Der Akustiker Yasuhisa Toyota ist weltweit für seine Expertise gefragt. In Hamburg richtet er den Raumklang in der künftigen Elbphilharmonie ein. Ein Gespräch über das Erleben von Klang.
Er weiß, wie Musik klingen muss oder wenigstens sollte: Der Japaner Yasuhisa Toyota, geboren 1952, gehört zu den renommiertesten Akustikern und ist Präsident der Firma Nagata Acoustics. Er hat um die 60 Konzertsäle realisiert, unter anderem die Disney Hall in Los Angeles oder das Konzerthaus in Kopenhagen. Und auch der langjährige Streit über Hamburgs Elbphilharmonie soll verstummen, wenn erst einmal die ersten musikalischen Töne durch den großen Saal schweben.
Hamburger Abendblatt: Herr Toyota, Sie sprachen mal von einer psycho-akustischen Beziehung zwischen dem Hören und dem Sehen. Was meinen Sie damit?
Yasuhisa Toyota: Der visuelle Teil in einer Konzerthalle wird durch Architekten entworfen, das ist nicht unser Job. Wir verantworten den akustischen Teil. Aber wir müssen als Akustiker die ganze Zeit nachdenken über visuelle Dinge. Weil sie sich auf alles auswirken. Wenn wir Menschen nämlich sehr zufrieden sind mit dem was wir sehen, können wir ein Konzert auch akustisch besser genießen. Es ist zwar unmöglich, das zu beweisen. Aber es steht untrennbar miteinander in Beziehung. Wir müssen die ganze Zeit während unseres Jobs visuelle Dinge mitdenken und diskutieren. Deshalb ist die Koordination, die Zusammenarbeit mit den Architekten, extrem wichtig.
Die Disney-Hall in Los Angeles, die Konzerthäuser in Sidney oder Helsinki haben Sie akustisch gestaltet. Wie viele sind es insgesamt?
Toyota: Mehr als 50, 60, oder waren es 70? Ich weiß es nicht genau.
In Hamburg haben Sie von Anfang an gemeinsam geplant ...
Toyota: Ja. Und uns ging es immer um natürliche Akustik für Orchestermusik, kein Soundsystem mit Lautsprechern und Verstärkern. Da stellte sich die Frage nach der Gestalt des Raumes um so deutlicher. Die ist sehr wichtig, auch was die Dimensionen angeht.
Gibt es eine ideale Platz-Kapazität?
Toyota: Nein. Es geht um Dimensionen, Raumhöhe, Material. Architekt und Akustiker sind beide für ihre Bereiche verantwortlich, im selben Raum. Wenn also ein Architekt seinen Entwurfsprozess anfängt, erwarten wir, uns anschließen zu können. Wenn eine Raumform akustisch nicht funktioniert, müssen wir das diskutieren. Es ist ein Prozess.
Wie konsequent folgen Sie Ihren Überzeugungen, wenn ein Architekt keine Ahnung von Akustik hat?
Toyota: Das hängt von der Persönlichkeit des Architekten ab. Wir wissen ungefähr, wie wir etwas beantworten müssen, um entsprechende Ergebnisse zu erhalten. Wenn die Grundidee eines Architekten nicht mit einer guten Akustik vereinbar ist, er aber flexibel ist, wird das nicht so schwierig. Wir finden dann schnell eine richtige, eine gute Antwort. Wenn sich etwas innerhalb des Entwicklungsprozesses einer Idee in eine schlechte Richtung entwickelt, geht es um Kommunikation.
Es wird sicher Momente geben, in denen Sie einschreiten müssen.
Toyota: Aber ja, das ist unser Job. Man muss das auf immer andere, unterschiedliche Weise erklären, sodass der Architekt es verstehen und akzeptieren kann. Ich bin nur ein Akustiker ...
Die Architekten der Elbphilharmonie, Herzog & de Meuron, sind weltbekannt und zelebrieren ein gewisses Ego ...
Toyota: So ein Ego, von dem Sie sprechen, ist manchmal sehr wichtig für den Architekten. Für seine starken Design-Grundsätze. Ich sage nicht, dass diese Art Ego sehr, sehr negativ ist. Es ist sehr, sehr stark! Was aber die akustischen Belange angeht, so habe ich sie als flexibel erlebt, bereit, meinen Vorschlägen zuzuhören. Dann ändern sie natürlich etwas, oder sie entwickeln etwas anderes. Sie hatten von Anfang an eine klare Vorstellung von ihrem Entwurf. Aber sie sind wirklich flexibel und wollten wirklich bei null anfangen. Das ist wahr.
Sie sind auch stark. Welche Rolle spielt es, dass Sie Japaner sind?
Toyota: Ich kann meine Persönlichkeit, meine japanischen Wurzeln nicht verleugnen. Flexibilität ist dabei natürlich sehr wichtig. Und es geht darum, sich gegenseitig zu respektieren. Aber objektiv kann ich das nicht einschätzen.
Seit 2001 leben Sie in Los Angeles, sind aber in Tokio geboren. Was führte Sie in Ihren Beruf?
Toyota: Ich liebe Musik. Wenn ich es gekonnt hätte, wäre ich Musiker geworden. Ich habe Oboe gespielt, als Amateur. Aber leider, oder glücklicherweise, hatte ich nicht genug Talent und erkannte das. Aber ich wollte dort arbeiten, wo ich der klassischen Musik nahe war. Ich schlug also die Ingenieursrichtung ein.
Sie haben an der Universität im japanischen Kiushu Akustikdesign studiert. Wie ist es dort?
Toyota: Die Hochschule ist einzigartig und sehr klein. In Kiushu studierten wir mit 30 Leuten in einem Jahrgang. Vier Jahre lang, macht 120 Studenten insgesamt. Der Markt für Akustiker ist sehr klein. Einige von uns gingen in die Elektronik-Industrie, andere zu Bauunternehmen und wieder andere an eine Radiostation.
Haben Sie während des Studiums historische Quellen ausgewertet?
Toyota: In Sachen Akustik war meine Ausbildung sehr naturwissenschaftlich. Aber wir berufen uns in der Akustik noch heute auf Wallace Clement Sabine, der als erster Kenngrößen für die Nachhallzeit, Absorption und Schalltransmission in Gebäuden entwickelt hat. Er hat das in sehr wissenschaftlicher Weise erforscht.
Die Firma Nagata Acoustics, wo Sie Präsident sind, ist ein kleiner Laden mit weltweit sehr bedeutenden Auftraggebern.
Toyota: Ja, aber die Größe variiert. Manchmal sind wir 15 oder 16 Leute, je nach Projekt. Bei uns arbeiten Architekten, Physiker, Ingenieure, Elektroingenieure. Akustik umfasst viele Jobs. Wenn man anfängt, kann man erst mal nur die einfachen Dinge, man muss dann unglaublich viel dazulernen.
Welche Rolle spielte Musik in Ihrer Familie?
Toyota: Meine Eltern liebten beide traditionelle japanische Musik. Mein Vater spielte Koto (eine Art Zither), meine Mutter die Bambusflöte. Außerdem spielte mein Vater noch sehr professionell Mundharmonika. Etwas Westliches. Ich bin in dieser musikalischen Atmosphäre aufgewachsen und habe mir viele Fragen gestellt. Zum Beispiel, woher diese westliche Musik kommt? Sie ist universeller, ihre Methodologie ist anders als die der asiatischen. Bei uns sagt den Schülern oder Studenten ein Lehrer, wie sie Musik spielen müssen, ganz anders als im Westen, wo es Noten gibt. Westliche Musik ist logischer, systematischer.
Welche Art Klang wollen Sie in einer Konzerthalle erzeugen?
Toyota: Die Art, Musik zu hören und aufzunehmen, kann sehr unterschiedlich sein. Wenn Ihre Stimme von weither kommt, aber klingt, als ob sie ganz nah dran wäre, würden wir das als seltsam empfinden. Unterschiede sind in diesem Sinne ganz vernünftig, denn der akustische muss mit dem visuellen Eindruck zusammenpassen, mit dem Sinn, dem Gefühl. Wenn man weniger Abstand zur Bühne hat, muss das lauter werden und zu hören sein. Intimität ist trotzdem wichtig.
In „Schuhkarton“-Konzertsälen haben die billigen Plätze oft den besseren Sound. Wie ist das bei der arenaartigen Weinberg-Form der künftigen Elbphilharmonie?
Toyota: Neulich in L.A. hatte ich Gäste, und wir saßen in der Disney Hall im Rang, weit weg von der Bühne. Natürlich hörten wir die Distanz. Aber wir hörten trotzdem gut. So soll es auch in der Elbphilharmonie werden, und so ist es auch bei den Berliner Philharmonikern. Wenn die Balance des Klangs identisch auf allen Plätzen wäre, wäre das sehr sonderbar. Die Balance fällt immer unterschiedlich aus. Es ist Unsinn, alles gleich machen zu wollen.
Proben Sie mit Musikern, auch wenn der Raum, für den Sie die Akustik schaffen, noch gar nicht da ist?
Toyota: Wir evaluieren die ganze Zeit über den Klang mit Musikern auf einer Bühne. Musik ist eine sehr, sehr subjektive Sache. Weil sie Kunst ist. Musik ist etwas Mysteriöses. Ebenso wie die Akustik, denn wenn die Musik wechselt, wechselt auch die Akustik. Darüber müssen wir die ganze Zeit diskutieren. Wir diskutieren die Qualität von Musik, die die Akustik entfaltet. Es kommen viele Faktoren, viele einzelne Eindrücke zusammen, es ist komplex.
Die technischen Möglichkeiten, Musik zu hören, haben sich enorm entwickelt. Die Studioqualität für Aufnahmen klassischer Musik ist nahezu perfekt. Spielt das eine Rolle?
Toyota: Es ist sehr wichtig, sich klarzumachen, dass sich die Qualität auf CD und die im Konzertsaal gegenseitig beeinflussen. Heute ist die Aufnahmequalität so hoch, dass man darauf alles hören kann! Sehr viel mehr als in einem Konzert. Und jeder, der 30 oder 40 Euro für ein Musikerlebnis ausgeben möchte, kann sich ja überlegen, was er interessanter findet: eine CD oder ein Live-Konzert. Unser Job als Akustiker ist es, dafür zu sorgen, dass die akustische Qualität im Saal stimmt. Wir müssen einen reichhaltigen Sound erreichen.
Worauf kommt es noch an?
Toyota: Eine Konzerthalle ist ein Ort wichtiger sozialer Aktivitäten. Zu Hause im Sessel hat man keinen Kontakt zu anderen Menschen, man kann sich nicht in der Pause unterhalten oder hinterher verabreden. Das Entscheidende aber ist, dass man in einem Konzertsaal in Weinberg-Form das Gefühl hat, man teilt dieselbe Zeit miteinander im selben Raum und hört gemeinsam wundervolle Musik. In einem „Schuhkarton“ (Guckkasten) hat man ja nur die Hinterköpfe der anderen vor sich. Ein großer Unterschied.
Wie viel Flexibilität gibt es, was das Richten von Podesten, den Abstand zwischen Musikern angeht?
Toyota: Es ist doch alles eine Frage der Gewohnheit. Vor der Eröffnung des neuen Saals in Cremona luden wir zum Beispiel Chöre und Musiker ein, ihn auszuprobieren. Sie stellten fest, dass es leichter ist, sich gegenseitig anzusehen. Auch die Kammermusik-Ensembles probierten plötzlich unterschiedliche Konstellationen aus. Ich hatte das nicht gepusht. An einem runden Tisch haben wir hinterher zusammen darüber diskutiert.
Aber da ist viel Angst vor dem Neuen. Für Musiker ist es extrem wichtig, sich gegenseitig zu hören. Wie gehen Sie damit um?
Toyota: Sich gegenseitig zu sehen, ist ein wichtiger Faktor. Eine Kreisform ist für einige Musiker sehr angenehm. Wir stellen sicher, dass die Musiker sich hören. Die meisten müssen sich aber erst mal anpassen an die neue Situation, mit den neuen Bedingungen umgehen. Musiker hören auf unterschiedliche Weise. Nicht immer und überall 100 Prozent. Bestimmte Musiker brauchen und bekommen in solchen Phasen der Eingewöhnung mehr Probenzeit.
Und in der letzten Phase des Baues der Elbphilharmonie werden Sie dann mit wirklichen Musikern arbeiten, um realistische Ergebnisse zu bekommen?
Toyota: Natürlich! Wie lange wir das machen können, hängt von den Terminplänen ab. Je mehr Zeit, desto besser. Zwei bis drei Monate sind das Minimum. Sobald ein Saal fertig ist, muss er für Proben geöffnet werden. Es ist ein Horror, wenn dafür zu wenig Zeit bleibt! Bei der Elbphilharmonie wird im Moment mit mehreren Monaten geplant. Aber darüber, auch über die Art der Proben, müssen wir dann diskutieren. Proben sind sehr wichtig für die Musiker.
Aber auch für Sie, um eventuell noch etwas zu korrigieren, oder?
Toyota: Eigentlich tun wir nicht mehr viel in dieser Phase. Die Ensembles, die Orchester selbst verbessern viele Dinge. Alles ist schließlich neu. Und die Akustik ist immer ganz anders als vorher. Die erste Probe ist jedes Mal der schlimmste Moment. Alle haben riesige Erwartungen, und das Beste ist dann für mich, zu verschwinden (lacht). Von der Eröffnung an wird es immer besser.
Der Japaner Yasuhisa Toyota, geboren 1952, gehört zu den renommiertesten Akustikern der Welt und ist Präsident der Firma Nagata Acoustics. Er wurde in Tokio geboren, studierte an der Universität Kiushu das seltene Fach Akustikdesign und lebt seit 2001 in Los Angeles. Etwa 60 Konzertsäle hat er als Akustiker realisiert, unter anderem die Disney Hall von Frank Gehry in Los Angeles und das Konzerthaus in Kopenhagen. Toyota wird auch engagiert, wenn Konzertsäle akustisch überarbeitet werden müssen. Zum Beispiel in Sydney oder Israel.