Hamburg. Falk Schnabel sieht die rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um Zelte auf der Moorweide zu verbieten. Droht ein zweites „Lampedusa-Zelt“?

Warum dürfen Israel-Feinde mitten in Hamburg ein Camp aufschlagen – und das schon seit Monaten? Warum duldet die Polizei die Pro-Palästina-Aktivisten? Warum ist das Zeltdorf auf dem Theodor-Heuss-Platz am Rande der Moorweide nicht längst geräumt? Die Polizei, Hauptadressat der Kritik, steckt in einem juristischen Dilemma. Jetzt äußert sich ihr Präsident Falk Schnabel und erklärt, warum sie nicht anders kann.

Die Polizei hat eine erneute Verlängerung des umstrittenen Camps bis Ende Juli bestätigt. Der Veranstalter will zumindest bis September bleiben. Droht hier ein neues Dauercamp, vergleichbar mit dem umstrittenen „Lampedusa“-Zelt, das jahrelang am Steindamm für Ärger sorgte? Das ist eine Sorge, die Senat und Polizei umtreibt.

Das Signal, das von dem Anti-Israel-Camp ausgeht, ist schwer zu ertragen. Es wird zum „Widerstand“ aufgerufen, dazu, Israel zu entwaffnen. Israel wird Völkermord und Apartheid vorgeworfen. Laut Beobachtern wird das Existenzrecht Israels infrage gestellt. All das zusammen reicht trotzdem nicht für ein Verbot?

Anti-Israel-Camp in Hamburg: Was der Polizeipräsident sagt

Falk Schnabel sagt Nein. „Wir haben alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, ein Camp auf der Moorweide zu verbieten.“ In Artikel 8 des Grundgesetzes heißt es: Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Das ist die rechtliche Grundlage auch dieses Camps.

Heißt: Die Polizei genehmigt Versammlungen wie die am Rande der Moorweide nicht. Sie kann sie bestätigen, unter „ganz engen Voraussetzungen einschränken“ (Schnabel) und in sehr wenigen Ausnahmen ablehnen. So zum Beispiel wäre es in der Bannmeile des Rathauses oder auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme. „Die große Moorweide ist zwar ein historischer Ort, aber sie genießt nicht denselben Schutz wie zum Beispiel Neuengamme“, sagt Schnabel.

Rückblende: Geplant ist ursprünglich ein Camp auf der Moorweide selbst mit bis zu 100 großen Zelten und mehreren Hundert Teilnehmern. Die Zeltstadt soll Assoziationen zum Leben der Palästinenser in Rafah wecken. Die Veranstalter suchen sich bewusst diesen Ort aus – wegen der Nähe zur Universität. Hier erhoffen sie sich den größten Zulauf und Zuspruch. Alternativ angebotene Zeltplätze lehnt die Initiative wegen fehlender Nähe zur Hochschule ab.

Moorweide: Von hier wurden jüdische Mitbürger deportiert

Schließlich akzeptiert die Polizei zehn Zelte auf einer knapp 500 Quadratmeter großen Fläche gleich hinter der Tankstelle an der Edmund-Siemers-Allee. Die grenzt zwar unmittelbar an die Moorweide an, liegt aber außerhalb, und zwar auf dem Theodor-Heuss-Platz. Das Verbot, die Moorweide zu nutzen, begründet die Polizei mit der Grünflächenverordnung. Die Moorweide ist Naherholungsgebiet für alle Hamburger. Auch sei ein Camp eine zu große Belastung für die Vegetation.

Eine andere Handhabe gegen die Israel-Feinde finden die Rechtsexperten der Polizei nicht – trotz der historischen Bedeutung des Ortes. Die Sammelstelle der Nationalsozialisten für Deportationen von jüdischen Mitbürgern ist heute Versammlungsort für anti-israelische und anti-jüdische Proteste. „Rechtlich ist es nicht möglich, ein Verbot einer Versammlung mit der historischen Bedeutung des Ortes zu begründen“, sagt Schnabel.

Gericht erlaubt Protestcamp mit 30 Zelten und Teilnutzung der Moorweide

Gegen das Verbot, auf die Moorweide zu dürfen, und gegen die Auflagen klagt der Veranstalter. Und bekommt am 27. Juni zumindest teilweise recht. Zehn Zelte seien für die angedachte Symbolik zu wenig, die erwünschten 100 aber zu viel. 30 müssen reichen. Die beantragten Bierbänke und Biertische lehnt das Gericht nach Abendblatt-Informationen hingegen ab – schließlich würden die der gewünschten Rafah-Symbolik widersprechen, heißt es eher süffisant.

Aber das Gericht erlaubt, doch einen kleinen Teil der Moorweide zu nutzen: rund 400 Quadratmeter. Menschen dürfen sich hier versammeln, Zelte sind aber weiterhin nur auf dem Theodor-Heuss-Platz erlaubt. „Das Gericht hat gegen unsere pauschale Untersagung der Großen Moorweide geurteilt. Deshalb konnten wir bei der Fortsetzung des Camps nicht anders, als eine zeitlich begrenzte und eingeschränkte Nutzung zu bestätigen“, sagt Schnabel.

Schnabel: Kein Verständnis, wenn Täter und Opfer umgekehrt werden

„Persönlich sehe ich es äußerst kritisch, dass an diesem Ort, an dem historisch so viel Unrecht geschehen ist, jetzt israelfeindliche Proteste abgehalten werden. Als Hamburger Bürger teile ich die dort kundgegebene Meinung in keinster Weise. Ich kritisiere scharf, dass durch diese Versammlung der Eindruck erweckt wird, dass Israel in der gegenwärtigen Situation der Aggressor ist. Bei allem Leid, das die Bevölkerung in Gaza jetzt erleiden muss, dürfen wir nicht verkennen, dass es Israel war, das angegriffen worden ist und das schreckliche Verluste erlitten hat. Ich habe kein Verständnis, wenn Täter und Opfer umgekehrt werden“, sagte Schnabel.

Das Camp wird vom Verfassungsschutz beobachtet. „Es gibt kaum einen Ort, der so intensiv beobachtet wird wie dieser. Jeder Buchstabe, der da irgendwo auf ein Transparent geschrieben wird, wird analysiert“, sagte Innensenator Andy Grote (SPD) jüngst bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts. Es seien auch schon Transparente entfernt worden.

Auch die Polizei hat das Camp im Blick. „Unsere Kräfte werden einschreiten, sobald strafbare Meinungsäußerungen getätigt werden. Nur hatten wir bislang keine Handhabe, die Versammlung aufzulösen“, sagt der Polizeipräsident. Heißt: Für eine Räumung fehlt die rechtliche Grundlage, auch wenn es durchaus schon Strafanzeigen gab. In einem Fall beschimpfte und beleidigte ein offensichtlich betrunkener Passant die Menschen im Camp. Es kam zu einer Rangelei mit gegenseitigen Anzeigen und Vorwürfen. Ein anderer Fall ist ähnlich gelagert. Darüber hinaus gab es zahlreiche Beschwerden über den Müll, der herumlag.

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Im Schnitt sollen sich tagsüber weniger als 100 Leute und damit weniger, als vom Veranstalter erhofft, im Camp aufhalten. Die Nacht scheinen die Demonstranten zu Hause zu verbringen, jedenfalls ist bei der Polizei lediglich von einer „Nachtwache“ die Rede, die hier ausharre. 

Massive Kritik am Pro-Palästina-Camp kommt von der Opposition. So nennt CDU-Chef Dennis Thering die Duldung ein „falsches Signal“. Die Pro-Palästina-Aktivisten würden auf der Moorweide „mit Aggressivität und hetzenden Slogans wie ‚Zionismus ist Faschismus‘ und ‚Free Palestine‘ das Existenzrecht Israels öffentlich infrage“ stellen, kritisiert der Oppositionsführer. „Für Antisemitismus darf es in unserer Stadt keinen Platz geben. Der rot-grüne Senat muss endlich eine Null-Toleranz-Strategie fahren“, so Thering.