Hamburg. Kürzlich wurde die Corona-Ambulanz von Asklepios geschlossen – trotz großer Nachfrage. Betroffene fühlen sich im Stich gelassen.

Sie sind geschwächt, zum Teil seit Jahren erkrankt, arbeits- oder schulunfähig: Nach Schätzungen leben Tausende Long-Covid-Patienten in Hamburg. Zum Teil leiden sie unter schwersten Symptomen, wie dem chronischen Fatigue Syndrom (ME/CFS). Und sie klagen über eine katastrophale Versorgungslage in Hamburg. Die Betroffene Paula Büttelmann vom Netzwerk NichtGenesen findet klare Worte: „Es gibt schlicht keine Anlaufstellen für Betroffene mehr.“

Tatsächlich hat vor wenigen Wochen die Asklepios Klinik Nord ihre Long-Covid-Ambulanz geschlossen. Und das, obwohl die Wartelisten lang waren. Sprecher Mathias Eberenz bestätigt: „Wir hatten zum Teil sogar einen Aufnahmestopp.“ Warum also die Schließung?

Corona Hamburg – Long-Covid-Forscher warnt vor „katastrophaler Versorgung“

„Wir haben zweieinhalb Jahre lang durch den Zusammenschluss verschiedener Fachdisziplinen Diagnostik und symptomorientierte Behandlung angeboten. Dies können wir leider nicht aufrechterhalten“, sagt er. Eine solche Ambulanz könne nicht dauerhaft zusätzlich zum laufenden Betrieb betrieben werden. Das Krankheitsbild sei komplex, die Betreuung der Patienten binde viel Personal.

Laut Eberenz müsse das auf übergeordneter Ebene, etwa im Bundesausschuss, organisiert, strukturiert und am Ende wohl zum Teil auch finanziert werden. Gleichzeitig betont er die Bedeutung eines solchen Angebots. „Es sind viele Betroffene, und das Leid ist zum Teil groß.“

Long Covid: Für schwere Fälle soll es spezialisierte Einrichtungen geben

Solche Rahmenbedingungen werden derzeit in Berlin erarbeitet. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat vor wenigen Wochen eine neue Richtlinie auf den Weg gebracht. Mit dieser soll bewirkt werden, dass Menschen mit Long Covid oder ähnlichen Erkrankungen schneller und bedarfsgerechter behandelt werden.

Die erste Anlaufstelle soll demnach weiter der Hausarzt sein, der sich im Bedarfsfall zusätzliche fachärztliche Unterstützung einholt. Für besonders schwere Fälle sollen Hochschulambulanzen oder spezialisierte Einrichtungen zur Verfügung stehen. Das Gesundheitsministerium prüft die Richtlinie derzeit.

Corona: Long-Covid-Patienten müssen Behandlungen oft selbst bezahlen

Aktuell bleibt die Lage für die Betroffenen kompliziert. Fachzentren für Long- oder Post-Covid Fälle, oder für Menschen, die in Folge der Impfung erkrankt sind (Post Vac), gibt es nicht. Zwar bietet das BG Klinikum Hamburg eine spezialisierte Behandlung an, allerdings nur für Infektionen, die anerkannt im beruflichen Kontext erfolgten.

Weitere Angebote und unterschiedliche Behandlungsansätze sind nach übereinstimmenden Angaben von Betroffenen nahezu ausschließlich in privatärztlichen Praxen zu finden. Für die zum Teil hohen Kosten müssten sie selbst aufkommen.

Eine dieser privatärztlichen Anlaufstellen ist das „Prof. Stark Institut für Stress- und Fatigueforschung“ in Eimsbüttel. Michael Stark erforscht das Thema seit Langem und betreut seit vielen Jahren Patienten, die unter dem sogenannten chronischen Fatigue Syndrom – kurz ME/CFS – leiden. Das Syndrom gab es schon vor Corona, da es auch durch Herpes-Viren oder das Epstein-Barr-Virus ausgelöst werden kann.

Eimsbüttel: Professor möchte Long-Covid-Zentrum eröffnen

Stark verfolgt in seinem Institut einen ganzheitlichen Ansatz auf medizinischer, psychologischer, psychiatrischer und sportwissenschaftlicher Ebene. Er habe damit bei vielen Patientinnen und Patienten Verbesserungen erzielen können.

Die Zahlen des Robert Koch-Instituts als Basis genommen, geht Professor Stark davon aus, dass die Zahl der Long-Covid-Betroffenen in Hamburg bei mehreren Tausend liegt. Für sie gebe es derzeit keine adäquate Versorgungsstruktur. „Die Lage ist katastrophal“, warnt Stark.

Nun hat er sich mit einem Vorstoß an die Stadt gewandt: Stark möchte ein Post-Covid-Zentrum eröffnen und hofft auf Unterstützung und finanzielle Mittel. „Das Einrichten eines Long- und Post-Covid-Zentrums als erste Anlaufstation wäre ein essenzieller Schritt, um die aktuelle Notlage zu bekämpfen. Mit Ihrer Unterstützung ließe sich ein solches Zentrum schnell und effektiv in Hamburg aufbauen“, heißt es in seinem Schreiben an die Stadt.

Unbehandelt kann aus Long Covid das Fatigue Syndrom werden

Wie wichtig kompetente Anlaufstellen sind, würde sich einem erst erschließen, wenn man die Schwere der Erkrankung betrachte.

Stark erklärt: „Die Patientinnen und Patienten klagen über Atemprobleme, kognitive Leistungseinbußen in Form von Konzentrations- und Gedächtnisproblemen und Muskelschwäche. Bleibt Post-Covid unbehandelt, kann es im schlimmsten Fall zum chronischen Fatigue Syndrom kommen, von dem Erwachsene und Kinder gleichermaßen betroffen sein können, die oftmals zum Pflegefall werden.“

Die an Long Covid erkrankte Sportstudentin Paula Büttelmann engagiert sich in dem Netzwerk  NichtGenesen und wünscht sich eine kompetente Anlaufstelle in Hamburg.
Die an Long Covid erkrankte Sportstudentin Paula Büttelmann engagiert sich in dem Netzwerk NichtGenesen und wünscht sich eine kompetente Anlaufstelle in Hamburg. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Wer also soll sich kümmern? Laut Hamburger Gesundheitsbehörde und der Kassenärztlichen Vereinigung sind die Hausärzte als erste Anlaufstelle zuständig. Auch die Ärztekammer Hamburg befindet: „Die Betroffenen sind in der Regelversorgung besser aufgehoben“, so Sprecher Sebastian Franke. Das Thema sei groß, und es gebe viele Anfragen dazu. „Spezielle Ambulanzen sind aus unserer Sicht aber nicht der richtige Weg. Auch, da diese wahrscheinlich schnell überrannt werden würden.“

Der Ball ist also derzeit bei den Hausärzten – und wird es wohl auch bleiben. Allein: Viele Betroffene berichten, dass sie gerade hier oft nicht ernst genommen werden würden.

Corona: Long-Covid-Betroffene – viele Hausärzte kennen Erkrankung nicht

Auch Professor Stark bestätigt: „Viele Hausärzte kennen die Erkrankung ME/CFS nicht oder nicht ausreichend. Ich kenne etliche Patienten, die mit fatalen Falschdiagnosen wieder nach Hause geschickt worden sind.“

Dr. Jana Husemann, die Vorsitzende des Hamburger Hausärzteverbandes, schätzt, dass es pro Praxis zwei bis drei Long-Covid-Patienten gibt.
Dr. Jana Husemann, die Vorsitzende des Hamburger Hausärzteverbandes, schätzt, dass es pro Praxis zwei bis drei Long-Covid-Patienten gibt. © FFS-HH | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Jana Husemann, Vorsitzende des Hamburger Hausärzteverbandes, bewertet die Situation anders. „Es existiert eine Leitlinie, sodass die adäquate Behandlung und Begleitung der Patienten mit Long Covid oder ME/CFS eigentlich bekannt sein müsste.“

Sie schätzt, dass es je nach Größe der Praxis durchschnittlich zwei bis drei Patienten mit Post-Covid gibt. Sie betont: „Die Diagnostik, die bei Long Covid individuell sinnvoll ist, kann auch von Hausarztpraxen initiiert oder durchgeführt werden. Genauso wie eine Begleitung der Patientinnen.“

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Hausärzteverband Hamburg: Viele Betroffene fallen durch alle Maschen

Das größte Problem aus ihrer Sicht: „Es gibt bislang keine spezifische Therapie für die schwer betroffenen Menschen. Da hilft dann auch keine spezialisierte Ambulanz.“ Als unzureichend schätzt sie außerdem die kompetente Sozialberatung ein. „Die Menschen sind häufig nicht mehr arbeitsfähig und fallen durch alle Maschen.“

Auch die Politik beschäftigt das Thema. Isabella Vértes-Schütter, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende und Mitglied im Gesundheitsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft, ist das Vorhaben von Professor Michael Stark bekannt. „Wir begrüßen jedes Engagement in diesem Feld“, sagt sie dazu. „Eine medizinische Bewertung ist jedoch keine Frage der Politik, sondern sollte der medizinischen Forschung und den Fachgesellschaften obliegen.“

Auch sei die Stadt als möglicher Betreiber kaum der richtige Adressat. „Hier müsste ein Krankenhaus oder medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) gefunden werden“, so Vértes-Schütter.

Corona Hamburg: Long Covid – bei der Erforschung könnte das UKE eine Rolle einnehmen

Grundsätzlich verfolge man die Versorgungslage von Long-Covid-Betroffenen und solchen mit ME/CFS schon seit Längerem sehr aufmerksam und suche auch das Gespräch mit den Selbsthilfegruppen in Hamburg. Vértes-Schütter betont die Bedeutung der Forschung, die die Bundesregierung vorantreibe. „In den kommenden Jahren werden 150 Millionen Euro für Forschungsprojekte zur Verfügung stehen.“

Entscheidend werde sein, dass diese Forschungsergebnisse zu den behandelnden Ärzten vordringen. Und weiter: „Bei der Erforschung und Behandlung schwerer, komplexer Erkrankungen im Zusammenhang mit Long Covid könnte aus unserer Sicht in Hamburg am ehesten das UKE eine Rolle einnehmen. Hierzu werden wir Gespräche führen.“