Der Hamburger Senat will die östlichen Stadtteile attraktiver machen. In einer kleinen Serie zeigt das Abendblatt, was in diesem Zusammenhang genau geplant ist. Heute: Hammerbrook.
Hammerbrook. Wer den Heidenkampsweg entlangfährt, erhascht zwischen den Bürohäusern einen Blick auf glitzerndes Wasser. Auch von der S-Bahn aus ist es gut zu sehen, wenn sie auf mächtigen Betonsäulen durch die City Süd rumpelt: Hammerbrook, der Stadtteil zwischen Hauptbahnhof und Bille, ist von idyllischen Kanälen durchzogen – ein Kontrast zu den Bürohäusern, die das Viertel heute prägen. Die Wasserstraßen, die im 19. Jahrhundert für Gewerbe und Industrie angelegt wurden, haben den Zweiten Weltkrieg überdauert, der mit 60.000 Menschen einst dicht besiedelte Arbeiterstadtteil dagegen wurde 1943 von britischen Bombern fast komplett zerstört. Heute hat er nur noch 1700 Einwohner; die meisten leben im Münzviertel hinter dem Hauptbahnhof.
Nun sollen die Schäden der „Operation Gomorrha“ repariert werden. Hammerbrook, besser gesagt: die City Süd soll wieder ein Wohnviertel werden. Die Planungen sind Bestandteil des Stadtentwicklungsprogramms „Stromaufwärts an Elbe und Bille“, das die Potenziale der östlichen Quartiere am Wasser ausschöpfen will. Hammerbrook, dessen Kanäle kaum zugänglich sind, bildet dabei einen Schwerpunkt: Neben etlichen neuen Hotels sollen insgesamt 2000 Wohnungen und eine neue Infrastruktur entstehen – mit zwei Kitas, einem Supermarkt, Arztpraxen und Läden in den Erdgeschossen der Neubauten. Die Hauptkirche St. Jacobi möchte hier sogar eine Begegnungsstätte schaffen – sozusagen als Ersatz für die im Bombenhagel zerstörte St.-Annen-Kirche. Und wie häufig bei Stadtentwicklungsprozessen sind die Kreativen bereits da: sie haben sich im ehemaligen Betriebshof der Wasserwerke an der Süderstraße niedergelassen. Kulturelle Verstärkung kommt durch das neue Musicaltheater, das in die Großmarkthalle einziehen wird.
Allein auf dem Areal zwischen Nordkanalstraße, Sonninkanal, Nagelsweg und Amsinckstraße werden 1200 Wohnungen gebaut – ein Großteil davon auf dem ehemaligen Grundstück des Elektronikkonzerns Sharp. 3,5 Hektar groß erstreckt es sich von der Nordkanalstraße bis zum Mittelkanal, westlich flankiert vom Sonninkanal. An dessen Ufer drehen sich bereits Baukräne, über das Wasser klingt der Lärm von Säge und Hammerschlägen. Hier entsteht bis 2016 das Quartier „Hammerleev“ mit 350 Wohneinheiten, darunter Sozial- und Eigentumswohnungen. Ein weiterer Wohnkomplex ist an der Sonninstraße geplant – dafür werden das jetzige Sharp-Verwaltungsgebäude am Mittelkanal und eine große Lagerhalle abgerissen. Zwischen den beiden Neubauprojekten wird ein öffentlicher, 10.000 Quadratmeter großer Park angelegt. Der neue Sharp-Unternehmenssitz an der Nordkanalstraße soll in das Wohnquartier integriert werden und es vom Verkehrslärm abschirmen.
Ein Komplex mit 200 weiteren Wohnungen entsteht an der Norderstraße, auf der gegenüberliegenden Seite des Mittelkanals. Dessen Ufer sind hier, zwischen Hammerbrook- und Amsinckstraße, zwar erschlossen, aber ungepflegt. Unkraut wuchert zwischen Pflastersteinen und aus Treppenstufen, die zum Wasser führen. Mülleimer quellen über; Verpackungsmüll und Glasscherben liegen herum. Die Büroangestellten aus der Umgebung strömen dennoch an den Kanal, um dort ihre Mittagspause zu verbringen. „Mit der Wohnbebauung werden auch die Uferbereiche zu Plätzen mit attraktiver Aufenthaltsqualität“, verspricht Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) bei einem Spaziergang durch das Quartier.
Einen Vorgeschmack auf das quirlige Leben, das hier künftig auch außerhalb der Mittagszeit herrschen soll, bekommt man vor den Hammerbrooker Höfen. Die Kantine des im vergangenen Jahr fertig gestellten Verwaltungsgebäude der Deutschen Bahn öffnet sich mit Außenbestuhlung und Lounge-Bereich zur Uferpromenade hin, lockt auch externe Gäste an und ist bis in die Abendstunden geöffnet.
„Hammerbrook kann als einziger Hamburger Stadtteil seine Einwohnerzahl auf rund 4000 verdoppeln und bekommt zusätzlich einen Park und eine bessere Infrastruktur“, sagt Sybill Petermann, Sprecherin der IG City Süd. Die Unternehmen seien von dem Investorenkonsortium von Bargen und August Prien von Anfang an die Planungen rund um den Mittelkanal einbezogen worden. Jetzt gehe es nur noch darum, dem neuen Stadtteil den passenden Außenauftritt zu verschaffen.
Die Mitarbeiter der umliegenden Büros begrüßen, dass die City Süd zum Wohnquartier werden soll. „Weil es jetzt niemanden stört, werden am Wochenende auf der Straße Partys gefeiert. Dann ist am Wochenanfang alles vermüllt“, sagt Roland Krause vom Energiedienstleister Urbana. Seine Kollegin Susanne Spiess hofft, dass die Ufer nach der Aufwertung besser gepflegt werden und es mehr Sitzgelegenheiten gibt. „Es ist schön, wenn das Viertel auch außerhalb der Bürozeiten belebt wird. Es liegt attraktiv am Wasser, hat eine gute Verkehrsanbindung“, sagt Markus Wolfgramm vom Technologieberater Salt and Pepper. Nur ein Supermarkt und ein Drogeriemarkt fehlten hier noch, fügt seine Kollegin Vanessa Jürs hinzu. Die vermisst auch Lea S., die seit einem halben Jahr in dem neuen Studentenwohnheim an der Hammerbrookstraße lebt. „Man merkt, dass Hammerbrook ein Bürostandort ist. Ein paar Cafés und Kneipen wären schön“, sagt sie.
Die lassen wohl noch auf sich warten, dafür liegen in Hammerbrook schon mehrere Hausboote: drei individuelle am Mittelkanal – einer davon ist der schwimmende Veranstaltungssaal „Kai 10“ – sowie sieben Floating Homes im Hochwasserbassin etwas weiter östlich. „Hier am Victoriakai soll eine richtige Hausbootsiedlung entstehen“, sagt Andy Grote, der von den Wasserstraßen in seinem Bezirk so fasziniert ist, dass er gerade seinen Sportbootführerschein macht.
Erst sehr wenige Floating Homes sind verkauft, weiß Karsten Marsch, der mit Vater und Bruder das BSV-Casino in unmittelbarer Nachbarschaft der Luxusboote betreibt. Die Gaststätte liegt auf der Tennisanlage des Betriebssport Verbands Hamburg (BSV), die sich vom Berliner Bogen am Heidenkampsweg bis zur Süderstraße erstreckt. Durch das Gelände soll der Alster-Elbe-Grünzug verlaufen, der als Verlängerung des Lohmühlenparks in St. Georg bis zum Elbpark Entenwerder führt. Dazu müssen die bestehenden Wege, die an den Kanälen und am BSV-Casino entlangführen, verbreitert werden; auch eine Neugestaltung des wild wuchernden Grüns ist geplant. Den Marschs ist die Aufwertung ihrer Umgebung nur recht. „Es muss auch instand gehalten werden“, sagt Senior Rüdiger. „Daran hapert es ja oft in Hamburg.“
Ulrich Lengwenat-Hahnemann, Geschäftsführer des Betriebssport-Verbands, nennt den geplanten Grünzug sogar einen „Boulevard“. Dass er dafür vier der insgesamt 18 bespielten Tennisplätze hergeben muss, stört ihn nicht. „Die vorhandene Grünanlage ist besonders Richtung Süderstraße ziemlich verwahrlost. Da muss dringend etwas gemacht werden“, sagt er. Außerdem hat der Bezirk ihm als Gegenleistung den Mietvertrag um weitere 25 Jahre verlängert.
Auch wenn es in Hammerbrook schön wird: Angst vor Gentrifizierung jedenfalls müsse keiner haben, sagt Andy Grote. „Hammerbrook ist etwas für Pioniere, denen die raue Atmosphäre hier gefällt“, sagt er. Der Stadtteil sei zwar innenstadtnah und könne den Wohnungsdruck von St. Pauli und St. Georg nehmen. „Aber zu schick wird es hier nie sein“, sagt er.