Hamburg. Die Folgen ihrer Corona-Infektion entwickeln sich zum Albtraum. Paula ist so schwach, dass sie das Bett kaum noch verlässt.

An richtig guten Tagen hat Paula genug Kraft, um zu duschen. Etwa einmal pro Woche ist das so. An den anderen Tagen steht sie morgens zwischen 8 und 9 Uhr auf, frühstückt, legt sich wieder hin, isst zu Mittag, geht zurück ins Bett. Manchmal hört sie noch einen Podcast. Irgendwann Abendessen. Dann ist der Tag vorbei.

Und es ist egal, wie lange sie dann schläft. Am nächsten Morgen wacht sie wieder genau so erschöpft auf wie am Tag davor. Dazu schlimme Muskel- und Gliederschmerzen. Paula, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, ist 27 Jahre alt. Sie ist Sportstudentin, lebt in Hamburg-Wilhelmsburg und leidet an der schwersten Form von Long Covid – dem chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CFS).

Long-Covid-Symptome – Hamburgerin Paula hat während Infektion keine Beschwerden

Paula ist jung, fit und gesund, als sie sich wie Millionen andere Menschen mit Corona infiziert. Das war im vergangenen März. „Sorgen habe ich mir nicht gemacht“, sagt sie. „Die Infektion verlief symptomlos.“

Nach zwei Monaten aber ändert sich alles: Paula fühlt sich schlapp und abgeschlagen. Ihr Bauchgefühl sagt: „Das ist mehr als ein Infekt. Da stimmt etwas nicht.“ Die Ärzte sehen das zunächst anders: „Sie sagten mir, dass das schon wieder werden würde“, erinnert sich Paula. Sie bekommt unter anderem eine Physiotherapie verschrieben und geht zur Uni. Sie hatte sich schließlich so auf das Sportstudium gefreut.

Long Covid: Auf Belastung reagiert Paulas Körper mit „Crashs“

Instinktiv spürt sie, dass sie nicht mehr dazu in der Lage ist, die Strecke zur Uni zu bewältigen, dass sie die Konzentration nicht mehr aufbringen kann, dass ihr das alles zu viel ist. Heute sagt sie: „Hätte ich damals gewusst, was ich habe, dann würde es mir heute besser gehen.“

Was damals passiert ist: Paula mutet sich immer wieder mehr zu, als sie schaffen kann. Darauf reagiert ihr Körper sofort. Dann verschlimmern sich alle Beschwerden. Nichts geht mehr. Erst später erfährt sie, dass das bereits sogenannte Crashs waren — diese sind typisch bei Long-Covid-Patienten.

Die Diagnose Long Covid, beziehungsweise ME/CFS, gibt sich Paula schließlich selbst. Sie recherchiert im Netz und ist sich sicher: Das muss es sein. Im Internet findet sie auch andere Betroffene. Denen geht es genauso wie ihr.

Eimsbütteler Stressforscher erklärt Fatigue-Syndrom: Long Covid ist Autoimmunerkrankung

„Das Wissen, dass eine Community vorhanden ist, ist enorm hilfreich. Es zeigt aber auch, dass es die eine Lösung derzeit noch nicht gibt. Jeder versucht dies und das. Bei jedem klappt was anderes. Bei manchen klappt nichts. Das ist auch ein Teil der Wahrheit“, sagt die junge Frau. Und eigentlich müsse es viel mehr Aktionen geben, die auf das Leid der Betroffenen aufmerksam machen und Spenden generieren. „Aber wie soll das gehen, wenn alle Betroffenen im Bett liegen?“

Früher war Paula sehr aktiv – heute verbringt sie vor lauter Erschöpfung  die meiste Zeit im Bett.
Früher war Paula sehr aktiv – heute verbringt sie vor lauter Erschöpfung die meiste Zeit im Bett. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Der Eimsbütteler Stressforscher Dr. Christof Ziaja kennt Fälle wie die von Paula. Seit vielen Jahren schon arbeitet er mit Menschen, die an dem chronischen Fatigue-Syndrom erkrankt sind. Denn was nicht alle wissen: Das Fatigue-Syndrom gab es auch schon vor Corona. „Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung. Keinesfalls um eine psychische Erkrankung“, sagt er. „Diese kann genauso durch Herpesviren oder das Epstein-Barr-Virus ausgelöst werden.“

500.000 Menschen sind nach Angaben des Forschers, der unter anderem am UKE und am Prof. Stark Institut – Institut für Verhaltenstherapie und Stress- und Fatigueforschung – am Schlump tätig ist, in Deutschland betroffen. Weitere 1,1 Millionen Verdachtsfälle kämen hinzu.

Long-Covid-Experte aus Hamburg: Eine vollständige Genesung ist unwahrscheinlich

„Stand jetzt ist, dass es eine klassische Heilung nicht gibt. Aber es gibt vielversprechende neue Erkenntnisse, wir verstehen die Krankheit immer mehr“, sagt Ziaja. Er sagt allerdings auch: „Die vollständige Genesung ist derzeit noch unwahrscheinlich. Die Patienten müssen sich auf ihre Belastungsgrenzen einstellen und oft viele Therapien ausprobieren, um herauszufinden, was bei ihnen hilft.“

Paula ist bereit, alles auszuprobieren. Theoretisch jedenfalls. Praktisch gesehen scheitert es am Geld. Böse gesagt: Long Covid muss man sich leisten können. Denn viele Patientinnen und Patienten müssen die Kosten für Therapien, Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel selbst tragen.

Long-Covid-Therapien: Krankenkasse übernimmt Behandlungen oft nicht

„Die Krankenkassen übernehmen die Behandlungen oft nicht. Vieles wird ohnehin nur von Privatärzten angeboten“, sagt Paula. Und so ist bei Paula schon einiges zusammengekommen: Hunderte Euro für Nahrungsergänzungsmittel, 6000 Euro für eine Blutwäsche, in die sie große Hoffnungen gesetzt hatte, aber die trotzdem ohne Erfolg blieb.

Paula sieht es so: „Solange es eine Chance auf Besserung gibt, will ich alles ausprobieren. Denn das hier ist kein Leben.“ Außerdem setzt sie auf die Forschung. „Da ist nie so viel passiert wie in diesen Jahren“, sagt sie. Aber: „Es muss auch weiterhin ganz viel passieren, damit es irgendwann Therapien und Medikamente geben wird. Die Wissenschaftler und Uni-Ärzte stehen in den Startlöchern für groß angelegte Studien, aber es fehlt die finanzielle Unterstützung aus der Politik und den Pharmakonzernen“, sagt die 27-Jährige.

Long Covid mit 27 Jahren – für Hamburgerin ist allein das Sitzen auf dem Sofa anstrengend

Während sie das alles erzählt, ist spürbar, dass sie das Kraft kostet. Allein das Sitzen auf dem Sofa in der Küche. Das Halten der Teekanne beim Einschenken. Das Konzentrieren. Paula sagt: „Ohne die Hilfe meiner Mitbewohnerin könnte ich nicht mehr alleine leben.“

Deshalb muss sie nun einen Pflegegrad beantragen – dabei ist sie schon erschöpft, wenn sie nur an das Lesen der Dokumente denkt. Und um die Exmatrikulation will sie sich auch kümmern. Sie sagt das mit fester Stimme. Auch Tränen kosten Kraft.

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An guten Tagen ist immerhin so viel Kraft da, dass sie im Internet recherchieren kann. Sie hat gelesen, dass es verschiedene experimentelle Therapieansätze für die Verbesserung oder Heilung von Long Covid gibt. Aber sie weiß auch: „Die basieren oft nur auf einzelnen Erfahrungsberichten von Betroffenen, und es gibt noch keine Studien dazu.“

Long Covid – Hamburgerin: „Es wird nie wieder so sein wie vorher“

Das nächste Verfahren, das sie ausprobieren möchte, bietet ein Arzt aus dem Harz an. Auch dieses wird mehrere Tausend Euro kosten. Um das Geld für diese und mögliche weitere Therapien irgendwie zusammenzubekommen, hat sie eine Spendenaktion auf www.gofundme.de gestartet.

Manchmal schaut Paula beim Erzählen erschrocken. So, als ob sie sich selbst zuhört und es nicht glauben kann. Es ist das Leben im falschen Film. Dabei ist ihr altes Leben noch nicht lange her. Paula weiß noch, wie es sich angefühlt hat, als der Tag immer zu wenig Stunden hatte. Weiß noch, wie gut es ihr nach einem langen Lauf ging, wenn der Schweiß floss und das Herz pochte, und wie sie die Nacht zum Tag machte.

Kurz bevor das Gespräch beendet ist, sagt sie: „Dass es nie wieder so sein wird wie vorher, ist mir inzwischen klar – aber an dieses Leben werde ich mich nicht gewöhnen.“ Dann geht sie wieder ins Bett. Es ist noch warm.

Wenn Betroffene oder Angehörige von Betroffenen aktiv werden möchten und für Aufmerksamkeit und Aufklärung von Long Covid, Post Vac und ME/CFS kämpfen möchten, können sie sich an die Aktionsgruppe „Nichtgenesen Hamburg“ über folgende E-Mail-Adresse wenden: info-hamburg@nichtgenesen.org