Hamburg. Das Hamburger Unternehmen Lichtermeer hat in Hoheluft-West seinen dritten Standort eröffnet. Wie die Gründer den Tod ins Leben holen.
Neulich, da haben sie einen Sarg draußen auf dem Bürgersteig aufgestellt. Ein 18-Jähriger war plötzlich verstorben, und seine Lehrerin hatte den Klassenkameradinnen und -kameraden schulfrei gegeben, um Abschied zu nehmen und den Sarg zu bemalen. Und dann kamen so viele, dass es drinnen zu eng wurde. Auch die Anwohner bekamen das Geschehen mit. Einer schrieb dem Bestattungsunternehmen: „Ich kann von gegenüber sehen, wie Jugendliche den Sarg bemalen. Das finde ich sehr schön – auch, dass es draußen stattfindet.“
Genau so wünschen es sich Gioia Königsmark und Dustin Selke. Die beiden haben das Bestattungsunternehmen Lichtermeer gegründet, das dem Tod moderner begegnen soll, als es oft üblich ist. Vergangene Woche haben sie ihren dritten Standort in Hamburg eröffnet – am Eppendorfer Weg in Hoheluft-West, in den ehemaligen Räumlichkeiten von text + töne.
Eppendorfer Weg: Glitzersarg und Zirkuszelt – so modern sind diese Bestatter
Und genau wie bei den anderen Standorten in Ottensen und Winterhude sind Königsmark und Selke auch hier mittendrin. In der Nachbarschaft. Neben Cafés und Geschäften. Wer bei einem Bestattungsunternehmen an einen an einer Ausfallstraße gelegenen Zweckbau mit Lamellen vor den Fenstern und einem Schreibtisch mit Aktenordnern darauf denkt, der wird hier überrascht.
Die Schaufenster am Eppendorfer Weg sind offen und geben den Blick auf eine gemütliche Sitzecke frei. Bunte Blumen, Federschmuck und Bilder an den Wänden lassen die Räumlichkeiten wie eine gemütlich eingerichtete Wohnung wirken. Die Tür steht fast immer offen.
„Die Leute sollen gucken kommen und sich reintrauen. Durch die Offenheit wollen wir ein Bewusstsein dafür schaffen, dass der Tod zum Leben dazugehört“, sagt Königsmark. Vergangene Woche, als sie ihre Eröffnung gefeiert haben, waren rund 200 Menschen da. Es gab Häppchen und Getränke, und als DJ-Pult diente ein Glitzersarg.
Hamburger Duo will Bestattungen moderner machen
Königsmark und Selke sind seit Schulzeiten befreundet, studierten BWL und Wirtschaftsrecht, arbeiteten in Festanstellungen. Bis das Leben dazwischenkam – oder besser gesagt: der Tod. Beide erlebten Verluste in ihren Familien und hatten erstmals Kontakt mit klassischen Bestattungsunternehmen.
Bei Königsmark stellte sich dabei die Herausforderung, dass sie den Wunsch ihrer Mutter erfüllen wollte, ihre Asche auf dem Jakobsweg zu verstreuen. Dabei erfuhr sie, dass es sehr schwer war, einen Bestatter zu finden, der ihr dabei helfen würde. Sie wühlte sich durch die deutschen Gesetze und Regularien. „Dabei wollte ich einfach in Ruhe trauern“, erinnert sie sich. Und auch Dustin Selke war nach zwei Trauerfeiern aufgewühlt: „Zwei ganz unterschiedliche Menschen sind gestorben, und die Trauerfeiern waren doch fast identisch. Wie von der Stange.“
Unabhängig voneinander wuchs bei den beiden der Wunsch, Bestattungen neu zu denken. Den Trauernden auf Augenhöhe zu begegnen, Wünsche zu erfüllen, Familien liebevoll zu begleiten. 2021 taten sie sich schließlich zusammen und gründeten „Lichtermeer –Bestattungen fürs Leben“.
Bestattung in Hamburg: Pizza bestellen und den Sarg bemalen
Natürlich sind auch Selke und Königsmark an die deutschen Gesetze gebunden, etwa wenn es um die Friedhofspflicht geht, die als Ausnahmen nur die Baumbestattung auf einem Waldfriedhof oder die Seebestattung vorsieht. „Aber wir kennen auch die Spielräume und versuchen, innerhalb des Rahmens alle Wünsche zu erfüllen.“
Das kann zum Beispiel der Wunsch sein, einen im Krankenhaus Verstorbenen noch einmal nach Hause zu holen, ihn aufzubahren oder gemeinsam mit der Familie den Sarg zu bemalen. Dafür stellt Lichtermeer gerne seine Räumlichkeiten zur Verfügung.
„Wir geben den Hinterbliebenen dann einfach den Schlüssel, und sie können sich dann bei uns frei bewegen wie zu Hause. Sie können Abschied nehmen, den Sarg verzieren und dabei die Lieblingsmusik des Verstorbenen hören und Pizza dazu bestellen“, so Königsmark. Sie nennen sich auch das „erste Reisebüro für die letzten Wünsche“.
Bestattung: Viele Hinterbliebene wollen heute mehr Mitspracherecht haben
Die Ansprüche an ein Bestattungsunternehmen haben sich verändert, sagt Mitgründer Dustin Selke. „Viele wollen kein Unternehmen mehr, das ihnen einen standardisierten Ablauf vorgibt. Die Menschen wollen auch über Kleinigkeiten selbst entscheiden. Wir klären offen auf, welche Möglichkeiten es gibt.“
Dabei geht es um Detailfragen, die wohl niemand je im Kopf hatte, bevor sie gestellt werden: Sollen die Augen auf oder zu sein? Wie kühle ich den Verstorbenen, wenn er noch ein paar Tage zu Hause sein soll? „Wir nehmen die Menschen mit und erklären jede Option, damit sie wirklich frei entscheiden können“, betont Selke.
Auch die Transparenz sei wichtig. „Wir sprechen offen über die Kosten, die auf die Hinterbliebenen zukommen. Auch die versteckten, von denen viele noch überrascht werden, wenn längst alles erledigt geglaubt ist.“ Bei Lichtermeer gibt es einen Festpreis: „3250 Euro stellen wir in Rechnung. Egal wie umfangreich unsere Begleitung gewünscht ist.“
Moderne Bestattung in Hamburg: Lichtermeer versucht, jeden Wunsch zu erfüllen
Bei manchen Familien sind sie bei jedem Schritt dabei, begleiten den Gang zum Friedhof und die Suche nach einem Grabplatz, helfen bei der Auswahl des Grabsteines, machen mehrere Hausbesuche. „Andere wollen autonomer unterwegs sein“, so Königsmark.
Und ganz wichtig: „Wir versuchen, wirklich jeden Wunsch zu erfüllen.“ Neulich etwa, da war ein Mann gestorben, der jedes Jahr in einem Zirkuszelt ein Gartenfest veranstaltet hat. Und in einem Zirkuszelt sollte auch seine Trauerfeier stattfinden zu fröhlicher Musik. Das hatte er sich gewünscht.
Bestattung: Hamburger Unternehmen nennt es lieber Lebens- statt Trauerfeier
Und so organisierten Selke und Königsmark eben ein Zirkuszelt und eine New-Orleans-Blaskapelle, die den Gang vom Zirkuszelt bis zum Friedhof begleitete. Sie nennen es ohnehin lieber Lebens- statt Trauerfeier.
Mehr aus Hamburg-Eimsbüttel
- Sterbeurkunde: Hinterbliebene warten weiterhin wochenlang
- Kurios: In Hamburg sind bald Bestattungen im Teich möglich
- Trucys Café in Hamburg: Warum aus einer Filiale plötzlich drei werden
Das Wichtigste aber sei, wirklich zuzuhören. Zu begreifen, was für ein Mensch der Verstorbene oder die Verstorbene war, und zu verstehen, was für ein Rahmen für alle passend ist. Die Trauerfeier und Beisetzung seien Momente, die für immer bleiben. „Und die müssen sitzen“, sagt Selke. „Es gibt schließlich keine zweite Chance für die letzte.“