Hamburg. Gemeindemitglieder erfuhren bei einem Gottesdienst davon und sind empört. Durfte die Kirche in Stellingen so viel Geld ausgeben?
Es ist eine Summe, die Fragen aufwirft: Die Kirchengemeinde Langenfelde in Hamburg-Stellingen hat seit 2017 rund 180.000 Euro für Rechtsstreitigkeiten ausgegeben. Das erfuhren die Gemeindemitglieder Anfang März auf einem Sonntagsgottesdienst von Propst Thomas Drope.
Ein Teilnehmer des Gottesdienstes berichtet, dass die hohe Summe bei vielen für Verwunderung und teils auch Empörung gesorgt habe. Dass sich die Gemeinde in der Vergangenheit „klagefreudig“ zeigte, war zwar bekannt – aber mit diesem Betrag hatte offenbar niemand gerechnet. Die Summe steht stellvertretend auch für einen bizarren Kirchenstreit, der die Gemeinde seit Monaten und Jahren nicht zur Ruhe kommen lässt.
Kirche in Stellingen: Bei dem Streit geht es vor allem um Geld
Auf Nachfrage bestätigte der zuständige Kirchenkreis Hamburg-West/ Südholstein die Summe dem Abendblatt. „Seit 2017 hat die Kirchengemeinde rund 180.000 Euro für rechtliche Auseinandersetzungen aufgewendet“, sagt Sprecher Gunnar Urbach. Es ist eine Summe, die er derzeit nicht kommentieren möchte. Die Durchsicht und Auswertung der Unterlagen sei noch nicht abgeschlossen.
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Was derzeit hier in der kleinen Kirchengemeinde Langenfelde passiert, ist das Ergebnis eines jahrelangen Streits zwischen Gemeinde und dem übergeordneten Kirchenkreis, in dem es vor allen Dingen um Geld geht. Die Gemeinde wirft dem Kirchenkreis vor, beim Bau eines Mehrfamilienhauses mit 15 Wohneinheiten direkt gegenüber der Kirche die Baukasse nicht ordentlich geführt und Gelder zweckentfremdet zu haben.
Der Kirchenkreis wiederum wirft der Gemeinde vor, entgegen den kirchlichen Vorschriften bereits seit mehreren Jahren keinen Jahresabschluss zu ihren Haushaltsplänen beschlossen zu haben. Auch den Umgang mit den Mieterinnen und Mietern, die in dem kircheneigenen Mehrfamilienhaus am Försterweg gegenüber leben, kritisierte der Kirchenkreis.
Kirche in Stellingen: Erst Pastor suspendiert, dann Gemeinderat aufgelöst
Schließlich veranlasste der Kirchenkreis zunächst die Suspendierung des bis dahin tätigen Pastors und dann die Auflösung des Kirchengemeinderates. Seitdem ist ein Beauftragtengremium vor Ort eingesetzt, und ein Vertretungspastor hat übernommen.
Das Gremium hat nach Angaben von Sprecher Urbach die gleichen Rechte und Pflichten wie ein Kirchengemeinderat und könne genauso Beschlüsse fassen. „Das Gremium wird alle Unterlagen und Vorgänge sichten und dort, wo es nötig ist, Fachleute hinzuziehen.“ Von Interesse dürfte sein, um welche Streitigkeiten es sich genau gehandelt hat, die schließlich zu der Summe von 180.000 Euro geführt haben.
Kirchenstreit in Stellingen: Wie sind die 180.000 Euro zustande gekommen?
Bekannt ist, dass die Kirchengemeinde nicht nur gegen den Kirchenkreis klagt, beziehungsweise klagte, sondern sich auch jahrelang mit dem Denkmalschutzamt vor Gericht gestritten hat. Zudem ging die Gemeinde Ende vergangenen Jahres per Räumungsklage gegen eine Mieterin in dem Mehrfamilienhaus gegenüber der Kirche Zum guten Hirten vor. Ob es weitere Rechtsstreitigkeiten gab, ist bislang nicht bekannt.
Ebenfalls unklar ist, aus welchen Töpfen genau das Geld stammt, um Anwälte und Prozesskosten zu bezahlen. Und es stellt sich die Frage: Darf eine Gemeinde Geld für solche Zwecke in dieser Größenordnung eigenmächtig abrufen?
Kirchengemeinde verwaltet ihre Angelegenheiten in eigener Verantwortung.
Dazu erklärt Dieter Schulz, Pressesprecher der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche): „Gemäß der Verfassung und der Gemeindeordnung der Nordkirche ist eine Kirchengemeinde eine eigenständige Körperschaft des Kirchenrechtes und zugleich eine eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechtes.“
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Die Kirchengemeinde ordne und verwalte ihre Angelegenheiten im Rahmen des geltenden Rechts in eigener Verantwortung. „Dies schließt auch die Vertretung in Rechtsstreitigkeiten mit ein“, so Schulz weiter.
Kirche in Stellingen: Gemeinde hat Jahresbilanz jahrelang nicht vorgelegt
„Grundsätzlich steht es in einem Rechtsstaat jedem zu, Entscheidungen juristisch überprüfen zu lassen“, so der Sprecher der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. „Auch das Kirchenrecht sieht entsprechende Einspruchsmöglichkeiten vor.“ Ob jede rechtliche Auseinandersetzung, die der Kirchengemeinderat Langenfelde geführt hat, angemessen war, könne er nicht beurteilen.
Grundsätzlich ist es so geregelt, dass jede Kirchengemeinde die Jahresrechnung dem Kirchenkreis vorlegen muss, der diese rechtlich prüft. Wie berichtet, hatte der Kirchenkreis dazu aber offensichtlich keine Möglichkeit. Noch im Januar hatte er mitgeteilt: „Aktuell können keine Auskünfte zur finanziellen Situation der Gemeinde getroffen werden, da die Gemeinde – entgegen der kirchlichen Vorschriften – bereits seit mehreren Jahren keinen Jahresabschluss zu ihren Haushaltsplänen beschlossen hat.“