165.000 Menschen feiern Parade zum Christopher Street Day. „Nur wenn wir laut sind, hört man uns auch“, sagt einer der Veranstalter. Warum sich viele Homosexuelle noch benachteiligt fühlen.
Hamburg. Schrille Kostüme, fröhliche Menschen, laute Musik und viel nackte Haut – auf den ersten Blick präsentierte sich die bunte Parade zum Christopher Street Day wie eine große Party. Angeführt von Dragqueen Olivia Jones zogen am Sonnabend rund 15.000 Teilnehmer unter dem Motto „Grenzenlos stolz statt ausgegrenzt“ von St. Georg in die Innenstadt. Geht es ihnen tatsächlich mehr um den Protest als ums Feiern? Und müssen Homosexuelle in einer Stadt wie Hamburg, die lange von einem schwulen Bürgermeister regiert wurde, überhaupt noch für mehr Toleranz und Rechte kämpfen?
„Auf jeden Fall!“, sagt der Berliner Fotograf Rüdiger Trautsch. Der 68-Jährige nimmt seit 1973 regelmäßig am Christopher Street Day teil, der in vielen Ländern einmal pro Jahr an die Straßenschlachten erinnert, die sich Schwule, Lesben und die New Yorker Polizei am 28. Juni 1969 geliefert haben. Gerade die Debatte um Homosexualität in Russland am Rande der Olympischen Spiele habe den Protest neu entfacht, so Trautsch. „Sie zeigt den homophoben Gegenwind, der uns noch immer entgegenweht.“ Daher nimmt der (normal angezogene) Fotograf heute auch nicht nur an der Parade teil, sondern wirbt für die Kampagne „enough is enough“, die darauf aufmerksam macht, dass sexuelle Orientierung keine Entscheidung, sondern angeboren ist.
„Wir wollen schrill und bunt sein, damit die Welt auf uns aufmerksam wird“, sagt Dragqueen Patrick alias Geena Tequila, der mit seinem goldenen Glitzerkleid, der kastanienfarbenen Lockenperücke und den ellenlangen Wimpern sofort ins Auge fällt. „Es gibt immer noch viele Länder, in denen auf Homosexualität die Todesstrafe steht. Und auch in Deutschland wird man als Homosexueller oft beschimpft.“ Er sei schon oft wegen seiner Sexualität diskriminiert worden, sagt der 24-Jährige. In Ägypten, wo er früher als Animateur arbeitete, durfte er nach einigen Wochen sein Hotel nicht mehr betreten. In Österreich, wo er später als Dragqueen auftrat, sei er bespuckt worden. Patrick ist seit vier Jahren verheiratet, Andreas alias Tante Woo seit sechs Jahren. Ebenso wie der gold gewandete Patrick moniert auch Andreas, 46 Jahre alter Opernsänger in pinkfarbenem Kleid, dass Homosexuelle in Deutschland immer noch benachteiligt würden. „Ich wäre nach der Scheidung unterhaltspflichtig, kann aber kein Kind adoptieren. Und ich darf nicht Blut spenden – meine Organe aber sind nach meinem Tod willkommen“, sagt er.
Sicherlich sei schon viel erreicht worden seit den 80er-Jahren, doch man müsse weiterkämpfen. „Es muss selbstverständlich werden, dass Männer auf der Straße Händchen halten oder sich küssen dürfen, ohne dass sie verächtliche Blicke ernten.“ „Wir haben in Deutschland schon wichtige Teilerfolge erzielt“, finden David, 27, im eng anliegenden Turnerdress, und Benjamin, 35, in Anzug und hochhackigen Schnürstiefeln. Sie nehmen am CSD teil, um sich mit Homosexuellen in aller Welt solidarisch zu zeigen. Luca, 16, und Panthea, 18, demonstrieren mit Regenbogenfahne, bemalten T-Shirts und einem bunten Schild für mehr Toleranz nicht nur Homosexuellen gegenüber, sondern auch Transgendern (Menschen, die sich nicht auf eine männliche oder weibliche Geschlechterrolle festlegen können).
„One day we march in Iran“ („Eines Tages marschieren wir im Iran“), „Homophobie tötet“ oder „Schluss mit der Todesstrafe für Homosexuelle“ – zwischen den bunten Kostümen gibt es viele Plakate und Spruchbänder, die von der politischen Botschaft der Christopher Street Day Parade zeugen – auch, wenn das laute Dröhnen der Musik von den 15 Trucks einen anderen Eindruck erwecken mag. „Nur wenn wir laut sind, hört man uns auch“, sagt Marc-Pierre Hoeft vom veranstaltenden Verein Hamburg Pride, der sich über die Rekordzahl von 150.000 Besuchern – also insgesamt 165.000 Feiernde – freut.