Hamburg. Die Ingenieure und der weltberühmte Akustiker Yasuhisa Toyota schufen etwas Einzigartiges. Fast jedes Detail ist ein Unikat.

Das Ritual wiederholte sich, unbemerkt von der Öffentlichkeit, in regelmäßigen Abständen. Yasuhisa Toyota, der Mann, der die Elbphilharmonie zu einem weltweiten Klangwunder machen soll, inspizierte höchstpersönlich alle paar Monate vor Ort die baulichen Fortschritte in „seinem“ Großen Saal.

Und die ausführenden Ingenieure vom Baukonzern Hochtief harrten dann jedes Mal voller Spannung aus: Ist auch alles so umgesetzt worden, wie vom weltberühmten japanischen Akustiker gewünscht und in Auftrag gegeben? Oder muss wieder nachgebessert werden, weil der Klang-Meister noch nicht zufrieden ist? Geht der Daumen hoch oder runter?

Elbphilharmonie-Eröffnung: So funktioniert der Livestream

Der Große Saal ist das Herzstück der Elbphilharmonie. Ein Bauwerk, in dem es im Grunde nichts gibt, was aus dem Produktkatalog eines Herstellers kommt. Anders gesagt: Alles schon Dagewesene ist diesem Gebäude völlig fremd. Rechte Winkel? Serienfertigung? Standardlösungen? Fehlanzeige! Nahezu jedes Detail musste in mühevoller Zusammenarbeit zwischen Architekten und Ingenieuren völlig neu entwickelt werden.

Vieles bleibt unsichtbar

Hochtief-Projektleiter Dirk Rehaag hat mit seinem Team in elf Jahren Einzigartiges erbaut. Vieles bleibt unsichtbar. Wie die kilometerlangen Lüftungskanäle, die sich hinter den komplexen Metallgerüsten, an dem die Wandelemente im Großen Saal befestigt sind, so millimetergenau winden und verzweigen, dass sie unter jedem der 2100 Sitze Frischluft spenden. Oder die gesamte Technik mit Elektrik, Heizung, Belüftung und Entrauchung über dem Saaldach mit einem Gesamtgewicht von 8000 Tonnen – was dem Startgewicht von 14 Airbus A 380 entspricht.

Anderes ist aus allen Himmelsrichtungen sichtbar. Eine kolossale Dachkonstruktion mit rund 6000 betretbaren Aluminium-Pailletten, die das 200.000 Tonnen schwere Gebäude mit ihrer Wellenform schon aus kilometerweiter Entfernung sozusagen zum Schwingen bringt. Oder die gläserne Fassade mit rund 1100 Glaselementen aus etwa 2200 planen und gebogenen Scheiben.

362 gewaltige Stahlfedern

Wieder anderes begreift der Besucher im Wortsinn erst bei hautnaher Betrachtung. Wie den 12.500 Tonnen schweren aufgehängten Konzertsaal für 2100 Besucher, der auf 362 gewaltigen Stahlfedern ruht und damit vom restlichen Gebäude akustisch komplett entkoppelt ist.

In dem kein Zuhörer weiter als 30 Meter vom Dirigenten entfernt sitzt, und jeder das gleiche Klangerlebnis genießt, weil 10.000 individuell gefräste Gipsfaserplatten mit insgesamt 999.987 ungleichen Wellentälern den Schall gezielt in alle Winkel streuen. Die leichtesten Platten wiegen 30, die schwersten 125 Kilogramm.

Interaktiv: Im Flug die Elbphilharmonie erobern

Als bei einer Begehung Yasuhisa Toyota mit den Klängen noch nicht zufrieden gewesen ist, weil die geplanten Dichtbänder zwischen den Gipselementen für die optimale Schallreflexion nicht ausreichten, hat Hochtief-Ingenieur Werner Kuhn in tagelanger Tüftelei eine Spritztechnik erfunden, mit der die Wand- und Deckenelemente neu verfugt wurden. Sodass sich nun der Schall in 40.000 Kubikmeter Raumvolumen ideal verteilt.

All das wurde erstmals komplett geplant in 3-D-Modellen. Ohne dieses virtuelle Planen, bei dem mehrere Tausend Konflikte gefunden und gelöst wurden, bevor sie in der Praxis zum Problem werden konnten, hätte die Elbphilharmonie nie gebaut werden können, sagt Hochtief-Geschäftsführer Dirk Schaper, Experte für virtuelles Bauen.

Schon der Start ist ein Erlebnis

„Dieses Projekt hat alles Bisherige übertroffen“, sagt Dirk Rehaag. „Technische Herausforderungen, Komplexität des Gebäudes, öffentliches Interesse, Professionalität der Beteiligten. Wir haben in Planung und Bau die Grenzen des Machbaren neu definiert.“

Schon der Start ins Gebäude garantiert ein einzigartiges Erlebnis. Die Bogenrolltreppen der Elbphilharmonie sind weltweit einmalig in Form und Technik. Sie sind mit 82 Metern die längsten Anlagen Westeuropas.

Faszinierender Blick auf Hamburg

Seit Anfang November 2016 befördern sie das Publikum durch eine Röhre, die Tube, zur Plaza in 37 Metern Höhe hinauf. Weil ihre Neigung von 26,5 Grad zu Beginn auf acht Grad am Ende hin abnimmt, können die Besucher während der Fahrt nicht von einem zum anderen Ende sehen – ganz gleich, ob sie nach vorne oder zurückschauen.

Heller Putz, 7900 irisierende Glaspailletten, die je nach Per­spektive in anderen Farben erscheinen, und die Lichteinfälle von den Enden her setzen die Tube in Szene. Oben bietet sich durch ein riesiges Panorama-Fenster ein faszinierender Blick auf Hamburg, den Hafen und die Elbe.

Von der Zwischenebene führt ein weiteres Rolltreppenpaar (Länge 21,10 Meter, Förderhöhe 4,32 Meter) die Besucher durch eine zweite Röhre, die kleine Tube, bis fast zur Plaza. Statt mit den üblichen 30 Grad sind diese Plazarolltreppen nur mit 17,25 Grad geneigt. Das macht auch sie zur Sonderkonstruktion: Führungen, Balustraden und Sockel mussten speziell angefertigt werden.

360-Grad-Rundgang:

Die Plaza ist der zentrale Platz der Elbphilharmonie: Sie ist Aussichtsplattform und zugleich Verteilerebene, von der aus man die Konzertsäle, das Hotel und die Wohnungen, aber auch die Restaurants, Cafés und den Shop erreicht.

Bereits 2007 hatte die Firma Kone, nachdem sich ein Wettbewerber zurückgezogen hatte, den Auftrag für den Bau der Bogenrolltreppen bekommen. Ein Team unter Leitung von Heiner Zeiger entwarf innerhalb eines knappen Jahres die Anlagen, die weltweit ohne Vorbild sind. Vor der Installation wurde ein 1:1-Modell erstellt, um Konstruktionsdetails auf ihre Praxistauglichkeit hin zu klären.

Rolltreppen bewegen 15 Tonnen

Für die Rolltreppen wurde eine notwendige Gesamtleistung von 60 Kilowatt errechnet – das 7,5-Fache einer typischen „Kaufhausrolltreppe“. Es gibt nicht wie sonst üblich einen Antrieb, sondern vier. Bereits im Normalbetrieb muss jede Anlage enorme Lasten bewältigen: Steht auf jeder der knapp 200 Stufen ein Erwachsener, bewegen die Antriebe 15 Tonnen.

Ausgelegt wurde die Anlage jedoch für 120 Kilogramm pro Stufe, also 23 Tonnen Gesamtlast. Die Anlagen laufen mit 0,5 Meter pro Sekunde im Tagbetrieb und mit 0,63 Meter pro Sekunde nach Konzertende, wenn die Besucher zügig nach Hause wollen. Dann werden beide Rolltreppenpaare abwärts geschaltet.

Schon der Beginn stellte alles in den Schatten

Thomas Möller, ehemaliger Hochtief-Chef Norddeutschland, hat das Projekt achteinhalb Jahre gelenkt. Schon der Beginn, sagt er, habe alles in den Schatten gestellt. Anderthalb Jahre dauerte es, ein schlagkräftiges Konsortium aus völlig unterschiedlichen Firmen zusammenzustellen.

Man braucht Hunderte von hochkarätigen Ingenieuren, die sich in der Lage sahen, sämtliche Architekten-Ideen umzusetzen. Und seien sie auch noch so verwegen. Gläserne Fassade, gebogene Rolltreppe, stählerne Federpakete, Weiße Haut – wer kann das liefern, und vor allem zu welchem Preis? „Es klingt banal“, sagt Möller, „aber am Abgabetag bestand die größte Sorge tatsächlich darin, das Angebot rechtzeitig zur städtischen ReGe nach Harburg zu bringen.“

Von den rund 2200 Glasscheiben wurden 595 bei 600 Grad Celsius gebogen.
Das Isolierglas hat eine Wärmeschutzbeschichtung und ein Punktmuster
Von den rund 2200 Glasscheiben wurden 595 bei 600 Grad Celsius gebogen. Das Isolierglas hat eine Wärmeschutzbeschichtung und ein Punktmuster © dpa | Marcus Brandt

Groß war die Erleichterung, dass sie es am 15. September 2006 pünktlich bis zwölf Uhr mittags geschafft haben. Zur Sicherheit hatte Hochtief zwei Autos auf unterschiedlichen Wegen, jeweils bepackt mit fünf Aktenordnern, von Bramfeld nach Harburg geschickt. Genauso groß aber war das Aufatmen bei der Stadt – denn es gab kein weiteres Angebot. Kein anderes Unternehmen sah sich in der Lage, den Architekten-Traum an der Elbe Wirklichkeit werden zu lassen.

Grandiose Klangwelt

Am Ende, als aus dem kühnen Versprechen wirklich eine grandiose Klangwelt geworden ist, konnte auch ein zufriedener Yasuhisa Toyota lächelnd einen Daumen nach oben heben. Es war der 2. September 2016, ein Freitagmorgen um 10 Uhr, als der erste Ton im Großen Saal erklang.

Die 1. Sinfonie von Johannes Brahms, c-Moll, fast 140 Jahre nach der Uraufführung in Karlsruhe. „Ein unglaublicher Moment, wir wussten mit dem ersten Paukenschlag: Das wird fantastisch“, hat NDR-Chefdirigent Thomas Hengelbrock hinterher gesagt. Die Weiße Haut hatte alle Erwartungen übertroffen. Am Schluss, sagt Hengelbrock, seien jedem im Raum die Tränen gekommen. „Wirklich jedem.“

Plaza-Eröffnung in der Elbphilharmonie:

Plaza-Eröffnung in der Elbphilharmonie

Den spektakulären Blick auf Hafen, Elbe und die Hansestadt von der Plaza des neuen Wahrzeichens in 37 Metern Höhe können die Hamburger täglich genießen
Den spektakulären Blick auf Hafen, Elbe und die Hansestadt von der Plaza des neuen Wahrzeichens in 37 Metern Höhe können die Hamburger täglich genießen © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Die Plaza wurde am Freitag feierlich eingeweiht
Die Plaza wurde am Freitag feierlich eingeweiht © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Für viele war der erste Besuch der Plaza ein ganz besonderer Moment
Für viele war der erste Besuch der Plaza ein ganz besonderer Moment © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Mit einem Festakt haben Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), Hochtief-Chef Marcelino Fernández Verdes, Generalintendant Christoph Lieben-Seutter sowie die Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron am Freitagmittag die 4000 Quadratmeter große Plaza der Elbphilharmonie eröffnet
Mit einem Festakt haben Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), Hochtief-Chef Marcelino Fernández Verdes, Generalintendant Christoph Lieben-Seutter sowie die Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron am Freitagmittag die 4000 Quadratmeter große Plaza der Elbphilharmonie eröffnet © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Auch Anwohner der HafenCity, Schüler der benachbarten Katharinenschule und ehemalige Hafenarbeiter waren zu der Veranstaltung eingeladen
Auch Anwohner der HafenCity, Schüler der benachbarten Katharinenschule und ehemalige Hafenarbeiter waren zu der Veranstaltung eingeladen © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Zuvor gab es eine Pressekonferenz mit allen Beteiligten. Die Eröffnung der Plaza sei ein besonderer Tag, sagte Scholz. Er sei froh, dass die Elbphilharmonie endlich fertiggestellt sei
Zuvor gab es eine Pressekonferenz mit allen Beteiligten. Die Eröffnung der Plaza sei ein besonderer Tag, sagte Scholz. Er sei froh, dass die Elbphilharmonie endlich fertiggestellt sei © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Scholz betonte abermals, dass der Bau die richtige Entscheidung der Stadt gewesen sei
Scholz betonte abermals, dass der Bau die richtige Entscheidung der Stadt gewesen sei © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Die Elbphilharmonie sei nicht nur ein architektonisch faszinierender Ort, sondern die Besucher könnten auch eines der besten Konzerthäuser der Welt erleben
Die Elbphilharmonie sei nicht nur ein architektonisch faszinierender Ort, sondern die Besucher könnten auch eines der besten Konzerthäuser der Welt erleben © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Etwa 300 Journalisten, viele von ihnen aus dem Ausland, besichtigten am Freitag die Elbphilharmonie
Etwa 300 Journalisten, viele von ihnen aus dem Ausland, besichtigten am Freitag die Elbphilharmonie © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Zu der Plaza, der als öffentlicher Platz konzipierten Aussichtsplattform des Konzerthauses, führt die 80,2 Meter lange und am Ende gebogene Rolltreppe, auch
Zu der Plaza, der als öffentlicher Platz konzipierten Aussichtsplattform des Konzerthauses, führt die 80,2 Meter lange und am Ende gebogene Rolltreppe, auch "Tube" genannt © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Olaf Scholz auf der Rolltreppe
Olaf Scholz auf der Rolltreppe "Tube" © Roland Magunia | Roland Magunia
Pressekonferenz mit  Jacques Herzog und Pierre de Meuron, Olaf Scholz und Christoph Lieben-Seutter
Pressekonferenz mit Jacques Herzog und Pierre de Meuron, Olaf Scholz und Christoph Lieben-Seutter © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
In seiner Rede erinnerte Scholz auch an die vor Kurzem verstorbene Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos)
In seiner Rede erinnerte Scholz auch an die vor Kurzem verstorbene Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Pierre de Meuron und Jacques Herzog
Pierre de Meuron und Jacques Herzog © Roland Magunia | Roland Magunia
Schon Wochen vor der Plaza-Eröffnung war der Ansturm auf die Tickets groß
Schon Wochen vor der Plaza-Eröffnung war der Ansturm auf die Tickets groß © Roland Magunia | Roland Magunia
Ende Oktober waren schon mehr als 26.000 Karten verkauft
Ende Oktober waren schon mehr als 26.000 Karten verkauft © Roland Magunia | Roland Magunia
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