Hamburg. Protestler wollen jetzt sogar bis September weitercampen. FDP beantragt Auflösung. Auf dem Platz am Dammtor begannen Juden-Deportationen.

Laut und monoton brummt ein Aggregat auf einer Wiese vor dem Bahnhof Dammtor, volle Müllbeutel stapeln sich, große und kleine Zelte stehen unter Bäumen am Bürgersteig des Theodor-Heuss-Platzes. Auch das durchwachsene Hamburger Wetter bringt die Protestgruppe nicht davon ab, aufmerksamkeitsstark für ihre Sache zu demonstrieren. Ihre auf Bannern geschriebenen Forderungen stechen unmittelbar ins Auge: „Sofortiger Auszug der israelischen Truppen aus Gaza“, „Waffenexporte nach Israel sofort stoppen“, „Transparenz zur Waffenlieferung aus dem zivilen Hafen Hamburg“.

Das Pro-Palästina-Camp auf der Großen Moorweide ist nach Aussage eines Aktivisten bei Instagram 24 Stunden, sieben Tage die Woche, besetzt – Protestierende übernachten dort in Zelten. Das im Mai aufgebaute Camp war anfangs nur für einige Tage geduldet, wurde dann bis Anfang Juni und dann bis Ende Juni verlängert: Nun steht das Camp schon seit acht Wochen auf der Wiese, direkt gegenüber vom Dammtor-Bahnhof. Diese Verlängerung bezeichnete CDU-Fraktionschef Dennis Thering damals als „falsches Signal“. Jetzt fordert die FDP Eimsbüttel die Räumung des Protestlagers.

FDP Eimsbüttel fordert Räumung des Pro-Palästina-Camps auf Moorweide in Hamburg

„Die Versammlungsbehörde befasst sich aktuell mit einer Anmeldung, wonach die Dauerversammlung dort bis Ende September fortgesetzt werden soll“, sagt Florian Abbenseth, Sprecher der Polizei Hamburg. Aber: Die Kooperation in dieser Sache dauere noch an, teilt die Behörde mit.

Dieses Camp findet laut FDP Eimsbüttel auf „unklarer Rechtslage“ statt. Trotz der Genehmigung bis Ende Juni erscheine es fraglich, „ob diese Dauerversammlung tatsächlich vollumfänglich und an diesem Ort eine verfassungsrechtlich geschützte Versammlung ist beziehungsweise sein kann“, heißt es in einer Mitteilung der Bezirksfraktion.

Es sei nicht hinnehmbar, „dass die Moorweide, die unter anderem Sammelstelle für Deportationen im Zweiten Weltkrieg war, als Versammlungsort für anti-israelische und anti-jüdische Proteste genutzt wird“. Die Eimsbütteler Liberalen fordern in einem Antrag die Bezirksverwaltung auf, Alternativstandorte für das Protest-Camp zu finden, sollte dieses noch länger stattfinden.

FDP Eimsbüttel übt scharfe Kritik: Versammlung „verkennt historische Bedeutung“

„Wir beanstanden nicht, dass Menschen ihre Solidarität mit den Palästinensern bekunden wollen. Entsprechende Versammlungen und Meinungsäußerungen sind durch das Grundgesetz geschützt, soweit sie sich an Recht und Gesetz halten“, erklärt Benjamin Schwanke, Vorsitzender der FDP Fraktion in der Bezirksversammlung Eimsbüttel. Er sagt aber auch: „Eine solche Versammlung auf der Moorweide zu erlauben, verkennt jedoch deren historische Bedeutung.“

Die Kritik in dem Antrag der FDP Eimsbüttel: „Trotz der aufgrund ihrer Historie denkbaren Ungeeignetheit der Moorweide für ein derartiges Camp wurden nahe gelegene, alternative Flächenangebote offenbar nicht geprüft beziehungsweise entgegen erster Meldungen letztlich doch nicht zur Auflage gemacht.“

Moorweide stehe als Ort für „systematische Ermordung der Hamburger Jüdinnen und Juden“

Die Partei bezieht sich auf das Hamburgische Gedenkstättengesetz. Dort heißt es: „In Hamburg begann die Deportation von Jüdinnen und Juden in die Gettos und Vernichtungslager am 25. Oktober 1941. Zentrale Sammelstelle war das ehemalige Logenhaus an der Moorweidenstraße. Von dort wurden die Deportierten zur Moorweide gebracht, einem gut einsehbaren Platz mitten in Hamburg.“ Dieser Ort stehe für die „systematische Ermordung der Hamburger Jüdinnen und Juden“.

Pro-Palästina-Camp auf der Großen Moorweide gegenüber des Bahnhofs Dammtor. Das Protestlager steht dort bereits seit Anfang Mai.
Pro-Palästina-Camp auf der Großen Moorweide gegenüber dem Bahnhof Dammtor. Das Protestlager steht dort bereits seit Anfang Mai. © privat | Marlen Schubert

Unter welchen Bedingungen eine Versammlung verboten werden kann, ist im Versammlungsgesetz geregelt. Demnach kann ein Verbot verhängt werden, wenn diese an einem historisch bedeutenden Ort stattfindet, der der Opfer des Nationalsozialismus gedenkt, und aufgrund konkreter Umstände zu befürchten ist, dass die Würde der Opfer durch die Versammlung beeinträchtigt wird.

„Die Versammlungsbehörde kann eine Versammlung also untersagen, wenn es eine entsprechend durch Landesgesetz festgelegte Gedenkstätte wäre“, sagt Abbenseth. In Hamburg sei ausschließlich die KZ-Gedenkstätte Neuengamme per Gesetz ein Ort im Sinne des Versammlungsgesetzes.

Pro-Palästina-Camp weist selbst auf historische Bedeutung der Moorweide hin

Weiter kritisiert die FDP vor diesem Hintergrund, dass die Protestierenden eben ausgerechnet an diesem Ort Banner aufgehängt haben, die Zionismus und Faschismus gleichsetzen, die Entwaffnung des Staates Israels und die Aufhebung der Staatlichkeit Israels fordern. Zumindest Ersteres und Letzteres ist aktuell nicht mehr auf Transparenten rund um das Protestlager zu sehen.

In großen, meist schwarzen oder roten Buchstaben liest man dort aber weiterhin ihre Forderungen: „Israel sofort entwaffnen“, „Freiheit für alle unterdrückten Völker“, „Gegen Genozid, gegen Apartheid“. Auch auf die historische Bedeutung des Ortes gehen die Aktivisten ein, so ist auf einem Schild zu lesen: „Von 1941 bis 1943 fanden auf der Moorweide 17 Deportationen in Arbeits- und Konzentrationslager statt. Dieser Ort ist eine Mahnung für die Lebenden.“ Zu einem persönlichen Gespräch mit dem Abendblatt waren die Protestierenden nicht bereit.

An Universität Hamburg kommt es immer wieder zu antisemitischen Übergriffen

Am 6. Mai hatten mehrere Gruppen in den sozialen Medien zu dem Camp aufgerufen – darunter „Students for Palestine HH“ (Studierende für Palästina) und die propalästinensische Gruppe Thawra, ebenso wie „Palästina Spricht Hamburg“ und die Palästina-Allianz Hamburg. Thawra, arabisch für Revolution, ist eine antiimperialistische Gruppe, die sich in Solidarität mit Palästina engagiert. Ihr Antrieb: „Aus Solidarität mit unseren Geschwistern in Gaza. Aus Solidarität mit unseren Geschwistern an den Universitäten weltweit.“

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Unweit des Protestcamps am Dammtor ist auch die Universität Hamburg beheimatet. Dort kam es in der vergangenen Zeit immer wieder zu antisemitischen Übergriffen. So wurde eine 56-jährige Frau am 8. Mai im Rahmen der Ringvorlesung „Judenfeindlichkeit, Antisemitismus, Antizionismus – aktualisierte Formen antijüdischer Gewalt“ von einer Frau mit mutmaßlich islamistischem Hintergrund gewürgt und dann mit mehreren Schlägen und Tritten verletzt. Ein anderes Mal störten Aktivisten eine Vorlesung derselben Ringvorlesung von der israelischen Unternehmerin Jenny Havemann. Zunächst gab es vor dem Gebäude eine unangemeldete pro-palästinensische Demonstration, später wurde die Veranstaltung immer wieder beeinträchtigt.

Antisemitische Vorfälle: Staatsschutz ermittelt – Universität stellte Strafanzeige

Laut Polizei Hamburg wurden in dem ersten Fall Verfahren gegen beide beteiligte Frauen, jeweils wegen des Verdachts der Körperverletzung, eingeleitet, sagt Nina Kaluza, Sprecherin der Polizei Hamburg. „Im zweiten Fall wurde ein Strafverfahren aufgrund der nicht angemeldeten Versammlung und ein weiteres wegen des Verdachts der Beleidigung zum Nachteil der Versammlungsteilnehmenden eingeleitet.“ Die Ermittlungen seien vom Staatsschutz übernommen worden und dauerten an.

Die Universität Hamburg habe Strafanzeige gestellt, ein unbefristetes Hausverbot gegen die Angreiferin ausgesprochen, und „die antisemitische Gewalttat vom 8. Mai 2024 aufs Schärfste verurteilt“.

Pro-Palästina-Camp: FDP fordert notwendige Gebühren für Aktivisten

In ihrem Antrag bezieht sich die FDP Eimsbüttel außerdem auf Versammlungshinweise der Polizei Hamburg. „Der Gebrauch von Infrastruktur (Tische, Stühle, Bänke, Infotische, Pavillons, etc.) ist grundsätzlich nicht versammlungsimmanent. Das heißt, dass alles, was nicht funktional der Verwirklichung des Versammlungsgrundrechtes dient, einer besonderen Sondernutzungserlaubnis des jeweils örtlich zuständigen Bezirksamtes bedarf“, heißt es dort.

Vor diesem Hintergrund fordert die FDP, dass geprüft wird, ob für die Protestierenden mögliche Gebühren angefallen seien. „Das Demonstrationsrecht und die Meinungsfreiheit sind herausragende Güter unserer Verfassung. Wenn für die Inanspruchnahme dieser Rechte aber öffentlicher Raum über ein notwendiges beziehungsweise genehmigtes Maß hinaus genutzt wird, müssen dafür auch die notwendigen Gebühren entrichtet werden“, so Benjamin Schwanke.

Polizei-Sprecher Abbenseth sagt dazu: „Mit Blick auf die bisherige Ausgestaltung der Dauerversammlung werden auch Tische, Stühle, Zelte und Pavillons von der Versammlungsbehörde als versammlungsimmanent angesehen.“