2008: Die Elbphilharmonie – vom Jahrhundertprojekt zum Albtraum und wieder zurück.
Spätestens seit dem Gipfel beim Bürgermeister mit drei Senatoren und den Spitzen von Hochtief und Herzog & de Meuron am 1. Juli 2008 ahnen die Verantwortlichen, dass da eine Nachforderung in dreistelliger Millionenhöhe auf die Stadt zukommt. Für manche kommt sie aus dem Nichts.
Hochtief-Chef Henner Mahlstedt und Architekt Pierre de Meuron streiten sich heftig darüber, wer nun wem welche Pläne schuldet. Es wird hitzig. 20 Minuten geht das so – die anderen schweigen betreten. Bürgermeister Ole von Beust ist ziemlich verblüfft. Zum einen über die Höhe der Mehrforderungen, die er zum ersten Mal hört. Zum anderen über die Heftigkeit der Auseinandersetzung. Von Beust hält „Schweizer eigentlich für ziemlich ruhig und gelassen“. Und nun der Zoff in seinem Zimmer. Seine Hoffnung war, dass man aus diesem Gespräch fröhlich geläutert nach Hause geht. Jetzt ist das Gegenteil der Fall.
Zweites Gipfeltreffen
Verabredet wird also ein zweites Gipfeltreffen. Es findet am 29. Juli statt. Und diesmal werden die Streithähne vorsorglich getrennt. Sie tragen nacheinander vor. Henner Mahlstedt legt einen Entwurf für Nachtrag 3 über 144 Millionen Euro vor. Hartmut Wegener, Chef der Realisierungsgesellschaft (ReGe), sieht sich die „Explosionsgrafik“ kurz an und sagt dann: „Und im Himmel ist Jahrmarkt.“ Er weist auch den neuen Fertigstellungstermin April 2011 empört zurück.
Nach dem Treffen bittet Wegener Mahlstedt zum Vieraugengespräch in sein Büro. Der ReGe-Chef macht vehement deutlich, dass die Hochtief-Forderungen „völlig absurd“ seien. Damit werde er sich nicht ernsthaft auseinandersetzen. Mahlstedt sagt, dass Wegener immer irgendeine Zahl aufgerufen hat und gesagt habe: „Mehr gibt’s nicht.“ Das aber sei nicht die Ebene, so Mahlstedt, auf der er verhandele. Die beiden Männer reden aneinander vorbei.
Scheitern der Verhandlungen
Am 8. August stellt Wegener das Scheitern der Verhandlungen fest. „Die Positionen liegen zu weit auseinander.“ Der Kulturbehörden-Mitarbeiter Jochen Margedant nennt das Problem in einem Begleitvermerk beim Namen: Hartmut Wegener. „Insgesamt akzeptiert er eine Überprüfung seines Handelns in nur sehr eingeschränktem Umfang.“ Es sei nicht gelungen, den Projektkoordinator „von der Notwendigkeit einer transparenten und zeitigen Unterrichtung der jeweils politisch Verantwortlichen zu überzeugen“. Die Folge: Alle Beteiligten seien „von der Dramatik der Entwicklung überrollt“ worden.
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Noch aber ist Wegener im Spiel. Es folgen weitere Vieraugengespräche mit Mahlstedt. Zwei harte Verhandler prallen aufeinander. Die ReGe bietet 58 Millionen Euro. Mahlstedt senkt seine Forderung von 144 auf 119 Millionen, sagt Wegener. Und hält fest, „dass beide Seiten die Möglichkeit einer Einigung sehen, die Positionen aber noch recht weit auseinanderliegen“. Nämlich 60 Millionen Euro. Beim nächsten Termin am 12. September solle aber eine Einigung erzielt werden.
Verhältnis verschlechtert sich zusehends
Das Verhältnis zwischen Kulturbehörde und Wegener verschlechtert sich zusehends. Staatsrat Stuth fühlt sich von dem ReGe-Chef schlecht informiert und vermisst eine offene Risikoanalyse: „Es war eigentlich immer alles auf einem guten Weg.“ Schließlich verlangt er, dass Wegener nur noch in Begleitung eines Behördenvertreters verhandeln solle, was Wegener ignoriert. Jochen Margedant schreibt, ob es noch verantwortbar sei, Wegener weiterhin allein verhandeln zu lassen. „Diese Entscheidung muss vor dem 12.09.2008 getroffen werden.“ Dem Tag des entscheidenden Vieraugengesprächs.
Für dieses Treffen erteilt der Aufsichtsrat Wegener am 10. September ein Verhandlungsmandat über 75,2 Millionen Euro. Die Bedingung dafür: endlich abgestimmte Terminpläne zwischen Generalplaner und Hochtief – und die Fertigstellung des Bauwerks im Herbst 2011. In seiner Tischvorlage, zwei Seiten im DIN-A4-Format, die Wegener vor diesem Treffen verteilt, behauptet er, es gebe bereits einen verbindlichen Terminplan zwischen Planern und Baukonzern - mit 22.000 Einzelpositionen.
Kein synchronisierter Terminplan
Tags darauf wird in der Bauherrenbesprechung bekannt, dass es noch keinen synchronisierten Terminplan gibt. Sondern nur einen „Letter of Intent“ (LOI), also eine Absichtserklärung der Architekten, den Terminplan zu vereinbaren. Und diesen Letter of Intent hat ReGe-Geschäftsführer Dieter Peters nicht einmal mit unterschrieben. „Ich unterschreibe keinen LOI, dem nicht ein zwischen Hochtief und dem Generalplaner abgestimmter Zeitplan zugrunde liegt“, sagt er. Und rückt endgültig von seinem Chef ab.
Daraufhin greift Staatsrat Stuth zum Telefon, ruft Wegener an und entzieht ihm das Mandat für die Verhandlungen unter vier Augen: „Herr Wegener, ich möchte nicht, dass Sie auf dieser Basis Verhandlungen führen. Und wenn Sie dennoch Gespräche führen, dann nur, wenn ein Vertreter der Kulturbehörde dabei ist.“ Wegener weigert sich: „Sie sind ja nur stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender.“ Stuth erklärt ihm, dass er im Auftrag des Vorsitzenden Volkmar Schön handele.
Dreieinhalbstündiges Gespräch mit Mahlstedt
Hartmut Wegener hält nichts von Stuth. Der habe „nun überhaupt keine Erfahrung im Bauwesen“ und meint, sich jetzt plötzlich in die Schlussverhandlungen einmischen zu können. Und von Wirtschaft verstehe der auch nichts. Wegener sagt, das habe Stuth sogar zugegeben. Aber hinzugefügt, er kenne Leute aus der Wirtschaft, und die hätten ihm gesagt, es gebe dort überhaupt keine Vieraugengespräche. Wegener reagiert kopfschüttelnd. „Also in welcher Welt er da lebt, weiß ich nicht.“
Am Freitag, 12. September 2008, fliegt Wegener nach Frankfurt und trifft sich – entgegen der ausdrücklichen Anweisung von Staatsrat Stuth – zu einem dreieinhalbstündigen Gespräch mit Mahlstedt auf dem Flughafen. Wegener sagt anschließend, dort konnten „alle wesentlichen Punkte bereits vorab geklärt werden“. Mahlstedt sagt: „Es hat keine Annäherung oder belastbare Zahlen gegeben und schon gar keine Einigung.“
Mahlstedt wird krank
Der Termin für das offizielle Verhandlungsgespräch zum Nachtrag 3 ist auf den 17. September verschoben, weil Mahlstedt krank wird. Wegener bittet zuvor um ein Gespräch mit von Beust im Rathaus. Er will wissen, ob er nach dem Disput mit Stuth noch die Rückendeckung des Bürgermeisters hat.
Beim Bürgermeister aber ist der Zeitpunkt erreicht, „um die Reißleine zu ziehen“. Er hat kein Vertrauen mehr in das Verhandlungsgeschick seines ReGe-Chefs. Zu oft sage Wegener, er stehe kurz vor einer Einigung, kurz vor dem Durchbruch, ganz kurz davor. Doch zu einer Einigung kommt es nie. Dem Bürgermeister platzt der Kragen. Von Beust legt Wegener den Rücktritt nahe. Wegener sagt erneut, er stehe doch kurz vor dem Durchbruch mit Hochtief. „Es ist klüger, wenn Sie gehen“, bekommt er zu hören. Wegener akzeptiert schließlich. Am Ende des Gesprächs umarmen sich die beiden Männer kurz. Wegener ruft Mahlstedt an und informiert ihn über seinen Abgang. Sein Nachfolger wird ein alter Bekannter: Heribert Leutner kehrt als Chef zur ReGe zurück.
Zwei Elbphilharmonien
Und auf der Baustelle? Vom 2. Oktober an hat die HafenCity nicht nur eine, sondern zwei Elbphilharmonien. Auf den Magellan-Terrassen wird ein Pavillon eröffnet, in dem das 1:10-Akustikmodell seine endgültige Heimat findet. Mit direktem Blick auf das große Original also. Treppe hoch, und dann kann man wie Gulliver seinen Kopf durch den Konzertsälchen-Boden stecken. Eine kleine Entschädigung für die Touristen, die in immer größeren Mengen um die Baustelle kreisen. Der 10x10x10-Meter-Kubus aus Glas und Stahl ist 32 Tonnen schwer. An den Außenwänden sind 20 „Hörmuscheln“ angebracht, um hören zu können, was noch nicht da ist. Kostproben der Elbphilharmonie-Konzertprogramme.
Direkt nebenan rüstet die ReGe auf. Am 9. Oktober wird Johann C. Lindenberg neuer Aufsichtsratschef der Bau KG. Kultursenatorin Karin von Welck hatte ihn angerufen. „Ich stehe aber nicht zur Verfügung“, hat der ehemalige Deutschlandchef von Unilever der Senatorin gesagt. Und sich dann immerhin bereit erklärt, einmal vorbeizukommen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Er lehnt noch ein zweites Mal ab. Dann bittet auch Ole von Beust ihn, das Amt zu übernehmen. Wenig später ist Lindenberg nicht nur Mitglied, sondern gleich Vorsitzender. „Man muss der Gesellschaft auch etwas zurückgeben“, sagt er sich schließlich. Außer Lindenberg ziehen auch Wilhelm Friedrich Boyens (von der Personalberatung Egon Zehnder International), Senatsdirektor Michael Pelikahn, Jens-Ulrich Maier (Geschäftsführer bei ECE, die Einkaufszentren bauen und betreiben) und der Ingenieur und Professor Eckart Kottkamp in das Aufsichtsgremium ein.
360-Grad-Rundgang durch die Elbphilharmonie:
Positiver Nebeneffekt für den Senat: Mit der Umbesetzung ist Senatskanzleichef Volkmar Schön aus der Schusslinie. Der betont, es gehe darum, mehr Kompetenz in den Aufsichtsrat zu bekommen. Außerdem will er sich ganz auf die schwarz-grüne Koalition konzentrieren, denn er ist auf CDU-Seite neben von Beust die entscheidende Integrationsfigur des Bündnisses.
Einrichtung eines Bauausschusses
Der Aufsichtsrat beschließt als Erstes die Einrichtung eines Bauausschusses als beratendes Gremium. Vorsitzender des Gremiums wird Kottkamp, dazu kommen Frank Tappendorf und Peter Waldheuer (ECE) sowie Frank Twesten (Projektentwickler), Christoph Lieben-Seutter und Thomas Delissen (Kulturbehörde). Lieben-Seutter sorgt kurz darauf für einen Eklat. Bei einer NDR-Podiumsdiskussion „Elbphilharmonie – Millionenchance oder Millionengrab?“ wird der Österreicher am 22. Oktober live aus London dazugeschaltet. Er habe momentan überhaupt keine Planung für die Elbphilharmonie, sagt er. Er würde „am liebsten ein Sabbatical einlegen“ und wiederkommen, wenn alles fertig wäre. Die Kommunikation zu dem Projekt lasse zu wünschen übrig. „Und weil es so komplex ist, sind alle Beteiligten überfordert.“
Die Zuhörer trauen ihren Ohren kaum. Es sei nicht sein Tag gewesen, entschuldigt Lieben-Seutter seinen „beschissenen“ Auftritt. Spekulationen über Rücktrittsabsichten machen die Runde. Lieben-Seutter: „Ich habe schon oft über Rücktritt nachgedacht, aber ich glaube, das geht jedem so, der in einer komplexen Situation steckt.“ Er bleibe.
Nachtrag 3 ist gescheitert
Es ist November 2008. Der Monat, in dem sich entscheiden wird, um wie viele Millionen Euro die Elbphilharmonie teurer wird. Welche Summe steht am Ende unter Nachtrag 4? Denn um den geht es jetzt, nachdem Nachtrag 3 gescheitert ist.
Am 10. November schreibt David Koch eine sehr eindringliche E-Mail an den neuen ReGe-Chef Heribert Leutner. Koch, Jahrgang 1967, hatte im Sommer 2007 ziemlich unbemerkt die Baustelle Elbphilharmonie betreten. Nach Christine Binswanger, Robert Hösl und Ascan Mergenthaler ist der gebürtige Herborner bereits der vierte Partner bei Herzog & de Meuron, der sich um das Projekt kümmert. Koch hat in Deutschland und den USA Architektur studiert, später in Darmstadt auch noch drei Jahre Philosophie, Soziologie und Kunstgeschichte. Seit 2001 arbeitet er in Basel. Er ist ein ruhiger, überaus freundlicher Mensch und ein aufmerksamer Zuhörer. Bei Herzog & de Meuron ist er der Mann für die schwierigen Fälle. David Koch wird noch eine der wichtigsten Personen in der Geschichte dieses Projekts. Er hat bei einem Bau in Barcelona Kontakte geknüpft, die noch eine entscheidende Rolle spielen werden.
Koch warnt ReGe-Chefs
Koch warnt die ReGe-Chefs sehr eindringlich: „Eine Definition des Bausolls kann zum jetzigen Zeitpunkt immer nur eine Teillösung bleiben, denn es stehen noch Planangaben aus.“ Kostensicherheit könne erst dann erreicht werden, „wenn unsere Planungsleistungen im Wesentlichen abgeschlossen und Hochtief übergeben worden sind“. Sein verzweifeltes Credo: Lasst uns erst mal zu Ende planen – und dann bauen. Es ist nicht die letzte Warnung von Koch vor einem übereilten Abschluss von Nachtrag 4.
Inzwischen hat sich die ReGe deutlich nach oben orientiert, was die möglichen Mehrkosten angeht. Im Protokoll der 7. Aufsichtsratssitzung heißt es: „Herr Lindenberg fasst zusammen, dass man wohl nicht unter 100 Millionen Euro landen und wahrscheinlich eine deutliche Annäherung an 140 Millionen Euro zu verzeichnen sein werde. Herr Leutner bestätigt dies.“
Keine Kosten- und Terminsicherheit
In einem Vermerk warnt Jochen Margedant davor, dass auch mit Nachtrag 4 womöglich keine Kosten- und Terminsicherheit hergestellt wird. Er weist Staatsrat Stuth darauf hin, dass die Geschäftsführung der ReGe gebeten werden solle, „zu erläutern, mit welchen Mechanismen man Kosten- und Terminsicherheit für die Zukunft erlangen will bzw. aus welchen Gründen man daran glaubt, dass die aktuelle Einigung solche Sicherheiten bringen könne“.
Am 19. November warnt David Koch erneut: Er fordert klarere Definitionen, was exakt gebaut werden soll. „Ansonsten besteht die erhebliche Gefahr, dass von Hochtief nachträglich Mehrkosten angemeldet werden.“ Diese Warnungen sind praktisch wortgleich mit denen der Architekten vor einer zu schnellen Ausschreibung zwei Jahre zuvor. Doch die ReGe stellt sich erneut taub. Am 20. November warnen die Architekten ein letztes Mal. „Die Situation hat sich unseres Erachtens eher noch verschlimmert, und es ist uns nicht klar, wie die schon in den Bürgermeistergesprächen als oberste Priorität dargestellte Termin- und Kostensicherheit erreicht werden soll.“
Interaktiv: Im Flug die Elbphilharmonie erobern
Sechs Tage später wird Nachtrag 4 unterzeichnet. Die Kosten für den öffentlichen Haushalt werden nun mit 323 Millionen Euro angegeben, also 209 Millionen mehr als bislang. 137 Millionen davon gehen zusätzlich an Hochtief. Sie setzen sich aus Projektänderungsmeldungen (PÄMs, 48,2 Millionen), Bauzeitverlängerung (36,8), einer Budgeterhöhung (22 Millionen) und einer sogenannten Einigungssumme (30 Millionen) zusammen. Außerdem bekommen die Architekten weitere 20 Millionen Euro. Und 52 Millionen Euro sind für sonstige Projektkosten, aufgeteilt in Mehrkosten ReGe (10 Millionen), Umsatzsteuer (22 Millionen) und Unvorhergesehenes (20 Millionen).
Rechnet man alle Ausgaben zusammen, kostet das Gebäude die Stadt zu dem Zeitpunkt schon deutlich mehr als eine halbe Milliarde Euro. Diese Zahl findet sich in der Drucksache nicht. Doch auch von den 323 Millionen ist die Stadt schockiert. Der Senat ist blamiert. Karin von Welck sagt: „Wir alle haben die Komplexität des Projekts unterschätzt. Wir sind jetzt in einem Tal der Tränen, aber wir wissen, dass wir da wieder herauskommen werden.“
Leistungen als Budget veranschlagt
Nur: Es gibt immer noch Leistungen, die nur als Budget veranschlagt sind. Sie werden sogar ordentlich erhöht. Das Budget für die „Weiße Haut“ (das Herz der Elbphilharmonie, ohne sie kein schöner Klang) steigt von 3,5 auf 8,5 Millionen Euro, das für die Bühnentechnik (Szenografie) von sieben auf 16,2 Millionen. Immerhin ist das Bausoll, also alles das, was wirklich gebaut werden soll, jetzt definiert. Und zwar zu 95 Prozent, wie von Welck stolz verkündet. Klingt erst einmal ganz gut. So wie: fast fertig, der Rest sind Peanuts. Aber was heißt das wirklich? Und woher stammen diese 95 Prozent?
Erstmals genannt wird die Zahl in einer Bauherrenbesprechung am 11. September 2008. Dort versichern die Architekten, dass Hochtief alle abgestimmten Planungsvorhaben der Architekten vorliegen. Der Grad der Abstimmung werde auf „95 Prozent geschätzt“. Die fehlenden fünf Prozent seien „jedoch kritisch“, da es sich um „bisher fehlende Planungsleistungen im Bereich der Tragwerksplanung handelt“. Also: Nicht das Bausoll ist zu 95 Prozent bestimmt, sondern Planungsvorgaben sind – und nur geschätzt – zu 95 Prozent abgestimmt. Ein gewaltiger Unterschied. Der noch schwerer wiegt, da es sich um Planungen am hochkomplexen Tragwerk handelt, also der statischen Konstruktion. Veränderungen in diesem Bereich können enorme Kostensteigerungen nach sich ziehen.
Abgeordnete an der Nase herumgeführt
Die Abgeordneten aber werden in der Drucksache 19/1841 einmal mehr an der Nase herumgeführt: „Mit dem Nachtrag 4 sind nach Auffassung aller drei Vertragsparteien insgesamt ca. 95 % des Bausolls verbindlich festgelegt.“ Was sie nicht zu sehen bekommen, ist ein handschriftlicher Vermerk auf dem Entwurf der Drucksache: „Davon, dass der Entwurf nicht abgeschlossen ist, sollten wir besser nicht sprechen.“ Der Autor ist ReGe-Mitarbeiter Armin Daum.
Pierre de Meuron sagt zu den 95 Prozent: „Diese Zahl ist mir schleierhaft. Sie ist grundlegend falsch. Vier, fünf Monate wären notwendig, um das Bausoll abschließend zu definieren.“ Aber in der Drucksache steht doch ausdrücklich nach Auffassung „aller drei Vertragsparteien“ sei das Bausoll zu 95 Prozent definiert. De Meuron: „Das stimmt aber nicht. Ich kann nicht verstehen, dass eine solche Aussage gemacht wird.“ Anette Kettner von der ReGe sagt: „Ich glaube nicht, dass Konsens zwischen den dreien bestand, sondern dass die ReGe diese Zahl genannt hat.“ Hochtief-Chef Henner Mahlstedt sagt: „Die Zahl 95 Prozent stammt nicht von Hochtief.“
Ende 2008 ist also noch immer ungeklärt, was alles gebaut, wie es gebaut und wann es gebaut werden soll. Der Nachtrag 4 mit seinen gigantischen Kostensteigerungen ist abermals nur eine Zwischenlösung. Die Grundprobleme bleiben ungelöst.
Dieser Text ist eine aktualisierte Fassung
unseres großen Abendblatt-Dossiers von 2013