Bestürzendes Bild: Flüchtlinge stranden im Hauptbahnhof
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St. Georg. Immer wieder sitzen Flüchtlinge auf ihrer Reise vorübergehend in Hamburg fest, einige übernachten sogar in der Wandelhalle.
Es ist ein bestürzendes Bild: Mitten in der Wandelhalle des Hauptbahnhofs lagern 250 Flüchtlinge. Sie haben bunte Decken auf die Fliesen gelegt, manche bilden Gruppen, andere sind völlig alleine. Ganze Familien sitzen hier im Kreis, viele Kleinkinder, sogar Babys.
Auf dem Weg nach Schweden sind sie hier gestrandet, das Drehkreuz in die Freiheit ist ins Stocken geraten. Dass die Gruppe hier ausharren muss, hat viele Ursachen. Die Zugausfälle und -verspätungen der vergangenen Tage spielen dabei mit, mangelhafte oder falsche Informationen, Erschöpfung. Wie Daniel, ein ehrenamtlicher Helfer, erläutert, sind manche schon seit dem Wochenende hier, darunter auch eine Gruppe, die im Zuge der Krawalle vom Sonntag zunächst ins Schauspielhaus geflüchtet war. Das Durcheinander rund um die aus dem Ruder gelaufene Demo gegen Rechts und das damit verbundene Verkehrschaos hat die Menschen hierher gespült. Krawalle und Polizeieinsätze – so präsentierte sich die Stadt den Menschen, die hier Schutz suchen. Manche halten ihre längst abgelaufenen Zugtickets fest an sich gepresst, andere diskutieren mit Hilfe von ein paar Dolmetschern mit dem Sicherheitspersonal. Vor allem die Kinder leiden unter der Langeweile. Viele flitzen durch die riesige Halle oder toben auf den Rolltreppen herum.
Einmal mehr sind es Stunden, in denen ohne die freiwilligen Helfer nichts laufen würde. Unter der Treppe schmieren sie Brötchen, verteilen Bananen und Laugenbrezeln. Andere versuchen, medizinische Hilfe zu leisten, untersuchen die Kinder oder trösten einfach nur.
Deutschland, Europa und die Flüchtlingsfrage
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Die Menschen stammen vor allem aus Afghanistan, Syrien und dem Irak. Die Stimmung unter den Gestrandeten scheint nicht schlecht zu sein, viele scherzen, telefonieren – und wirken fast wie andere Reisende, die auf einen Anschlusszug warten. Doch der Eindruck täuscht, wie Helfer Daniel erläutert. „Alle sind deprimiert und fertig. Sie versuchen nur, Haltung zu bewahren, auch wegen der Kinder.“ Fast alle wollen nach Schweden weiter, weil sie dort Verwandte oder Freunde haben.
Dass sie nicht in Hamburg bleiben, hängt auch mit einem Gerücht zusammen: „Alle glauben, dass es hier nur Zelte als Unterkünfte gibt, sagt Helfer Issam, „entsprechend wollen sie einfach nur weiter.“ Es sind Fehlinformationen wie diese, die sich in den sozialen Netzwerken im Handumdrehen verbreiten – und die die Verunsicherten weitertreiben.
Issam, der ebenso gut Deutsch wie Arabisch spricht, ist hier unverzichtbar. Mit Hilfe eines Megafons verschafft er sich Gehör, hält dabei ein Pappschild mit der Aufschrift „Sweden“ hoch. Als er sich in Richtung Bahnsteig auf den Weg macht, folgen ihm rund 50 Flüchtlinge – auffallend ernst und schweigend. „Ich bitte sie immer um Ruhe und Geduld“, sagt Issam, Geduld ist in diesen Tagen das Wichtigste.
Ziel ist der Zug Richtung Flensburg, von dort soll es dann weiter nach Nordeuropa gehen. Auch Finnland und Norwegen sind begehrte Ziele. Am Zug geht es dann zwar hektisch, aber nicht chaotisch zu. Babys werden durch die Türen gehoben, Kinderwagen und Koffer weitergereicht. Erst als alle Platz gefunden haben, wird die Stimmung wieder gelöster.
Immer wieder gibt es anrührende Szenen. Ein Mann namens Hami, der aus Syrien stammt, trägt sein schlafendes Söhnchen auf dem Arm. Ein aufmunternder Blick und die schlichten Worte „Good luck“ motivieren ihn, Frau und Kinder am Bahnsteig aufzureihen und jeden Einzelnen namentlich vorzustellen – so will es die Höflichkeit. Ein ungefähr 13-jähriger Junge in Shorts, der vor Kälte mit den Zähnen klappert, wedelt mit seinem Ticket und zuckt die Schultern. Er kommt aus München und will weiter nach Kiel. Der Junge hat Glück – der Zug kommt bald, und das Ticket ist gültig.
Helfer Sigu spricht mit dem 18-jährigen Sabi aus Afghanistan, der nach Zürich reisen will. Sigu drückt ihn kurz an sich: „You must be strong.“ Die ehrenamtlichen Helfer arbeiten im Dauereinsatz, manche wirken abgekämpft und gereizt. „Von der hohen Politik hat sich hier noch keiner blicken lassen“, berichtet jemand. Verschiedene Gruppen haben sich hier zusammengefunden und müssen vor allem eines: improvisieren. So wie die Mitarbeiter der Bahn und der Sicherheitsdienste, die die campierenden Flüchtlinge toleriert. „Es soll eine große Gruppe Flüchtlinge in Altona ankommen“, berichtet ein Helfer, „aber wir wissen nichts Näheres.“ Unklar ist auch, ob die Flüchtling weiterfahren dürfen, auch wenn ihre Tickets nicht mehr gültig sind. Die Bahn sei da kulant, heißt es, doch niemand kennt die offiziellen Bestimmungen wirklich.
Immer neue Gruppen werden zu den Zügen Richtung Norden gebracht, in die sie erleichtert einsteigen. Was die Menschen in Flensburg erwartet? Niemand weiß es genau. Am späten Nachmittag hat sich das kleine Lager in der Wandelhalle weitgehend geleert, aber alle wissen, dass das Thema damit noch lange nicht abgehakt ist. Jede Stunde trifft ein neuer Zug aus München ein – und auch aus anderen Regionen kommen Flüchtlinge zum Hauptbahnhof.
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