grasbrook wird sogar Hamburgs erster CO2-neutraler Stadtteil.
Zur Orientierung, wo was passiert, begeben wir uns zurück auf den gläsernen Skywalk, der sich etwa 15 Meter oberhalb der Straße Freihafenelbbrücke erhebt. Angenommen, in Richtung Norden wäre 12 Uhr. Dann sehen wir auf etwa 3 Uhr die Baustelle des Elbtowers, bei 2 Uhr, am Oberhafenkanal, beginnt das Entwicklungsgebiet Billebogen. Auf 6 Uhr, hinter den mächtigen Elbbrücken, sieht man die Backsteinbebauung der Veddel, die einmal durch die geplante Bebauung am Veddeler Markt ergänzt werden wird. Weiter im Uhrzeigersinn liegt etwa zwischen 7 und 10 Uhr die Großbaustelle des Grasbrooks. Dort werden schon in wenigen Jahren Wohnblöcke und Hochhäuser zu sehen sein.
Östliche HafenCity: neues Stück Hamburg mit New Yorker Flair
Auf 11 Uhr, also schon wieder auf der hiesigen Elbseite, wächst die östliche HafenCity mit bis zu 20-stöckigen Gebäuden und einem fast 115 Meter hohen Hochhaus an die Station Elbbrücken heran. Dort im Zentrum, am Amerigo-Vespucci-Platz, beginnt unsere Fahrradtour. Die Fläche am Kopfende des alten Baakenhafens ist Hamburgs jüngster Platz und seit Sommer 2021 fertiggestellt. Drum herum wachsen derzeit am nördlichen Ufer das 19-stöckige „Roots“, Deutschlands höchstes Holzhochhaus, und Hamburgs „gesündestes“ Haus, das recycelbare „Moringa“, empor.
In Richtung Elbbrücken entstehen die beiden Gebäudekomplexe Edge Elbside und Edge HafenCity, beide mit einem 16-stöckigen Turm. „Zum östlichen Ende der HafenCity und zum Elbtower hin werden die Gebäude deutlich höher“, sagt HafenCity-Chef Kleinau und zeigt eine Simulation des Ortes, wie er in wenigen Jahren aussehen wird: ein ganz neues Stück Hamburg, mit New Yorker Flair. Kleinau deutet auf die große Brachfläche gegenüber von „Roots“ und „Moringa“. „Hier wird das Digital Art Museum entstehen, mit einem Grünstreifen davor, der Flächen für Sport und Bewegung bietet.“
Integriertes Wassermanagement, autoarme Mobilität, Biodiversität
Doch die Frage muss gestellt werden: Ist es angesichts der weltweiten Klimakrise mit ihren unübersehbaren Folgen wirklich vertretbar, weiterhin in solchen Dimensionen zu bauen? Sind die vielen neu geplanten Büros wirklich notwendig? „Insbesondere Städte sind gefordert, sich der ökologischen und sozialen Herausforderungen bewusst zu werden und aktiv zur Lösung beizutragen“, gibt Kleinau zu. „Sie können damit zentrale Orte für Innovationen sein, die uns in Klimafragen voranbringen, uns gleichzeitig aber auch mit neuen Optionen für den weiterhin dringend benötigtem Wohnraum und neue Arbeitsorte ausstatten.“
Solche neuen Wege im Planen, Bauen und Betreiben von Gebäuden und ganzen Stadtteilen, ständen bei der HafenCity GmbH im Fokus. „Nachhaltigkeit, Klimaschutz und ressourcenschonendes Bauen denken wir insbesondere beim Grasbrook mit. Dort berücksichtigen wir in besonderem Maße nicht nur grüne Fassaden und Dächer, sondern ebenso die Kreislaufwirtschaft von Materialien und Stoffen über den gesamten Lebenszyklus der Bauwerke hinweg. Zudem setzen wir auf ein integriertes Wassermanagement, autoarme Mobilität, Biodiversität und viele andere Bausteine.“
Eine Brücke wird Quartiere Grasbrook und Veddel verbinden
Wir radeln unter dem Skywalk durch und halten auf einer Plattform der U-Bahn-Station Elbbrücken. Von hier aus hat man einen einmaligen Blick auf den Grasbrook. Wo bis vor Kurzem das alte Überseezentrum stand, erhebt sich jetzt ein Plateau aus Sand. „Der Grasbrook wird aus Flutschutzgründen auf etwa zehn Meter über Normal Null erhöht“, erklärt Kleinau. Die Sandaufschüttungen, deren Schrägen bereits planiert sind, sind jetzt noch zwei Meter höher. Doch durch die Bebauung wird sich der Untergrund noch setzen.
„Viele denken immer, der künftige Elbtower markiere das östliche Ende der Innenstadt. Doch sie wird über die Elbbrücken hinaus weiterentwickelt“, sagt Oberbaudirektor Franz-Josef Höing und schwärmt: „Durch die Neubebauung des Grasbrooks und die geplante Verbindung zur Veddel werden nur fünf Minuten vom Kerninnenstadtbereich neue Stadträume geschaffen, die stadtplanerisch viel Potenzial bieten.“ Dabei gelte es auch zu überlegen, welche Funktionen die Stadtteile verbinden könnten. Auf dem Grasbrook etwa soll es Ärzte und Nahversorgung geben. Das fehlt auf der Veddel.
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Auf der anderen Seite der Freihafenelbbrücken zeigt Andreas Kleinau, wo die quartiersverbindende Brücke zur Veddel gebaut werden soll: Sie wird von der südöstlichsten Ecke des Moldauhafenquartiers in die Nähe der Veddeler Fischgaststätte führen und damit unmittelbar zum Veddeler Marktplatz. „Die Herausforderung ist, dass die Brücke ziemlich hoch sein muss, um über die Oberleitung der Bahn zu kommen und auf der anderen Seite das tieferliegende Bestandsniveau der Veddel anzubinden“, so Kleinau. Im Herbst soll ein Architekturwettbewerb für das Bauwerk starten.
Wer sich vorstellen will, wie die Bebauung des Grasbrooks aussehen wird, braucht noch viel Fantasie. Derzeit sind die Sandaufschüttungen am nördlichen Rand das einzig Neue, das bisher entstanden ist. Ansonsten türmen sich auf der weiten Fläche, auf der einmal das Moldauhafenquartier entstehen soll, die Abbruchmaterialien der früheren Bebauung: Asphaltstücke und Gebäudereste, zwischen denen unzählige Lkw und Bagger herumkurven. Von der Stufenanlage entlang der Straße Am Moldauhafen hat man einen guten Blick auf das Gewimmel. Was man nicht sehen kann, weil Bäume den Blick versperren, ist der Moldauhafen selbst. Wir fahren über die Sachsenbrücke. Sie wird weiterhin als Autozufahrt für diesen Teil des Grasbrooks dienen und daher aus Flutschutzgründen höher gelegt werden. Lastwagen auf dem Weg zum O’Swaldkai donnern an uns vorbei.
Hafenbecken mit Hochhäusern am Rand und einem U-Bahn-Viadukt
Das Hafentorquartier des neuen Stadtteils Grasbrook wird direkt an die bestehenden Hafenaktivitäten angrenzen. Im Moldauhafen steht das Wasser niedrig. „Die Gezeiten sind eine der Herausforderungen für den Wassersport, den sich viele hier wünschen“, sagt Kleinau. Nicht aber für die drei Hochhäuser, die rund um das Wasserbecken entstehen – und auch nicht für die Pylonen des U-4-Viadukts, das diagonal hindurch verlaufen wird. „Die historischen Lagerhäuser F und G am Saalehafen bleiben auf jeden Fall erhalten“, so Kleinau. Ob das auch bei der alten Halle des Lagerhauses D möglich ist, in der Edeka noch seine Bananen reifen lässt, muss noch untersucht werden. Fest geplant ist dagegen, dass es entlang der Lagerhäuser einen lang gestreckten Grünzug geben wird, mit Sportangeboten und der Möglichkeit für die Nutzer, „auch mal laut zu sein – denn Wohnen ist in diesem Quartier wegen der Hafennähe nicht möglich.“
Insgesamt ist das Hafentorquartier über vier Brücken erreichbar. Neben der Brücke zur Veddel und der Sachsenbrücke wird es zwei weitere Brücken zum Moldauhafenquartier geben. Die größere verläuft unmittelbar am neuen Hafenmuseum und könnte einmal, Stichwort: Sprung über die Elbe, über die Norderelbe zur HafenCity führen. Eine etwas kleinere schafft eine Verbindung in den großen Park, der fast die ganze Südhälfte des Moldauhafenquartiers einnehmen wird.
Die nördliche Veddel: Planungen am wenigsten konkret
Für die nördliche Veddel sind die Planungen noch am wenigsten konkret. Fest steht nur, dass die Bewohnerinnen und Bewohner einen neuen Marktplatz und einen Park, den Veddeler Balkon, erhalten. Auch, dass es eine Bebauung um die alten Zollhallen und die Fischgaststätte herum geben wird, ist klar. Ob als Block- oder Zeilenbebauung, mit oder ohne Wohnen, ist noch ungewiss. Auch, ob die HafenCity Hamburg GmbH hier – wie beim Grasbrook und beim Billebogen – ebenfalls die Entwicklungsverantwortung übernehmen wird.
Wir radeln also nach Rothenburgsort. Die Entwicklung dieses Gebiets, das sich von den Autobahnohren bis zur Bille erstreckt, ist besonders dem Oberbaudirektor ein wichtiges Anliegen. „Hier ist eigentlich schon alles fertig, der Bereich ist perfekt erschlossen“, sagt er, nachdem wir wagemutig einen der ohrenförmigen Autobahnzubringer überquert haben. „Auf Luftaufnahmen aber sieht man, wie wenig Gebäude hier stehen und wie viele Brachflächen und Uferbereiche es gibt, die uns Stadtplaner zu einer Weiterentwicklung geradezu einladen.“
Es sei spannend, zu überlegen, wie das alles unter Beibehaltung der alten Strukturen und Gebäude schrittweise wachsen könne. Geplant ist, die Autobahnohren durch Rampen zu ersetzen und so Platz für neue Gebäude zu schaffen. An anderen Stellen sind Gewerbeflächen den Planungen im Weg. „Das bedeutet viele Diskussionen mit den Eigentümern und das Erwägen möglicher Grundstückstäusche“, so Höing. Die Realisierung des Rahmenplans erfordere auch hier in Rothenburgsort „Fantasie und einen langen Atem“. „Da muss man in größerem Kontext denken – unabhängig davon, wie hoch ein Haus wird.“ Auch in Rothenburgsort liegt ein Schwerpunkt darauf, neue Wege und Verbindungen zu schaffen. „Sie werden die Quartiere zusammenbringen, aber zum Beispiel auch fantastische Radtouren ermöglichen“, so Höing. Er spricht von einer „grünen Fuge“: einer Parklandschaft, die sich von der Norderelbe bis zum Billekanal zieht, mit unterschiedlichen Freizeitangeboten. „Die grüne Fuge gehört zu einem durchgehenden Weg, der vom Hochwasserbassin in Hammerbrook bis zur Brandshofer Schleuse geplant ist und teilweise auch über Stege auf dem Wasser geführt wird.“
In Rothenburgsort entstehen der Billepark und eine „grüne Fuge“
Nachdem wir ein mächtiges Bahnviadukt unterquert und die Oldtimer-Tankstelle Brandshof passiert haben, halten wir am Billhorner Kanal, gleich hinter der Brandshofer Schleuse. Boote dümpeln im kleinen Hafenbecken, an den Ufern wuchern Büsche. Gleich mehrere Züge, die über die verschiedenen Brücken rattern, sind zu hören und zu sehen. „Hier wird der neue Billepark entstehen“, sagt Höing und weist auf das noch überwiegend gepflasterte und asphaltierte Areal. „Eine ganz neue Idee von Park. Mit viel Grün, aber auch Beton, einem Skaterpark unter der Brücke und anderen Sportflächen. Nicht beschaulich, sondern eher rau.“ Das historische Backsteinhaus, in dem jetzt das Schulungszentrum der Deichverteidigung untergebracht ist, wird ebenso wie die Oldtimer-Tankstelle bleiben und in eine terrassenartig angelegte Rasenfläche mit Uferpromenade integriert.
Wir fahren weiter, und Höing ruft uns stichwortartig zu, was hier und da geplant ist. An der Ecke Billhorner Röhrendamm werden Neubauten entstehen. Und der Billhorner Mühlenweg soll Teil der vorhin von Höing erwähnten „grünen Fuge“ werden, die wiederum zum noch unvollständigen Alster-Bille-Elbe-Grünzug gehört, der in St. Georg beginnt. Am anderen Ende liegt das umzäunte Gelände der ehemaligen Branntweinmonopolgesellschaft, vor dem wir jetzt anhalten. Im vergangenen Jahr hatten Pläne, weite Teile des denkmalgeschützten Ensembles abzureißen und dort eine Aus- und Fortbildungsstätte des Zolls zu errichten, für viel Kritik gesorgt. Das Areal liegt direkt am Stichkanal, hinter dem der Elbpark Entenwerder beginnt. „Was genau hier hin kommt, entscheiden wir anhand der Bedarfe“, sagt Höing, bevor wir uns wieder auf den Rückweg in die Innenstadt machen. „Da setzen wir uns nicht unter Druck.“
Lesen Sie morgen: Teil 2 – Grasbrook und nördliche Veddel