Hamburg. Trotz Phantombild gehen ungewöhnlich wenig Hinweise auf den Messerstecher ein. Polizei schließt IS-Attentat „weitestgehend aus“.
Der Mord unter der Kennedybrücke hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst. Die Polizei präsentierte zwar nach dem tödlichen Messerangriff auf einen 16 Jahre alten Jungen ein Phantombild, das den unbekannten Täter zeigen soll. Doch der erhoffte Durchbruch blieb bislang aus. Fast einen Monat nach der Tat am 16. Oktober ermittelt die Mordkommission immer noch „in alle Richtungen“, sagt Polizeisprecher Timo Zill. Damit ist klar: Es gibt keinerlei „heiße Spur“.
Das Opfer war ein 16-Jähriger aus „gutem Hause“, der Sohn einer Schauspielerin. Gegen 22 Uhr griff ihn ohne jede Vorwarnung ein etwa 23 bis 25 Jahre alter Mann an. Von mehreren Messerstichen getroffen, brach der Gymnasiast zusammen. Unter Wiederbelebungsmaßnahmen wurde er ins Krankenhaus gebracht. Dort erlag er seinen schweren Verletzungen. Seine ein Jahr jüngere Freundin, mit der er unter der Brücke auf den Stufen gesessen hatte, überlebte den Angriff. Sie war von dem Täter ins Wasser gestoßen worden und hatte sich selbst retten können.
Die Suche per E-Mail bei 11.500 Ärzten blieb erfolglos
Die Mordkommission hatte nach der Tat auch das Umfeld des Opfers durchleuchtet und mögliche Gründe für eine derartige Tat gesucht – vergebens. Auch eine große E-Mail-Aktion, bei der die Polizei rund 11.500 Ärzte anschrieb, weil sich der Täter bei dem Angriff selbst an der Hand verletzt haben soll, blieb erfolglos. Niemand kannte einen Patienten, der sich wegen so einer Verletzung behandeln ließ. Ermittlungen in der nahen Obdachlosenszene blieben ebenso erfolglos wie die Überprüfungen innerhalb der Partyszene auf dem Jungfernstieg, die in den Wochen vor dem Messerangriff wegen Straftaten und Übergriffen zu einem Brennpunkt für die Polizei geworden war.
Anfang November schöpfte die Polizei Hoffnung. Eine Zeugin brachte durch die Berichterstattung in den Medien eine Beobachtung, die sie kurz vor der Tat gemacht hatte, mit dem Messerangriff in Verbindung. Ihr war ein junger Mann an der benachbarten Lombardsbrücke aufgefallen. Die Frau konnte sich sehr gut an die Begegnung erinnern und eine sehr genaue Beschreibung des Mannes abgeben.
„Die nach ihren Angaben erstellten Phantomskizze ist nach unserer Einschätzung sehr gut“, sagt Timo Zill. Auch die 15-Jährige, die den Angriff überlebte, konnte sich an so viele Details erinnern, dass sich die Polizei sicher ist, dass die Skizze den Täter zeigt.
„Wir hatten mit einem zeitnahen Eingang von konkreten Hinweisen auf den Mann gerechnet“, sagt ein Beamter. Doch die Ermittler hatten sich verschätzt. Rund 30 – teilweise belanglose – Hinweise gingen in den ersten Tagen ein. Inzwischen ist von einer „Vielzahl“ an Hinweisen die Rede, die nach der Veröffentlichung einging. Intern wird von mehr als 50 gesprochen.
So erfolglose Öffentlichkeitsfahndungen sind selten
Das ist ungewöhnlich wenig. Eine derart erfolglose Öffentlichkeitsfahndung hatte es zuletzt Anfang 2011 in Hamburg gegeben. Damals war einem CCH-Pförtner ein Rollkoffer aufgefallen, in dem ein erst ein Tag alter Säugling lag. Das kleine Mädchen wurde Marie genannt. Der Polizei gelang es, den Mann zu identifizieren, der den Trolley zum CCH gebracht hatte. Er war von einer Überwachungskamera aufgenommen worden. Mit den Bildern wurde auch damals intensiv und bundesweit gefahndet. Und auch damals gab es zunächst keine Hinweise auf den Mann. Erst nach zwei Monaten wurde er identifiziert.
Der damals 20-Jährige lebte in Hamburg. Doch an seinem kompletten Umfeld war die groß angelegte Öffentlichkeitsfahndung vorbeigegangen. Er sagte hinterher aus, dass er weder im Fernsehen noch in Zeitungen oder im Internet das Bild gesehen habe, das ihn selbst klar und deutlich zeigte.
„Das sind aber absolute Ausnahmen. Heute haben Öffentlichkeitsfahndungen durch die schnelle Ausbreitung, auch über digitale Medien, eine extrem hohe Erfolgsquote. Oft stellen sich die Täter sogar nach relativ kurzer Zeit selbst, wenn sie sehen, dass nach ihnen mit Bildern oder einer guten Skizze gefahndet wird“, sagt ein Beamter.
Ein IS-Attentat wird weitgehend ausgeschlossen
Dass der im Fall Kennedybrücke gesuchte Mann kein persönliches Umfeld in Hamburg hat, wäre ebenfalls möglich. Dann wäre eine Täterschaft der Terrororganisation IS, die in mittlerweile zwei Bekennerschreiben die Tat für sich reklamierte, eher wahrscheinlich. Davon geht die Polizei aber bislang nicht aus.
Die Bekennungen waren fehlerhaft, kamen erst zwei Wochen nach der Tat und enthalten keinerlei sogenanntes Täterwissen, das nur der Angreifer kennen kann und das den Verdacht untermauern würde. So sagt Polizeisprecher Timo Zill mittlerweile zu der von vornherein äußerst umstrittenen IS-These: „Das schließen wir nach eingehender Analyse weitestgehend aus.“