Möbelpacker räumen Wohnungen leer. Die Mieter dürfen aus Sicherheitsgründen nur zusehen, gehen aber ohne Wehmut. Die Bayerische Hausbau plant 240 Wohneinheiten, jeweils ein Drittel Miet-, Sozial- und Eigentumswohnungen.
Hamburg. Rainer Frank geht nicht gern, aber ohne Wehmut. Acht Jahre hat er in dem Ein-Zimmer-Apartment an der Kastanienallee gewohnt, über der Esso-Tankstelle, im dritten Stock. „Man konnte drin wohnen, aber es war alles stark renovierungsbedürftig“, sagt der 52-Jährige. Kontakt zu den Nachbarn habe es kaum gegeben, aber vor der Tür, da tobte das Leben. An seinem künftigen Wohnort, dem Holstenplatz in Altona-Altstadt, geht es etwas ruhiger zu. Dort hat der ehemalige Bewohner der Esso-Häuser eine Ersatzwohnung bekommen – ebenso wie mehrere seiner früheren Nachbarn.
Um 8 Uhr am Dienstag hat das Ausräumen der Esso-Häuser am Spielbudenplatz begonnen, die Mitte Dezember zwangsevakuiert worden waren, nachdem Bewohner Erschütterungen und Risse in den Wänden gemeldet hatten. Auch Rainer Frank war damals von der Polizei wach geklingelt und aus seiner Wohnung geholt worden. Er verbrachte die Nacht in einer Turnhalle.
Der Umzug geht nun zügig voran; die ersten kleinen Apartments sind schnell geleert. Statt um 10 Uhr wird Rainer Frank schon um kurz nach halb zehn von den Möbelpackern ins Haus gebeten, um ihre Arbeit zu begleiten. Selbst mit anpacken darf er nicht – das Risiko neuer Erschütterungen soll gering gehalten werden.
Rainer Franks Hab und Gut wird in Umzugskartons und in blauen Plastik-Big-Packs verstaut und unter großem Interesse von Kameraleuten und Fotografen in den bereitstehenden Möbelwagen geladen. Bernhard Taubenberger von der Bayerischen Hausbau, die die Esso-Häuser 2009 gekauft hatte, und die Sicherheitsleute, die die einsturzgefährdeten Gebäude bewachen, geben sich kulant: Reporter und Kamerateams dürfen das abgesperrte Gelände kurz betreten, um möglichst gute Aufnahmen zu machen.
Christina Röthig muss draußen bleiben. Die Vertreterin der Initiative Esso-Häuser ist als Ansprechpartnerin für die ausziehenden Mieter gekommen, aber auch, um sich den Umzug anzusehen. Seit 2010 setzt sich die Initiative für Erhalt und Sanierung der Häuser ein, angesichts der zunehmenden Baufälligkeit fordert sie jetzt adäquate Ersatzwohnungen für die Mieter und ein Rückkehrrecht zu gleichen Konditionen.
Etliche Mieter brauchen noch Ersatz
„Nur wenige Mieter haben bislang das Glück wie Rainer Frank, eine Ersatzwohnung zu bekommen“, sagt Christina Röthig. Seit der Zwangsevakuierung haben 18 Mietparteien eine neue Bleibe gefunden, heißt es, Anfang Februar sollen es laut Bayerischer Hausbau mindestens 24 sein. Insgesamt sind in den beiden achtstöckigen Esso-Häusern 108 Wohnungen. Nur 76 von ihnen waren während der Evakuierung noch bewohnt, da die Steg Hamburg im Zuge der Umsetzung, die im September begonnen hatte, schon für etliche Mieter Alternativlösungen fand.
„Wir hoffen, dass für alle Mieter passende Wohnungen gefunden werden, die möglichst auf St. Pauli liegen“, sagt Christina Röthig. Es habe sich herausgestellt, dass den Mietern zwar, wie von der Bayerischen Hausbau versprochen, jeweils drei Wohnungen zur Auswahl angeboten würden; die lägen aber teilweise in entfernten Stadtteilen. Besonders immobile und alte Mieter und jene mit Langzeitmietverträgen müssten aber stadtteilnah untergebracht werden, damit sie nicht aus ihrem Umfeld gerissen würden.
So in den Stadtteil integriert, wie die Initiative es immer darstelle, seien nur die wenigsten der Esso-Haus-Bewohner gewesen, sagt Bernhard Taubenberger. „70 Prozent der Mieter sind erst in den letzten vier Jahren eingezogen.“ Da demzufolge ebenso viele ausgezogen seien, könne man daraus schließen, dass die Menschen nicht gerne in den Esso-Häusern gelebt hätten.
„Mit den Esso-Häusern habe ich abgeschlossen“
Evi Madejski, 67, hat hier 13 Jahre lang gewohnt – zunächst mit ihrem Mann, nach der Trennung mit Enkel Justin, 9. Seit der Evakuierung lebt sie in einem Hotel an der Reeperbahn. Am 15. Januar zieht sie mit Justin in eine Ersatzwohnung. „Hinter dem Heiligengeistfeld, mit schönem Stuck und Holzfußboden“, sagt Evi Madejski. Dort will sie bleiben. „Mit den Esso-Häusern“, sagt sie, „habe ich abgeschlossen.“
Deren Abriss wird möglicherweise noch im Januar vom Bezirksamt Hamburg-Mitte genehmigt, dann könnten im März die Bagger anrücken. Für den Neubau hat Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) einen städtebaulichen Wettbewerb angekündigt. Christina Röthig und die Initiative Esso-Häuser fordern ein „bedingungsloses Rückkehrrecht“ für Bewohner sowie Clubs, Kneipen und Geschäfte, zu ähnlichen Konditionen wie vor der Räumung. Außerdem sollten größtenteils Sozialwohnungen entstehen, verlangen sie.
Die Bayerische Hausbau plant 240 Wohneinheiten, jeweils ein Drittel Miet-, Sozial- und Eigentumswohnungen. Zum Spielbudenplatz hin soll der Neubau durch einen Riegel mit für St.Pauli typischem Gewerbe ergänzt werden – ohne „Tanke“. „Eine Tankstelle ist nicht mehr genehmigungsfähig“, sagt Bernhard Taubenberger. Allerdings sehe das Konzept vor, hier wieder einen Treffpunkt einzurichten. „Der ist schließlich wichtiger als Benzin.“