Mutter ab heute wegen Mordes vor Gericht. Mehr Meldungen über Kindeswohlgefährdungen. Dem Vater wird Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen vorgeworfen.
Hamburg. Der gewaltsame Tod der erst dreieinhalb Jahre alten Yagmur („Yaya“) Y. aus Billstedt im vergangenen Dezember brachte eine Fülle von Missständen, Versagen und Fehlentscheidungen ans Licht. Nachdem Behörden und Ämter erste Konsequenzen aus dem tragischen Fall gezogen haben und die Bürgerschaft dabei ist, den Tod durch einen Untersuchungsausschuss auch politisch aufzuarbeiten, verhandelt das Landgericht von heute an gegen die eigentlich mutmaßlichen Verantwortlichen: Yagmurs Eltern.
Ihre Mutter ist wegen Mordes angeklagt, dem Vater wird Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen vorgeworfen. Er soll seine Tochter nicht vor den Misshandlungen seiner Frau geschützt haben. Nach dem Fund des toten Kindes hatte zunächst der Vater als Hauptverdächtiger gegolten. Erst im April nahm der Fall eine überraschende Wendung. „Der ursprüngliche Tatverdacht basierte weitgehend auf den Angaben der Mutter”, hatte Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, damals erklärt. Doch die Ermittlungen hätten ergeben, dass die Version der Frau nicht stimmen könne. Die Anklage sieht bei der Mutter das Mordmerkmal der Grausamkeit erfüllt.
Der Fall offenbarte nicht nur das nahezu unvorstellbare Leiden des Pflegekindes, welches seit seiner Geburt unter staatlicher Obhut stand und offenbar während der gesamten Zeit im Haus der leiblichen Eltern misshandelt wurde. Er zeigte auch, wie nachlässig und falsch Richter, Staatsanwälte, Jugendämter und Kitas Entscheidungen getroffen haben. Immer wieder hatte es Hinweise auf schwerste Misshandlungen gegeben. Dennoch kam das kleine Mädchen zurück zu den leiblichen Eltern, wo es am Ende starb. Der Untersuchungsausschuss hat herausgearbeitet, dass es an den Schnittstellen zwischen den Institutionen Defizite gab. Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) hat in der vergangenen Woche mehr Personal für die Jugendämter und eine bessere Kooperation zwischen den für den Kinderschutz zuständigen Stellen angekündigt.
Nach dem tragischen Schicksal von Yagmur ist die Zahl der Meldungen über Kinder und Jugendliche, deren Wohl in Gefahr ist, gestiegen. Wie die „Bild“ berichtet, sind allein im April dieses Jahres 1085 Meldungen eingegangen. „In den ersten vier Monaten 2014 waren es im Durchschnitt 1043 Meldungen“, sagte Sozialbehördensprecher Marcel Schweitzer. Zum Vergleich: 2012 waren es im selben Zeitraum 912 Meldungen. Zudem haben die Jugendämter nach Angaben der Sozialbehörde vergangenes Jahr 890 Kinder und Jugendliche aus ihren Elternhäusern geholt und in Obhut genommen. Die Zahl steigt auf 1866, wenn man die Jugendlichen hinzuzählt, die sich freiwillig bei den Behörden gemeldet haben. Darunter befindet sich eine große Zahl von Flüchtlingen. Derzeit sind bei den Jugendämtern fast 10.000 Fälle registriert, in denen Familien Erziehungshilfen benötigen. Rund 2700 Kinder leben in Kinderschutzhäusern oder in betreuten Wohnungen.