Hamburg. Neu gegründete Initiative befürchtet Probleme am Tibarg. Staatsrätin Lotzkar nimmt Stellung bei hochemotionaler Infoveranstaltung.

Die spätbarocke Kirche am Markt im Hamburger Stadtteil Niendorf hat ansonsten nur zur Weihnachtszeit so viele Besucherinnen und Besucher wie an diesem Dienstagabend. Etwa 250 Menschen sind gekommen, weil sie Antworten auf ihre vielen Fragen haben wollen.

In der jahrhundertelangen Geschichte der Kirche gab es schon viele emotionale Momente, doch der aktuelle Anlass für den Informationsabend an diesem ungewöhnlichen Ort polarisiert wie selten. Denn im April 2024 sollen an gleich zwei Adressen am Garstedter Weg Obdachloseneinrichtungen eröffnet werden. Und das sorgt für viel Unsicherheit, aber bei etlichen im Gotteshaus auch für große Zustimmung.

Petra Lotzkat stellt sich in der Kirche am Markt in Niendorf den Fragen der Bürgerinnen und Bürger.
Petra Lotzkat stellt sich in der Kirche am Markt in Niendorf den Fragen der Bürgerinnen und Bürger. © Elisabeth Jessen | Elisabeth Jessen

Garstedter Weg: Niendorfer haben viele Fragen an die Behörde

Petra Lotzkat, Staatsrätin der Hamburger Sozialbehörde, Susanne Nicolaus, Leiterin des Amtes für Soziales in der Sozialbehörde, Katrin Wollberg und Ina Ratzlaff, beide Bereichsleiterinnen bei Fördern & Wohnen (F&W) sin d gekommen, um sich den Fragen der Niendorfer zu stellen.

Man könnte sagen, endlich. Denn bereits Mitte Februar waren die Pläne bekannt geworden. Und erst jetzt folgt die offizielle Informationsveranstaltung. Das nehmen viele im Stadtteil der Behörde sehr übel, wie es an einer Reihe von Redebeiträgen deutlich wird. Petra Lotzkat bittet deshalb gleich mehrfach um Entschuldigung dafür, dass nun erst mit fast einem Monat Verzögerung dieser Infoabend folgt.

Neuer Zusammenschluss von Niendorfern fordert Stopp der Pläne

Auf dem Weg in das Gotteshaus hat ihr ein Mitglied des neu gegründeten Zusammenschlusses von Niendorfer Bürgerinnen und Bürgern ein Flugblatt überreicht. Die Gruppierung nennt sich „Niendorf. Lebenswert für alle“ und sieht in den beiden geplanten Obdachlosenunterbringungen zwar gute Projekte, allerdings am falschen Standort.

„Wichtige Belange der Anwohner der in der direkten Nachbarschaft befindlichen Institutionen und aller Bürger Niendorfs wurden nicht berücksichtigt, welches sich an den vielen offenen Fragen und Befürchtungen zeigt“, heißt es in dem Schreiben. Sie fordern eine Neu-Evaluierung der Standorte und bis dahin einen Stopp aller Aktivitäten.

Staatsrätin: Erste Bewohner ziehen am 22. April ein

Petra Lotzkat dagegen kündigt den Einzug der ersten Bewohner am Garstedter Weg 79–85 bereits für den 22. April an und damit eine Woche später als geplant. „Die Schule hat gebeten, die Inbetriebnahme etwas zu verschieben“, sagt sie. Offenbar sollen die Grundschüler der Grundschule Burgunderweg, die auf der gegenüber liegenden Straßenseite liegt, pädagogisch noch etwas intensiver auf die neuen Nachbarn vorbereitet werden.

Am Garstedter Weg 79-85, dem ehemaligen Pflegewohnstift, sollen bis zu 118 pflegebedürftige obdachlose Menschen einziehen. Es werden sowohl Frauen als Männer aufgenommen. Fördern & Wohnen hat das Gebäude zum 1. April 2024 angemietet und wird auch den Betrieb dieser neuen Einrichtung übernehmen. Das alte Schild mit der Aufschrift „Pflegewohnstift“ ist inzwischen abgebaut.

Garstedter Weg 79-75: Neue Bewohner sollen „handverlesen“ werden

Im ersten Schritt sollen laut der Staatsrätin 32 Personen einziehen, danach sukzessive weitere. Mitte Mai soll die Hälfte des Hauses belegt sein. Die neuen Bewohner werden nach Angaben von Katrin Wollberg von F&W sozusagen „handverlesen“ aus der Friesenstraße, wo sie derzeit im Winternotprogramm untergebracht sind, nach Niendorf umziehen.

Sie sollen in Einzel- und Doppelzimmern wohnen. Es werde darauf geachtet, dass sie „regelkonform“ sind, sagt Wollberg. Das betont auch Lotzkat: „Sie müssen Regeln einhalten können.“

Pflegeeinrichtung: Viel Kritik gibt es an der Personalstärke

Viel Kritik gibt es an der geplanten Personalstärke für die Pflegeeinrichtung. Geplant ist, dass täglich von 7 bis 19 Uhr zwei Pflegekräfte vor Ort sind. „Im Pflegeheim waren 12 Fachkräfte für viel weniger Menschen. Jetzt sind es zwei, wie soll das funktionieren“, fragt eine Frau.

Ein Sicherheitsdienst wird personell üppiger bestückt: Er soll mit fünf Mitarbeitern rund um die Uhr Dienst tun. Das sei vor allem den Ängsten der Niendorfer Bevölkerung geschuldet, sagt Lotzkat und keineswegs der Tatsache, dass man von Behördenseite diesen Bedarf erwarte.

Petra Lotzkat sagt: Bewohner dürfen trinken wie andere auch

Eine Bürgerin, die nach eigenen Angaben 30 Jahre mit Suchtkranken gearbeitet hat, sagt, man dürfe nicht unter den Tisch kehren, dass viele Obdachlose Alkoholprobleme hätten und suchtkrank seien. Die Behörde beschönige das Thema. Dafür erhält sie viel Applaus.

Lotzkat entgegnet, wer die Hausregeln nicht beachte, müsse zurück in die Friesenstraße. Allerdings dürften die künftigen Bewohner Wein und Bier trinken „wie andere auch“.

Fett‘sche Villa wird ein Hamburger Modellprojekt

In der Fett’schen Villa am Garstedter Weg 20, nur etwa 400 Meter entfernt, entsteht ein sogenanntes Übergangswohnheim für 16 obdachlose Menschen, bei denen der Pflegebedarf nicht im Vordergrund steht. Hier geht es um die kurzfristige Unterbringung von obdachlosen Frauen und Männern, die ihr Leben neu sortieren sollen und eventuell auch von einer Rückkehr in ihre Heimatländer überzeugt werden sollen. „Das ist ein Modellprojekt“, sagt Petra Lotzkat zu den Plänen für die Fett‘sche Villa.

„Für die Pflegeeinrichtung habe ich keine Sorge, für das Übergangswohnheim müssen wir sehen.“ Einen Plan B gebe es nicht, allerdings könne man den Standort auch für andere Zielgruppen nutzen. Und ihre Behörde sei weiter auf der Suche, um das Übergangswohnen auch an anderen Standorten zu realisieren.

Die Fett‘sche Villa am Garstedter Weg in Niendorf wird ein Übergangswohnheim für Obdachlose.
Die Fett‘sche Villa am Garstedter Weg in Niendorf wird ein Übergangswohnheim für Obdachlose. © Elisabeth Jessen | Elisabeth Jessen

Staatsrätin sagt: Wir haben schon jahrelang gesucht

Und auf die Frage, welche Kriterien für die Auswahl der beiden Standorte in Niendorf zugrunde lag, sagt sie: „Wir sind schon seit vielen Jahren auf der Suche gewesen nach so einem Objekt.“ Beide seien der Behörde angeboten worden. Die Sozialbehörde müsse außerdem in diesem Jahr 10.000 Plätze für Flüchtlinge schaffen.

Die Menschen in Niendorf treibt aber auch um, wie sich der Tibarg entwickelt, das wird in mehreren Redebeiträgen deutlich. Schon jetzt gebe es Obdachlose und eine Trinkerszene beim Busbahnhof, was vor allem Frauen ängstigt. Doch dafür fühlt sich Lotzkat nicht zuständig: „Wir sind nicht verantwortlich, den Tibarg zu bestreifen“.

Bezirk Eimsbüttel ist bei der Infoveranstaltung nicht vertreten

Das sei ein Thema für den Bezirk Eimsbüttel, sagt die Staatsrätin, und die Teamleitungen seien im engen Kontakt mit der Polizei. Leider sei aber aus dem Bezirksamt niemand zum Informationsabend gekommen, um dazu Stellung zu nehmen. „Wir nehmen das Thema aber beim runden Tisch auf“, verspricht sie.

Drogenkonsumentinnen und -konsumenten seien an beiden Standorten von der Aufnahme ausgeschlossen, versichert die Staatsrätin. Wie das aber sichergestellt werden soll, darüber gehen die Vorstellungen etlicher Niendorfer und der Behörde auseinander.

Drogenkonsumenten werden nicht aufgenommen, sagt die Behörde

Ein Bürger fordert Drogenscreenings. Frau Lotzkat allerdings sagt, „das ist nicht die Art, wie wir mit diesen Menschen umgehen.“ Weil diese Antwort die Menschen nicht zufriedenstellt, sagt sie zu, das Thema im fachlichen Umfeld zu diskutieren.

Mehr zum Thema

Und offenbar haben viele, die zum Infoabend gekommen sind, Angst, dass ihnen die Sozialbehörde etwas verschweigt. „Was für Probleme erwarten Sie? Sagen Sie uns ehrlich, worauf wir uns einstellen müssen“, fragt ein Bürger.

Petra Lotzkat will in Niendorf keine Szene bei beim Drob Inn

Lotzkat spricht von „Menschen, die schwer krank sind, die einen Ort finden, wo wir sie gut versorgen können“. Sie habe kein Interesse daran, dass „hier ein Brennpunkt entsteht mitten in Niendorf. Wir verschieben nicht eine Szene wie beim Drob Inn hier nach Niendorf.“

Mehrfach an diesem Abend melden sich Menschen zu Wort, die sich gegen die nach ihrer Ansicht „katastrophale Informationspolitik“ wehren, aber auch dagegen, dass man ihnen Anteilnahme und Hilfsbereitschaft und soziale Verantwortung abspricht. Aber sie wollten informiert werden und nicht häppchenweise aus den Medien von den Plänen erfahren.

Bei einem runden Tisch mit den beteiligten Behörden, mit Schule, Kita, Polizei und Nachbarn sollen ab Mitte Mai mögliche Probleme besprochen werden. Aber man müsse jetzt einfach anfangen, sagt Lotzkat, und Erfahrungen sammeln.