Hamburg. Anke Ilgenstein-Wille kämpft um ihre Wohnung in Schnelsen. Was der Mieterverein zum Streit sagt, der in Hamburg kein Einzelfall ist.
- Nach 31 Jahren in ihrer Wohnung in Schnelsen erhält eine Mieterin die Kündigung für ihre Wohnung – wegen Eigenbedarfs.
- Die Hamburgerin möchte klagen. Denn ihr Fall ist nicht der erste.
Es war die erste gemeinsame Wohnung, die sie mit ihrem Mann bezog. Hier hat die 56-Jährige ihr Kind großgezogen – später auch allein, nachdem ihr Mann an Krebs erkrankte und sie ihn pflegte, bis er verstarb. „Ich kann das hier nicht aufgeben. Es gibt so viele Erinnerungen, die ich damit verbinde“, sagt Anke Ilgenstein-Wille. „Das ist mein Zuhause.“ Zumindest noch.
Denn die Hamburgerin hat eine Kündigung erhalten, wegen Eigenbedarfs. In dem Schreiben ihres neuen Vermieters wird ihr ein Jahr Zeit für die Räumung der 70 Quadratmeter großen Wohnung in Hamburg-Schnelsen gegeben. Ein Jahr, um sich von den vier Wänden zu trennen, die sie 31 Jahre lang bewohnte. Doch Anke Ilgenstein-Wille hat nicht vor, einfach auszuziehen. Sie will klagen.
Wohnung Hamburg: Kündigung nach 31 Jahren sei ist „reine Schikane“
Die Vereinigung „Mieter helfen Mieter“ schätzt ihre Aussichten auf Erfolg gut, den Kündigungsgrund Eigenbedarf lediglich für vorgeschoben ein. Das sei ein zunehmender Trend in Hamburg, den man im Verein mit Sorge beobachte. Andree Lagemann ist Juristin und für „Mieter helfen Mieter“ tätig. Im Abendblatt-Gespräch erklärt sie: „Wir beobachten eine stetige Zunahme von Eigenbedarfskündigungen in der Beratung. Ich selber berate jede Woche mindestens ein Mitglied mit einer solchen Kündigung.“ Dabei sei auffällig, dass es sich häufig um Fälle handle, bei denen Mieter betroffen seien, die eine verlangte Mieterhöhung nicht akzeptiert hätten.
Genauso war es im Fall von Anke Ilgenstein-Wille. Anfang des Jahres sei die Eigentumswohnung, in der sie lebt, verkauft worden. Der neue Besitzer habe ihr im Gespräch zuvor noch versichert, sie könne in der Wohnung alt werden. Sie hatte sich dann positiv beim Voreigentümer für ihn ausgesprochen. Doch wie alt sie in der Wohnung werden dürfte, hatte er eben nicht gesagt.
Neuer Eigentümer will Miete um 200 Euro im Monat erhöhen
Kurz nach der Übernahme kam ein Schreiben des neuen Eigentümers mit einer geforderten „Mietanpassung“. Demnach liege ihre Miete nicht bei ortsüblichen Vergleichsmieten und müsse erhöht werden, steht darin. Von 655 Euro netto kalt sollte es auf 786 Euro gehen. Zudem sollten auch die Nebenkosten steigen. Insgesamt wollte er für die 70 Quadratmeter große Wohnung nun monatlich über 1000 Euro haben. Also 200 Euro mehr.
Die Alleinverdienerin, die lange ihren Mann gepflegt hatte, kann sich das nicht leisten, wie sie betont. Mithilfe von „Mieter helfen Mietern“ legte sie Widerspruch ein. Mit Erfolg. Die Mieterhöhung war nicht rechtens, unter anderem weil die Miete vor zwei Jahren bereits erhöht worden war.
Wohnung mieten in Hamburg: Kündigung folgt auf Widerspruch gegen Mieterhöhung
Dann gab es eine Woche später wieder Post vom neuen Eigentümer: die Kündigung mit der Begründung Eigenbedarf. Die gekaufte Wohnung werde für den Sohn benötigt, steht darin. In einem späteren Schreiben wird noch näher ausgeführt, dass dieser eine Ausbildung in Hamburg anfangen wolle und sich der Arbeitsweg verkürze.
„Das ist doch reine Schikane“, sagt die 56-Jährige, die sich das nicht gefallen lassen will. Auch wenn sie Angst hat, wie es weitergeht und manchmal schlecht schläft, will sie nicht einfach den Rückzug antreten und alles aufgeben. Es sei nicht das erste Mal, dass sie sich durchboxen müsse. „Ich habe mein Leben lang gekämpft“, sagt die Hamburgerin.
Hamburg-Hoheluft: Nach 30 Jahren sollte auch Heike Koller ausziehen
Anderer Stadtteil, ähnlicher Fall: Heike Koller lebte 33 Jahre in ihrer Wohnung in Hoheluft, bis sie die Kündigung erhielt. Grund: Eigenbedarf. Auch hier gab der Eigentümer an, dass der Enkel eine Ausbildung in Hamburg beginne und in die 80 Quadratmeter große Wohnung ziehen wolle.
In diesem Fall gehören dem Vermieter allerdings mehrere Wohnungen allein in diesem Objekt. Es hätte also auch andere im Haus treffen können. Hat es aber nicht. Als Grund wurde angegeben, dass Heike Koller allein lebe und andere Mieter noch länger hier wohnen würden.
Mieterin zur Kündigung wegen Eigenbedarfs: „Die wollten mich loswerden“
„Die wollten mich loswerden“, ist sich Heike Koller sicher und sieht als Grund für die Auswahl vielmehr ihre niedrige Miete. Von den elf Parteien im Haus habe sie eine sehr niedrige, wenn nicht die niedrigste Miete gehabt, weil sie nicht nur lange dort wohnte, sondern 2020 einer erneuten Mieterhöhung mit Erfolg widersprochen hatte.
„Die Miete sollte um 15 Prozent steigen, das wären 130 Euro im Monat mehr gewesen“, berichtet Koller, die als Rentnerin die Miete von 1150 Euro warm für die Wohnung in dem Altbau allein aufbringen musste. Vorherige Erhöhungen habe sie noch mitgetragen. Gleichzeitig habe sie die Nebenkostenabrechnung stets genau gelesen und hinterfragt. Sprich: Koller war keine bequeme Mieterin. Aber: „Ich habe 33 Jahre lang immer gezahlt“, betont sie. Zudem hätte sie viel in der Wohnung gemacht, das Bad renoviert, die Böden gemacht und die Küche eingebaut.
Wohnung in Hamburg-Hoheluft: Kündigung wegen Eigenbedarfs kam ohne Vorwarnung
Trotzdem gab es im April dieses Jahres ohne Vorwarnung besagtes Schreiben vom Vermieter mit der Kündigung. „Ich habe die Hälfte meines Lebens dort verbracht, mein Kind ist hier groß geworden. Das war ein Schock“, erinnert sie sich. Koller wurde ebenfalls ein Jahr für die Räumung zugestanden. Doch im Gegensatz zu Anke Ilgenstein-Wille wollte sich die 68-Jährige den Kampf nicht antun.
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„Auf Kohlen zu sitzen und nicht zu wissen, ob man vielleicht geräumt wird, das wollte ich nicht“, erklärt sie. Hinzu kam, dass Koller Glück hatte. Nach nur sechs Wochen fand sie durch Zufall und Kontakte eine neue Wohnung. Etwas kleiner, in Winterhude. Ihr neuer Vermieter ist eine Stiftung. Sie sagt heute: „Ich bin wirklich glücklich hier.“ Ihrem alten Zuhause trauert sie aber trotzdem hinterher. Am Haus mag sie nicht mehr vorbeigehen. Sie sagt: „Ich versuche damit abzuschließen.“ Was bliebe ihr auch anderes übrig?