Hamburg. 2009–2011: Die Elbphilharmonie – vom Jahrhundertprojekt zum Albtraum und wieder zurück.
Anfang 2009 kehren die Abgeordneten langsam aus den Weihnachtsferien zurück. Die 38 Seiten starke Drucksache über den Nachtrag 4, die der Senat der Bürgerschaft kurz vor Weihnachten unter den Tannenbaum gelegt hatte, haben die meisten noch gar nicht registriert, geschweige denn gelesen. Sie wissen noch nicht, in welchem Umfang sie hinters Licht geführt werden. Mit Nachtrag 4 steigen die Elbphilharmonie-Kosten für den Steuerzahler um 209 auf nun 323 Millionen Euro.
Der geschasste Chef der Realisierungsgesellschaft (ReGe), Hartmut Wegener, aber hat die Drucksache gelesen. Und er ist erbost. Am 6. Januar schreibt er an Bürgermeister Ole von Beust – „persönlich“. Auf einer DIN-A4-Seite beklagt er sich, dass in der Senatsdrucksache ein Zusammenhang hergestellt werde zwischen dem „für die Stadt sehr ungünstigen Ergebnis“ des Nachtrags 4 und seinen Verhandlungen mit Hochtief. Er bittet um Korrektur der „irreführenden Passagen“.
Elbphilharmonie-Eröffnung: So funktioniert der Livestream
Das bleibt sein Credo: Mit mir wäre das nicht passiert! Es gibt zwar kaum Beteiligte, die diese Haltung teilen. Aber Wegener liegt mit der Einschätzung richtig, dass der Nachtrag 4 für die Stadt eine Katastrophe ist. Schon bald wird der Streit wieder von vorn beginnen, er wird sich vier Jahre lang hochschaukeln und eskalieren, bis das Projekt Elbphilharmonie 2012 nur durch eine glückliche Fügung des Schicksals kurz vor dem Aus gerettet wird.
Anfang des Jahres befasst sich die Bürgerschaft mit der neuen Lage. Am 23. Januar 2009 preist Kultursenatorin Karin von Welck vor dem Haushaltsausschuss den Nachtrag 4 als großen Wurf: „Alle heutigen Projektverantwortlichen haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, und daher wurde das Projekt in seiner Struktur“ – das betont sie noch einmal – „in seiner Struktur neu aufgestellt.“
Unvollständiges Bausoll
Das ist eine merkwürdige Sichtweise, denn an den Projektstrukturen hat sich gar nichts geändert: unfertige Planung, unvollständiges Bausoll, nicht gedeckelte Budgets, komplizierte Aufteilung der Planung zwischen Baufirma und Architekt – alles noch da.
Doch das Ausmaß der Verschleierung nimmt noch zu. Dabei geht es um die 48,2 Millionen Euro, die Hochtief für Projektänderungen erhalten hatte. Die Forderungen waren im Herbst 2008 nie detailliert geprüft worden. Als die SPD nun Anfang 2009 beantragt, dass alle Akten der Bürgerschaft übergeben werden sollen, bekommt man bei der ReGe kalte Füße und fordert die Architekten auf, nachträglich detaillierte Begründungen für jede Projektänderungsmeldung (PÄM) zu erstellen.
60 Ordner voller Gutachten
Damit beauftragt wird der Ingenieur Birger Bannier. Er ist erstaunt, liefert aber die Unterlagen. Etwa 60 Ordner, voller Gutachten und juristischer Stellungnahmen, alles undatiert. Warum kein aktuelles Datum? „Das war vonseiten der ReGe nicht gewünscht“, so Bannier. Denn die Akten sollen ja den Eindruck erwecken, sie seien im Herbst 2008 entstanden.
ReGe-Chef Heribert Leutner bestätigt zwar den Vorgang an sich, weist aber jeden Manipulationsvorwurf zurück. In den hektischen Verhandlungen zum Nachtrag 4 sei man einfach nicht mehr dazu gekommen, die Akten zu pflegen, daher sei das nachträglich geschehen.
Verdreifachung der Kosten
All das wissen die Abgeordneten nicht, als die Bürgerschaft am 4. März 2009 zusammentritt, um der Kostenexplosion ihren Segen zu geben – oder eben nicht. Denn die Opposition will die Verdreifachung der Kosten nicht mittragen. In letzter Minute beantragt die SPD, ein unabhängiges Schiedsgericht mit der Klärung aller strittigen Kostenfragen zu beauftragen.
So sei es in den Verträgen mit Hochtief vereinbart. Diese sähen ausdrücklich nicht vor, dass die Stadt bei einem Baukonflikt „nach Gutdünken des Bürgermeisters“ 200 Millionen Euro ohne Prüfung nachzahlt, so Finanzexperte Peter Tschentscher. Von Welck bügelt das ab: Sie stehe „konsterniert“ vor dem SPD-Antrag, denn so ein Schiedsgericht sei „rechtlich nicht gangbar“. Letztlich trägt nur das Regierungsbündnis aus CDU und GAL den Nachtrag 4 mit, SPD und Linke stimmen dagegen.
200 Millionen Euro ungeprüft oben drauf
Ironie am Rande: Drei Jahre später wird ein SPD-Senat seinerseits mit dem Versuch scheitern, Hochtief in ein Schiedsgericht zu zwingen. Stattdessen muss er selbst gut 200 Millionen Euro ungeprüft oben drauflegen.
Im Frühjahr 2009, der teure Nachtrag 4 ist gerade vom Parlament abgesegnet, nimmt Hochtief den Papierkrieg mit der Stadt wieder auf. Ausweislich einer internen Statistik der ReGe gehen zwischen 6. April 2009 und 31. Dezember 2012 sage und schreibe 126.146 Seiten auf dem einzigen Fax der Gesellschaft ein.
„Truppen massiv verstärken“
Der neue Aufsichtsratschef der Bau KG, Johann C. Lindenberg, erkennt schnell, dass die ReGe „completely undermanaged“ ist und dass er die „Truppen massiv verstärken“ muss, um die „täglichen Angriffe von Hochtief“ abzuwehren. Mit Anglizismen und martialischem Vokabular nimmt sich der ehemalige Unilever-Chef der Aufgabe an. Die ReGe wird inklusive externer Helfer auf rund 50 Mitarbeiter aufgestockt. Hinzu kommt ein kaum überschaubarer Apparat von Juristen und Beratern. So sorgt die Stadt selbst für eine enorme Kostensteigerung: Am Ende wird allein der Einsatz der ReGe für die Elbphilharmonie 67 Millionen Euro kosten.
360-Grad-Rundgang durch die Elbphilharmonie:
2009 wird von einem verbissenen Stellungskrieg dominiert: Mehrfach trifft Lindenberg den Hochtief-Vorstand Henner Mahlstedt und fordert, zügiger zu bauen, in zwei Schichten und sonnabends. Vergeblich. Stattdessen kommen weiter Faxe mit Behinderungsanzeigen und neuen Forderungen: mal nur eine Seite pro Tag, mal zehn, mal 100. Immerhin beantwortet die ReGe-Truppe nunmehr jedes Schreiben detailliert.
Hengelbrock: „Totale Euphorie“
Abseits dieser beinharten Auseinandersetzungen entfaltet das Bauwerk seinen Reiz. Am 24. September 2009 unternimmt das NDR Sinfonieorchester mit seinem kommenden Chefdirigenten einen Betriebsausflug auf die Baustelle: Thomas Hengelbrock, ein Energiebündel. 2011 wird er seine erste Saison in der Laeiszhalle unter das Motto stellen: „Anything goes – alles ist möglich.“ Die Inspiration dazu gibt auch der atemberaubende Blick von seinem künftigen Arbeitsplatz über die Elbe. Als er und seine Musiker das Panorama an diesem Tag erstmals genießen, ist da „totale Euphorie“, so Hengelbrock. „Als hätte man allen Kokain gegeben.“
Die Entziehungskur folgt prompt in Gestalt eines Sachstandsberichts des Senats: Nicht einmal ein Jahr nach Abschluss von Nachtrag 4 liegen schon wieder 40 Baubehinderungsanzeigen von Hochtief vor. Die Kosten für vier Budgets sind bereits gesprengt, unter anderem wird die „Weiße Haut“ jetzt mit 15,3 statt mit 8,5 Millionen Euro veranschlagt. Der Eröffnungstermin Ende 2011 stehe aber nicht infrage. Wörtlich heißt es: „Geplant ist ein höchstkarätig besetztes Festival, bei dem sowohl Hamburger Künstler als auch Musiker mit Weltrenommee auftreten werden.“
Glasfassade wird eingesetzt
Die gute Nachricht: Am 16. Dezember wird das erste Teil der spektakulären Glasfassade eingesetzt. „Jede der 1089 Scheiben ist ein Unikat“, teilt Hochtief mit. Damit erhält die Elbphilharmonie nach und nach ihr charakteristisches Aussehen. Die Eskalation der Lage wird dadurch jedoch nicht verhindert.
Am 12. Januar 2010 unternehmen Stadt, Planer und Baufirma eine Begehung der Baustelle. Gemeinsam halten sie in einem Protokoll fest, dass der Bau acht bis zehn Wochen in Verzug ist. So ist statt des 26. erst das 20. Obergeschoss betoniert. Doch noch am selben Tag setzt Hochtief-Projektleiter Dirk Rehaag ein Schreiben an die ReGe auf, in dem von Gemeinsamkeit keine Rede mehr ist, im Gegenteil: „Fest steht ..., dass die für Ende 2011 vorgesehene Fertigstellung nicht realisiert werden kann.“
Schreiben als pure Drohung interpretiert
Damit rechne man für Ende 2012. ReGe und Kulturbehörde empfinden das Schreiben als pure Drohung. Offensichtlich wolle Hochtief seine Forderungen – angemeldet sind zu dem Zeitpunkt Mehrkosten von 22,4 Millionen Euro – auf diesem Wege durchsetzen. Für den 18. Januar werden die Kultur- und Finanzexperten der Fraktionen in die Kulturbehörde gebeten, um sie über die Lage zu informieren.
Zuvor müssen sie eine Verschwiegenheitserklärung abgeben, einige Abgeordnete sind empört. Noch wütender werden sie, als sie später von Rehaags Brief erfahren – der wird ihnen bei dem Treffen vorenthalten. Doch die Geschichte kommt heraus: „Hochtief warnt: Elbphilharmonie noch ein Jahr später fertig“, lautet eine Schlagzeile.
Mehrtägiges Schwarzer-Peter-Spiel
Es beginnt ein mehrtägiges Schwarzer-Peter-Spiel. Auch ein gewisser Olaf Scholz meldet sich nun zu Wort. Der ist neun Jahre nach seinem Rückzug aus der Hamburger Politik seit Kurzem wieder SPD-Landeschef und meint: „Man muss die gewaltige Kostensteigerung als das bezeichnen, was es ist: ein Skandal.“ GAL-Fraktionschef Jens Kerstan, ein führender Vertreter der schwarz-grünen Regierung, nennt Hochtief gar eine „bösartige Heuschrecke“.
Jetzt platzt dem Baukonzern der Kragen. Obwohl ihm laut Vertrag eine eigene Öffentlichkeitsarbeit untersagt ist – intern „Maulkorbklausel“ genannt –, lädt Hochtief zu einer Pressekonferenz ins Baubüro am Sandtorkai. In Blickweite zur Elbphilharmonie hat Thomas Möller seinen großen Auftritt. Mit vor Pathos dröhnender Stimme weist er die Vorwürfe zurück: „Ich bin der Konzern. Ich bin keine Heuschrecke, meine Großmutter war schon Bauzeichnerin bei Hochtief. Das ist ein supergutes Unternehmen!“ Mitunter faltet Möller die Hände zum Himmel und klagt: „Ohne Pläne können wir nicht bauen.“ Und die Pläne schulde nun mal der Bauherr, die Stadt beziehungsweise ihr Architekt. Aber der ändere nur ständig Pläne.
Luxusvariante nach „Schiffbauart“
Möllers konkretestes Beispiel ist die Belüftung im Großen Konzertsaal. Statt einer Billigvariante nach „Kanalbauart“ sei jetzt plötzlich eine Luxusvariante nach „Schiffbauart“ geplant. Dadurch vervierfache sich auch das Gewicht eines einzelnen Lüftungskastens von 16 auf 64 Kilogramm – was dann gravierende Auswirkungen auf Statik und Montage habe, die wesentlich länger dauere. Zum Beweis hat Möller die beiden unterschiedlichen Lüftungsabschnitte mitgebracht. Hochtief-Sprecher Bernd Pütter bringt es auf den Punkt: „Die Änderungen muss der bezahlen, der sie zu vertreten hat.“
Aber wer ist das? ReGe und Hochtief beginnen zwar damit, das Punkt für Punkt abzuarbeiten. Intern wird das „Nachtrag-5-Prozess“ genannt, nach außen gilt „Nachtrag“ dagegen als Unwort. Doch auch rund 150 Sitzungen bringen kaum Annäherung. Stattdessen verklagt die Stadt Hochtief im Frühjahr auf Herausgabe eines Terminplans.
Bürgerschaft möchte Antworten
Ziel ist es, die Verantwortung für den Bauverzug zu klären – und damit die Frage, wer das zu bezahlen hat. Auch die Bürgerschaft möchte darauf Antworten haben und beschließt am 5. Mai auf SPD-Antrag, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Die Entscheidung fällt einstimmig, denn auch CDU und GAL wollen sich nicht vorwerfen lassen, an Aufklärung kein Interesse zu haben.
Zeitgleich listen die Generalplaner Herzog & de Meuron in einer fingerdicken Dokumentation Baumängel auf, für die sie Hochtief verantwortlich machen. Historische Backsteinfassade teilweise ruiniert, minderwertiger Beton, schlampig verbauter Stahl, die Federung des Großen Saals mangelhaft – insgesamt 4494 Mängel führen die qualitätsbewussten Schweizer an. Die erschreckend hohe Zahl kommt allerdings auch dadurch zustande, dass 100 Beschädigungen an der Fassade auch als 100 Mängel gezählt werden.
Jeder kämpft gegen jeden
Stadt, Hochtief, Architekten, Regierung, Parlament – Mitte Mai 2010 kämpft jeder gegen jeden. Mitten in dieser vergifteten Atmosphäre soll gemeinsam gefeiert werden: Rund drei Jahre nach der Grundsteinlegung ist am 28. Mai 2010 Richtfest. Nachdem der Bürgermeister am Tag zuvor einen dramatischen Sparkurs ausgerufen hat, ist die Stimmung aufgeheizt.
Die mehr als 5000 Besucher werden von Demonstranten empfangen, die das „Denkmal für die Reichen“ besingen. Die geladenen Gäste werden mit selbst gedruckten 350-Millionen-Euro-Scheinen beworfen. In 37 Metern Höhe drängen sich auf der Plaza die Gäste. Mittendrin Generalintendant und Immer-noch-nicht-Hausherr Christoph Lieben-Seutter. Seine Haltung: „Schauen Sie nach Paris, London oder Sydney: Ohne ein bisschen Größenwahn entstehen die besonderen Wahrzeichen nicht.“
Großer Augenblick für den Polier
Wenn es stimmt, dass Scherben Glück bringen, hat dieser Tag doch etwas langfristig Gutes. Kurz vor 12.30 Uhr ist der große Augenblick für den Polier Helmut Hesse. „Der Richtkranz ruft ins Land hinaus/Der Bauherr ruft zum frohen Schmaus.“
Dann fällt viel zu früh das Schnapsglas herunter. Zweitpolier Werner Rininsland hilft mit einem leeren Weinglas aus. Da geht mehr rein, wie praktisch. Man könnte ans Schöntrinken der Probleme denken.
Ole von Beust tritt zurück
Der sprichwörtliche Scherbenhaufen liegt im Sommer vor dem Rathaus: Am 18. Juli kündigt ein amtsmüder Ole von Beust seinen Rücktritt an. Die biblische Erkenntnis „Alles hat seine Zeit“ gelte auch für Politiker, sagt er mit stockender Stimme. Am Ende seiner kurzen Erklärung verabschiedet er sich mit einem „Tschüs.“ Dann geht er, der Mann, dessen Name ewig mit der Elbphilharmonie verbunden bleiben wird.
Interaktiv: Im Flug die Elbphilharmonie erobern
Auch Karin von Welck, Senatskanzlei-Chef Volkmar Schön und Wirtschaftssenator Axel Gedaschko reichen ihren Abschied ein. Damit sind alle Spitzenpolitiker, die je Verantwortung für das Projekt trugen, nicht mehr im Amt. Sie alle beteuern, dass ihr Rücktritt nichts damit zu tun habe. Sie hinterlassen eine gigantische Problembaustelle.
Stuth kehrt als Chef in Kulturbehörde zurück
Laut Sachstandsbericht des Senats von August hat Hochtief nun Mehrkosten in Höhe von 25,7 Millionen Euro angemeldet. 107 Behinderungsanzeigen liegen vor, die Budgets sind um 9,5 Millionen Euro überschritten, und der Senat räumt ein, er gehe davon aus, dass der Fertigstellungstermin 30. November 2011 „nicht eingehalten werden wird“. Ausbaden muss das Christoph Ahlhaus (CDU), den die Bürgerschaft am 25. August zum Ersten Bürgermeister wählt.
An seiner Seite ein alter Bekannter: Reinhard Stuth, 2009 als Staatsrat entlassen, kehrt als Chef in die Kulturbehörde zurück. Seine ersten Sätze zur Elbphilharmonie: „Wir hatten eine Phase, wo es wirklich viele Schwierigkeiten gab.“ Aber „seit Nachtrag 4 im November 2008 läuft es erheblich besser.“ Das hat mit der Realität gar nichts zu tun.
Ahlhaus-Senat sieht seinem Ende entgegen
Nachdem er die gesamte Kulturszene mit Sparankündigungen in Aufruhr versetzt hat, unter anderem mit der Schließung des Altonaer Museums, sieht der Ahlhaus-Senat bereits seinem Ende entgegen: Am 28. November 2010 lässt die GAL die schwarz-grüne Koalition platzen, im Februar sollen Neuwahlen stattfinden.
Auch der Untersuchungsausschuss muss daher seine Ermittlungen einstellen und legt am 21. Januar nur einen hektisch verfassten Sachstandsbericht vor. Ein Fakt sticht heraus: Die Elbphilharmonie kostet die Stadt nicht 323 Millionen Euro, wie vom Senat behauptet, sondern mindestens 351 Millionen – denn 28 Millionen Euro Vorlaufkosten wurden stets nicht mit angegeben.
Zum Jahreswechsel 2010/2011 ist die Lage ernüchternd: Der Bau liegt Monate hinter dem Zeitplan, der Streit ist in eine Schlammschlacht ausgeartet, und die politisch Verantwortlichen sind nicht mehr im Amt.
Neue politische Zeitrechnung
Am 20. Februar 2011 beginnt eine neue politische Zeitrechnung: Bei der Bürgerschaftswahl landet die SPD mit Olaf Scholz an der Spitze einen Erdrutschsieg, die CDU wird nach fast einem Jahrzehnt an der Regierung auf 21,9 Prozent halbiert. Absolute Mehrheit, Landeschef seiner Partei und stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender – Scholz vereint eine enorme Machtfülle auf sich. Und er ist gewillt, diese zu nutzen. War von Beust nach seiner Wahl erst mal „dösen“ gegangen, stürzt sich Scholz in die Arbeit, studiert Akten.
Auch die Elbphilharmonie-Verträge schaut er sich an. Ende 2012 wird nur einer über das Schicksal des Konzerthauses entscheiden: Olaf Scholz. Eng an seiner Seite steht dabei die neue Kultursenatorin Barbara Kisseler. Eine Rheinländerin aus Berlin, dort war die parteilose Politikerin seit 2009 Klaus Wowereits Senatskanzlei-Chefin. Ebenso gebildet und kulturbeflissen wie ihre Vorgängerin, bringt Kisseler ein weiteres wichtiges Attribut mit: Sie scheut weder Konflikte noch klare Ansagen.
Ein furioses Finale
Und denkt gar nicht daran, sich bei der Elbphilharmonie herauszuhalten, wie der Aufsichtsrat der Bau KG es ihr empfiehlt. „Ich habe die politische Verantwortung“, lautet ihr Credo. „Und daher möchte ich über das Projekt nicht nur informiert werden, sondern es auch aktiv begleiten.“ Ihr wichtigster Mitarbeiter wird Jochen Margedant, der behördeninterne Projektleiter. Über den Juristen sagt Kisseler: „Er ist für mich, was Eckermann für Goethe war.“
Mit dem Amtsantritt von Scholz und Kisseler beginnt der vorerst letzte Akt im Drama um die Elbphilharmonie. Es wird ein furioses Finale, eine beispiellose Auseinandersetzung um Hunderte von Millionen Euro.
Im Frühjahr 2011 besucht Kisseler erstmals „ihre“ Baustelle. Es ist ein nasser, kalter und windiger Vormittag. Die Baustelle ist fast menschenleer. Oben auf der Plaza bekommt die Senatorin eine Ahnung davon, wie schwierig und gleichzeitig großartig dieses Bauwerk ist. Wenn sie Besucher dort hinaufführt, beobachtet sie immer wieder das gleiche: „Selbst bei den schärfsten Kritikern vollzieht sich eine fast biblische Wandlung - vom Saulus zum Paulus.“
Dieser Text ist eine aktualisierte Fassung
unseres großen Abendblatt-Dossiers von 2013.