In einer Serie stellt das Abendblatt Quartiere in Hamburgs Osten vor, die weiterentwickelt werden sollen. Heute geht es um den südlichen Teil von Hamm. Architektin: „Standort hat enorm viel Potenzial.“
Hamburg. Weiden, Birken, Ebereschen und Brombeersträucher säumen die Ufer. Dahinter tauchen Gewerbehallen aus verschiedenen Jahrzehnten auf: Zwischen nüchternem Wellblech stehen historische Backsteinmauern, manche mit Lastenaufzug, andere mit Bootsanleger. Auch zahlreiche Kleingärten, teils mit kleinen Häusern bebaut, erstrecken sich längs der Bille. Deren Idylle kennen bislang nur wenige. Mit dem Stadtentwicklungsprogramm „Stromaufwärts an Elbe und Bille“ hat der Senat nun das Augenmerk auf diesen Wasserlauf und seine Kanäle gelenkt.
Auch der Verein „Hamburg – Grüne Metropole am Wasser“ will sich einen Eindruck verschaffen und hat zu einer Barkassenfahrt über die Bille und deren Seitenkanäle geladen. „Bevor hier das große Bauen losgeht, möchten wir sehen, welche Kulturgüter man weiterentwickeln kann und welche geschützt werden müssen“, sagt der Landschaftsarchitekt und Vereinsvorsitzende Jan Michael Runge. An Bord der Barkasse sind interessierte Bürger, aber auch Fachleute aus Stadtentwicklungsbehörde und Denkmalschutzamt, Architekten und Landschaftsplaner. Die Erkenntnisse, zu denen die Vereinsmitglieder auf dieser Tour kommen, werden sie als Empfehlung an die Behörden weitergeben – auf ähnliche Weise haben sie sich bereits bei Alster und Elbe eingebracht.
Die Grundlage für die neue Wohnungsbauoffensive im Osten der Stadt ist ein Konzept, das von Landschaftsarchitekten und Stadtplanern entwickelt wurde.
Für das überwiegend gewerblich genutzte südliche Hamm sieht es vor, die Wohnangebote zu ergänzen und öffentliche Räume an Wasserlagen neu zu gestalten. Auch sogenannte Mischnutzungen, etwa am Billebecken mit seinem rauen Charme, das größer als die Binnenalster ist. Es ist umgeben von niedrigen Gewerbehallen, zwischen denen das historische Backsteingebäude der Schule Bullenhuser Damm liegt und ein kleiner, vernachlässigter Park mit zwei Hochbunkern im Hintergrund. Freie Grundstücke sind hier rar. Dass die ansässigen Firmen die Wasserlage durchaus schätzen, zeigen Stühle und Sonnenschirme auf Balkonen oder Vorplätzen und die vielen Boote, die an den Stegen vor den Gebäuden liegen.
„Dieser Standort hat ernorm viel Potenzial“, sagt Architektin Ingrid Spengler, die das Konzept mit erarbeitet hat. Dennoch dürfe das Gewerbe nicht verdrängt werden. Stattdessen könne man es – wie in München und Paris – stapeln. So könnte man Zugänge zum Ufer schaffen und Grundstücke, die ans Wasser grenzen. Außerdem gebe es in der Gegend schöne Endkanalstücke, die sich als Standort für neue Industrie anböten. „Wohnen und Arbeiten können sich hier prima ergänzen“, so ihr Fazit. „Man muss nur neue Strukturen schaffen.“ Die Barkasse biegt in die Bille ein. Backbord liegt die vor rund 15 Jahren errichtete Wohnanlage der Baugenossenschaft Freier Gewerkschafter (BFG). Die Häuser kommen dem Gewerbe am Billebecken schon ziemlich nah, getrennt eigentlich nur von dem ehemaligen Gelände einer Schiffswerft, die vor einigen Jahren abgebrannt ist. Auch dort will die BGF schon lange Wohnungen bauen – eine Kontaminierung des Grundstücks führte bislang jedoch zu Verzögerungen.
Ein Stück weiter im Rückerskanal – dort, wo er am Rande des Osterbrookviertels auf den Mittelkanal trifft – entsteht derzeit auf einer ehemaligen Grünfläche das Wohnquartier Hansa-Terrassen. Die weißen, kastenförmigen Gebäude mit den goldenen Balkongeländern wollen nicht so recht in die backsteingeprägte Gegend passen. Die aber hat unübersehbaren Charme: Direkt neben der historischen Hansaburg, einer ehemaligen Papierfabrik, blicken die künftigen Bewohner auf Bootsstege, Kleingärten und Gewerbelofts. Von den 102 Eigentumswohnungen sind die meisten schon verkauft, die letzten noch verfügbaren kosten zwischen 205.000 (60 Quadratmeter) und 495.000 Euro (136 Quadratmeter).
„Die Hansa-Terrassen passen weder architektonisch noch preislich nach Hamm“, sagt Astrid Bültemeier, die auf der anderen Kanalseite einen Kleingarten mit Wasserzugang gepachtet hat. Die Leiterin des Career-Centers an der TU Harburg hatte zunächst selber kurz in Erwägung gezogen, aus Hamm-Nord hierher zu wechseln. Sie und ihre Kleingarten-Nachbarn ärgern sich über den Gebäudekomplex – nicht nur wegen seines Anblicks und weil er ihnen die Abendsonne nimmt. „Ich hätte schon Verständnis dafür, wenn hier bezahlbarer Mietraum geschaffen worden wäre“, sagt Astrid Bültemeier. „So aber sieht es nach Geldmacherei auf Kosten von Grünflächen aus, die zudem noch die Gefahr der Gentrifizierung birgt.“
Auch Architektin Spengler findet, man müsse im südlichen Hamm behutsam bauen. „Hier wünscht man sich kein konventionelles, sondern individuelles Wohnen“, sagt sie. „Die vielen Facetten, die es hier gibt, findet man in einem Stadtplanerleben nicht allzu oft. Das darf nicht verloren gehen.“ Daher dürfe auch die Bullerhuder Insel nicht angetastet werden.
Auch die lang geforderten Fahrradwege am Wasser sollen realisiert werden
Die wäre ein Eldorado für Stadtplaner. Das halbkreisförmige Eiland zwischen Hamm und Rothenburgsort, an dem die Barkasse jetzt gemächlich vorbeizieht, wird von Bille und Bullerhuder Kanal umflossen und ist eine der größten Kleingartenkolonien Deutschlands. Eine lebendige Idylle mit malerischen Lauben, alle mit Bootssteg, etliche dauerhaft bewohnt.
„Diese traumhafte Kulisse kann bewahrt werden“, sagt auch Stadtplaner Rolf Kellner zu der Industrie- und Kleingartenidylle. „Es muss ja nicht immer die HafenCity sein, auch weniger Aufwand führt zu Qualität.“ Kaum einer kennt den Hamburger Osten und dessen Bewohner besser als er. „Manche hier sind durch die Stadtentwicklungspläne alarmiert, die anderen hoffen, dass sie davon profitieren werden“, sagt Kellner. So könne mit der Entwicklung des Areals einhergehen, dass endlich die lange geforderten Fahrradwege am Wasser realisiert werden. „Die sind wichtig, um große Hindernisse wie etwa die Eiffestraße unterqueren zu können“, sagt Kellner.
Auf der Bille und den Kanälen wären Elektrobarkassen denkbar – unter anderem für Schulkinder. Denn wo neue Wohnungen entstehen, ziehen hauptsächlich junge Familien hin, was wiederum die Schulen vor Ort stärkt. Da in der HafenCity wegen der hohen Grundstückspreise eher keine neuen Bildungseinrichtungen gebaut würden, wäre es durchaus denkbar, dass einmal Kinder von dort in Hamm oder Rothenburgsort zur Schule gehen könnten, so Kellner. „Und warum sollen sie nicht den kürzesten Weg übers Wasser nehmen?“
Auch Michael Osterburg, Fraktionsvorsitzender der Grünen in Hamburg-Mitte, begrüßt das Stadtentwicklungsprogramm des Senats. „Gerade das Osterbrookviertel hat Nachverdichtungspotenzial“, sagt Osterburg, der selber in Hamm wohnt. Er setzt voraus, dass das geplante „Bündnis für Quartiere“ – ein Zusammenschluss von Saga GWG, Genossenschaften, privaten Bauunternehmen und dem Bezirk Mitte – auf Verträglichkeit achtet.
Auch in den Kleingartengebieten kann sich Grünen-Politiker Michael Osterburg sehr gut Wohnungsbau vorstellen – ohne aber bitte die jetzigen Nutzer zu vertreiben, betont er. Das sei ganz wichtig.
„Denkbar ist, die alten Behelfsheime auszubauen oder die Grundstücke für Wohnungsbau weiterzuentwickeln“, sagt Osterburg. „Dann könnten die Gartenbesitzer sich dort richtige Häuser bauen.“ Die Landschaftsarchitekten plädieren ebenfalls für einen behutsamen Umgang.
„In unseren Augen sind die facettenreichen grünen Ufer ein großer Schatz, den man bewahren muss und wirklich nur sehr vorsichtig erschließen sollte“ – so lautet das Fazit von Jan Michael Runge nach der Barkassentour in Hamburgs Osten, der so viel Potenzial birgt.