Hamburg. Hamburgs Ex-Generalmusikdirektor und die Wiener Philharmoniker wurden für ein Konzert mit Untertönen gefeiert.
Am 3. Oktober 2001 hatte Gregor Gysi, für die PDS in den Bundestag gewählt, bei einem von Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher dirigierten Laeiszhallen-Konzert eine Rede zum Tag der Deutschen Einheit halten sollen. Ole von Beust, seinerzeit als Spitzenkandidat der Hamburger CDU im Wahlkampf, hatte die Einladung an Gysi Anfang September 2001 als „geschichtslos und geschmacklos“ bezeichnet und die Kulturbehörde zum Unterbinden aufgefordert. Wegen der politischen Lage nach den Anschlägen vom 11. September, so hieß es damals, wurde Gysis Rede schließlich gestrichen. So war das hier, damals.
Mehr als 15 Jahre später, am 23. Januar 2017, ist Ingo Metzmacher wieder in der Stadt, als Gastdirigent der Wiener Philharmoniker. Gereift, ergraut, gelassener, souverän, Stammgast in der Champions League der Orchester. Und er dirigiert ein politisch gedachtes Programm, das viel mit Geschichte und Haltung zu tun hat. Haltung gegenüber der Gesellschaft und der eigenen Zeit, der Politik, der Kunst, dem Übertönenwollen der Mächtigen und erst recht der Gegenrede der Ohnmächtigen.
Zuckerbrot und Peitsche
Am Ende, nach einem in vielerlei Hinsicht denkwürdigen, exemplarischen, anstrengenden Konzert, wird Metzmacher bejubelt und gefeiert und wirkt, bei aller Rührung, auch: bestätigt. Gerade hier, an diesem Ort, gerade mit diesem Programm, das alles andere als leichtgängig war, für eine umwerfende Leistung.
Und auch wenn es zwischen den beiden Terminen und Positionen keine direkte Verbindungslinie gibt, so verbindet sie doch eine gewisse Dialektik; auch, da der erste Konzert-Abend der Wiener (mit Semyon Bychkov am Pult und der Ersten von Mahler) eher als Zuckerbrot-Anteil ihres Gastspiels zu sehen ist und der Abend mit Metzmacher mehr etwas von Peitsche hatte.
Metzmacher warnt mit Musik vor manisch Aggressiven
Drei Unangenehme, drei Sinnsucher mit Musik aus Umbruchphasen des 20. Jahrhunderts hatte er sich für das Comeback vorgenommen: Webern, Hartmann, Schostakowitsch. Nicht unbedingt Repertoire, für das die Wiener als ewige Weltmeister des herzensgebildeten Schönstklangs bekannt sind. Für ihn aber Pflichtstücke, immer wieder. Metzmacher kennen und mögen die Wiener, da spielen sie gern mit, gemeinsam hatte man 2009 Großartiges bei den Salzburger Festspielen geleistet, mit Luigi Nonos „Al gran sole“. Konzerte, die mehr sind als die Sortierung von Noten, sind nun mal Metzmachers Spezialität.
An diesem Abend bewiesen dieser Dirigent und das Orchester nicht nur, wie sinnlich musikalisch man Grenzsituationen erkunden und darstellen kann, sie demonstrierten auch, zum wiederholten Mal in wenigen Tagen, zu welcher Präsenz, kluger Wärme und Brillanz der Große Saal akustisch fähig ist. Selbst wenn man am Ende von Block A im nahen Parkett sitzt, wirkt nichts forciert, unausgeglichen brachial oder, wie es am Anfang sein soll, wie auf in Watte gepackten Zehenspitzen musiziert. Alles, was man dort hört, ist kammermusikalische Raffinesse mit einer Hundertschaft aus Solistinnen und Solisten. Die ganz große Kunst des Weniger.
Die großen Hamburger Orchester und ihre Dirigenten:
Die großen Hamburger Orchester und ihre Dirigenten
Weberns drei Orchesterstücke op. 6, 1913 durch Schönberg in Wien uraufgeführt, für damalige Zuhörer eine legendär gewordene Geschmacksbeleidigung, heute aber nur noch ein hauchfein gesponnenes Mobile aus Tönen und Mischfarben, das durch den Raum schwebt, als wäre es ein Nebel aus apartem Eigensinn, die Schöpfung einer neuen Klang-Welt aus filigraner Instrumentation und dem Bruch mit der noch herrschenden Ästhetik der Spätromantik. Lauter können viele gute Orchester so etwas mühelos spielen. Besser, ergreifender eher nicht.
Karl Amadeus Hartmanns Ausharren in der inneren Emigration während der Nazi-Zeit hielt den Münchner nicht vom Komponieren ab. Seine 1935 begonnene und 1955 beendete Erste – der „Versuch eines Requiems“ – ist ein verzweifelter, in fahl dräuende Düsternis verpackter Hilfeschrei eines Künstlers, der damals schon ahnte, dass er auf lange Zeit unerhört bleiben würde. Er ist aber auch eine Mischung aus Requiem und Sinfonie, mit Texten des Naturphilosophen und Lyrikers Walt Whitman, die von der Altistin Gerhild Romberger mit dunkel leuchtender Intensität in den großen, sich erschöpft aufbäumenden Orchestersatz eingepasst werden.
Elbphilharmonie interaktiv: Videos, Rundtour, Drohnenflug
„Ich sitze und schaue aus auf alle Plagen der Welt ... ich beobachte die Geringschätzung und Erniedrigung, die die Armen von Hochmütigen zu erleiden haben“. Leider zeitlose Worte eines 1892 gestorbenen Amerikaners, gesungen am vierten Tag mit Donald J. Trump im Oval Office.
Auch Schostakowitschs Elfte, einige Jahre nach Stalins Tod zu Papier gebracht, ringt prophetisch und spannungsprall mit dem Leidmotiv über das Verhältnis von denen ganz oben und denen ganz unten. Auch hier wird ganz unverhohlen Versteck gespielt mit der Kritik eines Einzelnen an den vielen Herrschenden.
Elbphilharmonie: Die grandiose Eröffnung
Elbphilharmonie: Die grandiose Eröffnung
Den ersten Satz dirigiert Metzmacher als eine Gratwanderung zwischen Hoffnung und Vorahnung, menetekelt und meißelt ungekünstelt die Zitate aus Volks- und Revolutionsliedern aus dem Orchestersatz heraus, bevor es putinesk losdröhnt und das anfängliche, untertänig eingeschüchterte Klopfen der Pauke an die Schicksalstür im Gemetzel des Machtmissbrauchs versinkt. Überschrieben mit Hinweisen auf zaristische Herrscher, geschrieben aber auch ein Jahr nach dem durch die Sowjets niedergeschlagenen Ungarn-Aufstand.
Metzmacher holte bis zum bitter militaristischen Ende dieses Meisterwerk in unsere Gegenwart, er misstraut dem allzu dick aufgetragenen Pathos und warnt mit Musik und ihren Ausdrucksmitteln vor manisch Aggressiven. Mehr Aufklärung kann ein Konzert in diesen Tagen kaum leisten.