Der Stadtforscher und HCU-Professor Dieter Läpple übt Kritik. Behörden boykottieren seiner Meinung nach gute Ideen der Ausstellung in Wilhelmsburg. Flächen für Kreative stehen leer.

Hamburg. Vor gut einem Jahr endete die IBA, die Wilhelmsburg durch bauliche, soziale und kulturelle Angebote nachhaltig aufwerten sollte. Es gibt eine neue Mitte, 1200 neue und fast ebenso viele sanierte Wohnungen, reformierte Bildungszentren und niedrigschwellige Arbeitsangebote, einen Zugang zum Spreehafen, Gewerbehöfe, einen Energie-Bunker und den Energie-Berg Georgswerder. Rund 60 Projekte wurden im Rahmen der Bauausstellung realisiert, etwa eine Milliarde Euro haben Stadt und Bauherren investiert.

Mittlerweile ist auf der Elbinsel der Alltag eingekehrt – und mit ihm die Ernüchterung. Die Bewohner der neuen Mitte klagen über Baumängel und Verkehrs-Lärm, das Forum Bildung Wilhelmsburg steht vor dem Aus, zwei Textilwerkstätten müssen schließen, Flächen für Kreative stehen leer. Auch die Hoffnung der Wilhelmsburger, im Nachklang der IBA werde ihr lang gehegter Wunsch nach einem konsequenten Durchfahrtverbot für LKW über 7,5 Tonnen im Westen und in der Mitte ihres Stadtteils umgesetzt, wurde zunichte gemacht. Im kürzlich vom Senat präsentierten „Rahmenkonzept 2013+ zum Sprung über die Elbinsel“ ist vorgesehen, die Drateln- und die Mengestraße nach der Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße als Hauptverkehrsachse für Schwerlast- und Hafenverkehr auszubauen.

„War die IBA gut (genug) für Wilhelmsburg?“, diese Frage treibt viele Wilhelmsburger um. Der Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg lädt unter diesem Motto daher am 2. Dezember zu einer Diskussionsveranstaltung ins Bürgerhaus. Rede und Antwort stehen wird einer, der es wissen muss: Uli Hellweg, Geschäftsführer der IBA-Hamburg. Auch der Stadtforscher und HCU-Professor Dieter Läpple hat die Planungen zur IBA von Anfang an begleitet. Im vergangenen Jahr ist er in einer Art Selbstversuch von Othmarschen ins Zentrum der Bauausstellung gezogen. Dort wohnt er in einem der innovativen Häuser, die zwischen Neuenfelder Straße und Inselpark entstanden sind. Das Wohnquartier gilt als „Schaufenster“ der IBA, hat auch in diesem Jahr noch Hunderte Architekturinteressierte angelockt, und gehört mit dem markanten Neubau der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) zur „Neuen Mitte Wilhelmsburgs“.

Läpple lebt in einem der sogenannten Smart-Price-Houses. Er mag die Außenfassade aus Holz, die kluge Architektur und den Blick in den Park. Auch in dem lebendigen Stadtteil Wilhelmsburg fühlt er sich wohl. „Aber ich sorge mich um das Erbe der IBA“, sagt er. Sie sei überwiegend auf Verbesserung der Arbeits- und Lebensqualität der Menschen vor Ort ausgerichtet gewesen. Durch eine behutsame Stadtreparatur sollte die Abwärtsspirale gestoppt werden, in der sich Wilhelmsburg seit Jahrzehnten befand. Tatsächlich sei im Rahmen der IBA „Grandioses geleistet und eine Trendwende eingeleitet worden“, so Läpple. Statt einer Unterstützung dieser Trendwende durch eine verlässliche Politik sieht er in vielen Politikbereichen einen Rückfall in die Vor-IBA-Zeit. Von dem Entwurf des bunt-geschwungenen BSU-Neubaus war er zunächst begeistert. Mit seiner Transparenz, Offenheit, Funktionsmischung und Einbindung in die Landschaft sollte dieses Gebäude eine Vorbildfunktion für die „Neue Mitte Wilhelmsburg“ haben. „Der öffentlich nutzbare Erdgeschossbereich sollte sich zum öffentlichen Raum des Stadtteils hin öffnen“, sagt Läpple. Nun steht man vor einer schwarzen, abweisenden Fassade. Die Bauherrin, die städtische Sprinkenhof AG (SpriAG), habe das Gebäude aus Gründen der Energie-Effizienz mit schwarzem Glas vor den Blicken der Passanten abgeschottet. Dass es mit dem Stadtmodell einen Schatz beherberge, sei von außen nicht zuerkennen.

Wo ursprünglich ein Café mit Außenplätzen geplant war, klafft jetzt die Einfahrt zur Tiefgarage. Und statt kleiner Läden zog der Landesbetrieb für Geoinformation und Vermessung ein. „Die Stadtentwicklungsbehörde fordert von privaten Investoren bei jedem größeren Projekt zu Recht einen Nutzungsmix, doch ihr eigenes Gebäude ist ein rein monofunktional“, so der Städteforscher. Was ihn besonders ärgert: Der geplante Durchblick auf eine hinter dem Gebäude gelegene Lindenallee und die sich anschließende Rathauswettern wird ebenfalls durch schwarzes Glas versperrt. „Die Gold-Zertifizierung war Behörde und SpriAG wichtiger als die Öffnung zum Stadtteil und zur Landschaft.“ Das schwarze Glas sei als Sonnenschutz und nicht wegen der Klassifizierung eingebaut worden, widerspricht SpriAG-Sprecher Lars Vieten, räumt aber ein: „Tatsächlich waren 600 Quadratmeter im Erdgeschoss für kleinteilige gewerbliche Nutzung vorgesehen gewesen. Dieser Gedanke musste aber aufgegeben werden, weil der Landesbetrieb für Geoinformation und Vermessung Flächenbedarf hatte.“

Auch das IBA-Ziel, die lokale Kreativ- und Sozialökonomie zu stärken, ist Dieter Läpples Ansicht nach bedroht. Die SpriAG ließe in dem von ihr bewirtschafteten Gewerbehof am Veringkanal 30 Prozent der Flächen leer stehen, weil sie sie nicht zu den erwarteten Mieten loswerde. „Sie könnte die Räume zum Selbstkostenpreis anbieten“, sagt er. Der Bedarf an Kreativflächen ist in Wilhelmsburg groß, im Weltgewerbehof an der Rotenhäuser Straße gibt es lange Wartelisten.“ Nach Angaben der SpriAG liegt der Quadratmeterpreis mit 6,50 Euro im unteren Preisniveau. „Eine Subventionierung können wir uns nicht leisten, wir müssen wirtschaftlich handeln“, so Sprecher Vieten.

An anderer Stelle blockiere das Jobcenter die von der IBA angeschobene Entwicklung, so Stadtökonom Läpple. In der Tat hat Teamarbeit Hamburg gerade die Förderung der 75 Ein-Euro-Jobbern aufgekündigt, die in dem ebenfalls am Veringkanal ansässigen Textilverleih KostümGut und teilweise in der Stoffwerkstatt NähGut tätig waren. Die aus IBA-Sicht sozialökonomisch wichtigen Institutionen müssen daher zum 1. Februar 2015 schließen. „Hier waren besonders viele Frauen mit Migrationshintergrund beschäftigt, die sonst nicht aus dem Haus kommen“, sagt Andrea Franke, Prokuristin des Trägers Grone-Netzwerk. Nach Jahren erfolgreicher Arbeit habe sie nicht mit den Streichungen gerechnet. „Wir fördern keine Projekte oder Maßnahmenträger, sondern einzelne Arbeitslose,“ begründet Jobcenter-Geschäftsführer Friedhelm Siepe das Vorgehen. Dieter Läpple dagegen sagt: „Die Behörden konterkarieren die IBA-Qualitätskriterien.“