Altstadt. Auf dem Weihnachtsmarkt Schmalzgebäck zu verkaufen ist ein hartes Geschäft. Ein Abendblatt-Reporter hat es ausprobiert.

André Pott wäre jetzt vermutlich gerne im Harz bei seiner Frau Nadine. Dort, wo die Leute auf den Weihnachtsmärkten von Werningerode und Quedlinburg ihren Schmalzkuchen richtig zu schätzen wissen und in Zweierreihen vor seinen zwei Buden anstehen. „Da kann es noch so arschkalt sein“, sagt Pott, „aber da kann ich im T-Shirt arbeiten, weil ich die ganze Zeit am Teigausrollen bin.“

André Pott, 40, seit 15 Jahren als Schausteller in Norddeutschland unterwegs, hat sich erstmals auf das Abenteuer eingelassen, in Hamburg eine „Mandelbude“ mit den typischen Jahrmarktsüßigkeiten sowie eine „Mandelmutzen-Bude“ zu pachten; auf dem „Winterzauber“-Weihnachtsmarkt auf und rund um den Gerhart-Hauptmann-Platz, genauer im Barkhof, zwischen Mönckebergstraße und Jacobikirchhof, am Ein- und Ausgang der U 3. Aber der Passantenstrom fließt, von ein paar Ausnahmen abgesehen, bisher an André Potts Bude vorbei. Und das, obwohl die olfaktorische Wirkung von frischem Schmalzkuchen gigantisch und er direkt neben einem Glühweinstand postiert ist, dem Publikumsmagneten schlechthin.

Die schönsten Weihnachtsmärkte im Norden

Der Historische Weihnachtsmarkt auf dem Hamburger Rathausmarkt erstrahlt in stimmungsvollem Licht
Der Historische Weihnachtsmarkt auf dem Hamburger Rathausmarkt erstrahlt in stimmungsvollem Licht © picture alliance | dpa Picture-Alliance / CHROMORANGE / Bodo von Ulmenstei
90 Aussteller gestalten den Historischen Weihnachtsmarkt vor der imposanten Rathauskulisse
90 Aussteller gestalten den Historischen Weihnachtsmarkt vor der imposanten Rathauskulisse © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Bodo Marks
Russische Schachtelpuppen, Matroschkas, an einem Stand auf dem Weihnachtsmarkt am Rathausmarkt
Russische Schachtelpuppen, Matroschkas, an einem Stand auf dem Weihnachtsmarkt am Rathausmarkt © dpa | Axel Heimken
Der tägliche Höhepunkt: Santa Claus gleitet mit seinem Schlitten in luftiger Höhe über die staunenden Kinderaugen hinweg (16, 18 und 20 Uhr)
Der tägliche Höhepunkt: Santa Claus gleitet mit seinem Schlitten in luftiger Höhe über die staunenden Kinderaugen hinweg (16, 18 und 20 Uhr) © dpa | Axel Heimken
Auch klassische Schneekugeln dürfen nicht fehlen
Auch klassische Schneekugeln dürfen nicht fehlen © dpa | Daniel Bockwoldt
Bis 23. Dezember hat der Weihnachtsmarkt vor dem Hamburger Rathaus täglich von 11 bis 21 Uhr, freitags und sonnabends bis 22 Uhr geöffnet
Bis 23. Dezember hat der Weihnachtsmarkt vor dem Hamburger Rathaus täglich von 11 bis 21 Uhr, freitags und sonnabends bis 22 Uhr geöffnet © dpa-tmn | Bodo Marks
Hamburgs „frivolster Weihnachtsmarkt“: Santa Pauli auf der Reeperbahn feiert in diesem Jahr seinen 10. Geburtstag
Hamburgs „frivolster Weihnachtsmarkt“: Santa Pauli auf der Reeperbahn feiert in diesem Jahr seinen 10. Geburtstag © dpa | Axel Heimken
Hinweisschilder weisen auf dem Santa Pauli Weihnachtsmarkt auf die Attraktionen „Strip-Zelt“ und „Show-Bühne“ hin
Hinweisschilder weisen auf dem Santa Pauli Weihnachtsmarkt auf die Attraktionen „Strip-Zelt“ und „Show-Bühne“ hin © dpa | Axel Heimken
Vor der Kulisse der Tanzenden Türme ist der erotische Kiez-Weihnachtsmarkt noch bis 23. Dezember für Besucher geöffnet
Vor der Kulisse der Tanzenden Türme ist der erotische Kiez-Weihnachtsmarkt noch bis 23. Dezember für Besucher geöffnet © dpa | Axel Heimken
Santa Pauli nennt sich auch „Hamburgs geilster Weihnachtsmarkt“
Santa Pauli nennt sich auch „Hamburgs geilster Weihnachtsmarkt“ © dpa | Angelika Warmuth
Der Stand einer Sex-Drogerie auf dem Santa Pauli Weihnachtsmarkt
Der Stand einer Sex-Drogerie auf dem Santa Pauli Weihnachtsmarkt © dpa | Axel Heimken
In Lüneburg können Besucher auf dem Weihnachtsmarkt vor dem Rathaus unter anderem Schmuck, Holzspielzeug und Lüneburger Salzlampen kaufen. Der Weihnachtsmarkt ist täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet (So ab 11 Uhr)
In Lüneburg können Besucher auf dem Weihnachtsmarkt vor dem Rathaus unter anderem Schmuck, Holzspielzeug und Lüneburger Salzlampen kaufen. Der Weihnachtsmarkt ist täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet (So ab 11 Uhr) © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Philipp Schulze
Die Lübecker wissen, wie man Weihnachten feiert: Schließlich ist der erste Weihnachtsmarkt bereits im Jahr 1648 urkundlich belegt
Die Lübecker wissen, wie man Weihnachten feiert: Schließlich ist der erste Weihnachtsmarkt bereits im Jahr 1648 urkundlich belegt © Olaf Malzahn | Olaf Malzahn
Der Weihnachtsmarkt rund um das Lübecker Rathaus bis zum 30. Dezember geöffnet
Der Weihnachtsmarkt rund um das Lübecker Rathaus bis zum 30. Dezember geöffnet © LTM - S-E Arndt | Sven-Erik Arndt
Blick auf den Weihnachtsmarkt in Wernigerode im Harz: Umgeben von Fachwerkhäusern zählt der Markt zu den schönsten der Region
Blick auf den Weihnachtsmarkt in Wernigerode im Harz: Umgeben von Fachwerkhäusern zählt der Markt zu den schönsten der Region © ZB | Matthias Bein
Der Weihnachtsmarkt in Wernigerode wird jährlich von vielen Hunderttausend Gästen besucht
Der Weihnachtsmarkt in Wernigerode wird jährlich von vielen Hunderttausend Gästen besucht © ZB | Matthias Bein
Enno Freiherr von Ruffin veranstaltet auf dem Gut Basthorst seinen ländlich geprägten Markt mit rund 300 Ausstellern. Vom Hamburger ZOB bringt ein Weihnachtsmarkt-Shuttle die Besucher freitags bis sonntags stündlich (ab 10.15 Uhr) ein Weihnachtsmarkt-Shuttle die Besucher direkt zu dem Markt mit einer originalen Tiroler Almhütte
Enno Freiherr von Ruffin veranstaltet auf dem Gut Basthorst seinen ländlich geprägten Markt mit rund 300 Ausstellern. Vom Hamburger ZOB bringt ein Weihnachtsmarkt-Shuttle die Besucher freitags bis sonntags stündlich (ab 10.15 Uhr) ein Weihnachtsmarkt-Shuttle die Besucher direkt zu dem Markt mit einer originalen Tiroler Almhütte © Gutsverwaltung Basthorst | Gutsverwaltung Basthorst
Eine Verkäuferin posiert neben einem Modell des Hamburger Rathauses, das sie auf dem Historischen Weihnachtsmarkt zum Verkauf anbietet
Eine Verkäuferin posiert neben einem Modell des Hamburger Rathauses, das sie auf dem Historischen Weihnachtsmarkt zum Verkauf anbietet © dpa | Axel Heimken
Am Hamburger Jungfernstieg findet der „Winterzauber“ statt
Am Hamburger Jungfernstieg findet der „Winterzauber“ statt © picture alliance / Bildagentur-o | dpa Picture-Alliance / C.Ohde/Bildagentur-online
Der Weihnachtsmarkt in der Spitalerstraße in Hamburg
Der Weihnachtsmarkt in der Spitalerstraße in Hamburg © picture alliance / Bildagentur-o | dpa Picture-Alliance / C.Ohde/Bildagentur-online
Flensburg erwartet auch in diesem Jahr wieder rund 100.000 Weihnachtsmarktbesucher
Flensburg erwartet auch in diesem Jahr wieder rund 100.000 Weihnachtsmarktbesucher © Flensburg Tourismus | Flensburg Tourismus
Bis Silvester gibt es in der Fördestadt etwa heimischen Rum, holländische Poffertjes, Felle oder Lederwaren zu kaufen
Bis Silvester gibt es in der Fördestadt etwa heimischen Rum, holländische Poffertjes, Felle oder Lederwaren zu kaufen © Flensburg Tourismus | Flensburg Tourismus
Der Rostocker Weihnachtsmarkt ist der größte Norddeutschlands
Der Rostocker Weihnachtsmarkt ist der größte Norddeutschlands © ZB | Bernd Wüstneck
Hier gibt es die angeblich größte Weihnachtspyramide der Welt (Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde) zu sehen
Hier gibt es die angeblich größte Weihnachtspyramide der Welt (Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde) zu sehen © ZB | Bernd Wüstneck
Auch in Bremen ist es weihnachtlich
Auch in Bremen ist es weihnachtlich © dpa | Carmen Jaspersen
Die beiden Türme des St.-Petri-Doms in Bremen erstrahlen in Blau
Die beiden Türme des St.-Petri-Doms in Bremen erstrahlen in Blau © dpa | Ingo Wagner
Weihnachtliche Stadtkulisse: Die Alstertanne auf der Hamburger Binnenalster
Weihnachtliche Stadtkulisse: Die Alstertanne auf der Hamburger Binnenalster © picture alliance / blickwinkel/M | dpa Picture-Alliance / McPHOTO
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Auch wenn die Temperatur eher einem kühlen Frühlingstag entspricht, zieht André Pott, innerlich fröstelnd, den Reißverschluss seines signalroten Sweatshirts mit der „Winterzauber“-Stickerei zu. Der Einheitslook ist eine Auflage des Veranstalters. Leider fällt jedoch die XL-Größe ziemlich klein aus. „Nee, nee – dein Körper ist nur etwas zu groß“, scherzt er mit seiner neuen Hilfskraft, die heute lernen soll, Schmalzkuchen zu frittieren. Seine neue Hilfskraft: Das bin ich.

Die Lernzielebene eins heißt „Vorbereitung“: Ich muss zwei Hände mit Hefeteig mit Hilfe einer Teigrollmaschine und eines Pizzarollers zu Schmalzkuchenrohlingen zurechtformen und -schneiden. Zum Glück ist André Potts Bruder Dominic, 24, zuständig für die Schmalzkuchen, ein geduldiger Mensch. Nach dem vierten Versuch könnte ich die „Mutzen“ sogar tatsächlich frittieren. Aber vor der Bude ist niemand.

André Pott (l.) und sein Bruder Dominic verkaufen an der „Mö“ auch Lebkuchen
André Pott (l.) und sein Bruder Dominic verkaufen an der „Mö“ auch Lebkuchen © Michael Rauhe | Michael Rauhe

„Zum Glück haben wir noch unseren großen Imbiss auf dem Winterdom und die beiden Harzer Märkte“, sagt der Chef, „sonst würde es wohl ein ziemlich harter Winter werden für uns.“ Nicht nur die Teighefe soll aufgehen, sondern die ganze Rechnung, sie haben schließlich drei Töchter und einen Sohn: Kimberley, Angelique, Jamie-Lee und den kleinen Bernhard, die jetzt alle von Oma und Opa in Braunschweig beaufsichtigt werden, wo die Familie in der freien Zeit lebt. „Ich war als Kind ja noch jede Woche in einer anderen Schule“, sagt Pott, dessen Eltern mit Pfeilewerfen, Korkenschießen und Entenangeln die Volksfeste bereicherten. Seine vier Geschwister und er setzen dagegen auf die Gastronomie, stolze Schausteller sind sie alle.

„Ich würde nix verkaufen, was ich nicht selber gerne esse“, sagt André Pott mit Nachdruck, „außerdem machen wir alles frisch vor Ort und nach 15 Minuten kommen unsere Schmalzkuchen weg, weil sie dann doch nicht mal mehr lauwarm wären.“

In diesem Moment bleibt vor der Bude eine junge Frau stehen und schnuppert in die Luft. Dann guckt sie uns an, Dominic Pott und die Hilfskraft. „Vom Gucken allein wird man doch nicht satt“, ruft mein Meister ihr zu. Die junge Frau lächelt. „Warum eigentlich nicht?“, sagt sie, tritt heran und bestellt eine kleine Portion Schmalzkuchen, für 2,50 Euro. Mein Herz macht einen Freudensprung, denn Lernzielebene zwei ist nun erreicht – das Frittieren. Das übernimmt jedoch, sicherheitshalber, mein Lehrherr. Zwei Minuten dauert es, bis das Fett wieder die notwendigen 180 Grad erreicht, 90 weitere Sekunden, bis die Schmalzkuchen goldbraun oben schwimmen. Ganz am Schluss darf ich auch mal mit der Schaumkelle die kleinen Kalorienbomben wenden.

Der Teig entsteht – na klar – nach einem geheimen Familienrezept

„À la minute ist ja auch nicht schlecht“, überspielt Dominic Pott gekonnt die Zubereitungszeit. Die dieses Mal sogar noch etwas länger dauert, weil sich die Hilfskraft beim Erreichen der Lernzielebene drei – „Warenausgabe“ – erst einmal die linke Hand an der heißen Papiertüte verbrennt. Bloß nicht fallen lassen jetzt, denke ich, sondern den Schmerz souverän weglächeln und dabei die Schmalzkuchen mit Hilfe einer Bonbonschaufel aus dem Fritteusenkorb herausnehmen und eintüten, mit Puderzucker bestäuben und schließlich einen Holzspieß in die Tüte stecken. „Warum nimmst du auch keine Serviette?“, wundert sich Dominic Pott. Tja, warum eigentlich nicht?

Immerhin: Die junge Frau findet „meine“ ersten Schmalzkuchen „sehr lecker“. Was jedoch am Teig liegen dürfte, einem – na klar – geheimen Familienrezept, das die Potts in jahrelanger Probierarbeit immer wieder nachgebessert haben. An der Rezeptur könne es also nicht liegen, dass das Geschäft nicht so brummt wie erhofft. Wie zur Bestätigung deutet André Pott hinüber an den Glühweinstand, wo gerade mal ein Dutzend Gäste sich die Adventszeit fröhlich trinken. Er hadert zweifellos mit dem Standort.

„Niemand sieht, wie viel Arbeit, Zeit und Geld nötig sind, um Betriebe wie unsere am Laufen zu halten“, sagt er. Spätestens um 8.30 Uhr verlässt André Pott seinen Wohnwagen auf dem Heiligengeistfeld, frühestens um 0.30 Uhr sieht er ihn wieder. Dazwischen wird eingekauft, sauber gemacht, vorbereitet, zubereitet, repariert und Behördenkram erledigt. Nur was die Pacht betrifft sind André Potts Lippen versiegelt. Wie die der anderen Schausteller auch. Seitdem alle Stadtverwaltungen begriffen haben, dass man mit dem Weihnachtsmarktboom die klammen Kassen auffüllen kann, müssen Schausteller immer tiefer in ihre Taschen greifen.

Und sie sollten tunlichst nicht darüber reden, wenn sie wiederkommen wollen. Pro Budenmeter werden in der Innenstadt durchschnittlich 1000 bis 2000 Euro für die Dauer des Marktes fällig. Die Mieten sind nach Gewerken und Standorten gestaffelt, gastronomische Betriebe zahlen grundsätzlich mehr als das Kunsthandwerk, Glühweinstände bisweilen sogar das Zehnfache. „Auf dem Rathausmarkt ist es glatter Wahnsinn“, sagt André Pott, „allerdings ist es dort natürlich auch knallvoll.“ So wie in Werningerode und Quedlinburg. Bis zum 30. Dezember will er aber auf jeden Fall durchhalten. Beim „Winterzauber“.