Hamburg. Wohnblöcke an der Wichmannstraße werden ein Stockwerk niedriger. Warum es beim Anwohner-Termin dennoch Pfiffe und Kritik gab.
Die wegen ihrer Größe umstrittene Flüchtlingsunterkunft an der Wichmannstraße in Hamburg-Bahrenfeld wird nun doch kleiner gebaut als zunächst angekündigt. Bei einer Anhörung am Montagabend teilte die Staatsrätin der Sozialbehörde, Petra Lotzkat, den rund 150 Zuhörerinnen und Zuhörern im Desy-Hörsaal mit, dass die geplanten Gebäude maximal vierstöckig – statt wie zunächst angekündigt fünfstöckig – geplant seien.
Wie berichtet, sollen auf einem ehemaligen Sportplatz neben dem Schießstand des Hamburger Schützenvereins und angrenzend an die Steenkampsiedlung in den kommenden Monaten insgesamt sechs Wohnblöcke entstehen. Angekündigt waren 127 Wohnungen mit zwei bis fünf Zimmern.
Hamburg-Bahrenfeld: Flüchtlingsunterkunft wird kleiner – Zuhörer reagieren mit Pfiffen
Lotzkat sagte nun, dass durch die Umplanung vor Ort neun Wohnungen weniger entstehen werden. Als die Politikerin das mit dem Zusatz garnierte, dass dadurch für neun Familien nun kein Platz mehr vorhanden sei, reagierte das Auditorium mit Hohngelächter und Pfiffen. Eine Zuhörerin rief Lotzkat zu, die „Moralkeule“ zu schwingen, woraufhin die Politikerin sagte: „Wenn Sie das, was ich gesagt habe, als Moralkeule empfinden, bedauere ich das.“
Insgesamt nahmen die Anwesenden die Ankündigung mit wenig Enthusiasmus und vereinzelten sarkastischen Zwischenrufen auf, der Kompromiss war so offenbar schon erwartet worden. Lotzkat irritiert: „Wir dachten eigentlich, dass wir Ihnen hier eine gute Nachricht überbringen.“
Altonas Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg (Grüne) kritisierte die kolportierte Darstellung, dass den Anwohnern der Sportplatz „weggenommen“ werde. Vielmehr sei das Aus für den Platz schon seit Jahren bekannt, und im Übrigen gebe es im Zuge des Autobahndeckel-Baus neue Sportflächen, von denen auch die Bahrenfelderinnen und Bahrenfelder profitieren werden, so von Berg.
Flüchtlinge: Hamburg-Bahrenfeld deutlich stärker belastet als andere Stadtteile
Für viel Unmut sorgte die Präsentation mehrerer Statistiken, die deutlich machen, wie stark der Stadtteil Bahrenfeld durch die Unterbringung von Geflüchteten, zum Beispiel an den Standorten August-Kirch-Straße, Nottkestraße und Schnackenburgallee, bereits belastet ist. Insgesamt beträgt der Anteil Altonas bei der Flüchtlingsaufnahme immerhin 13,80 Prozent von ganz Hamburg.
Im sogenannten Orientierungs- und Verteilungsschlüssel (OVS) sind für den Stadtteil 837 Plätze vorgesehen, faktisch stellt Bahrenfeld aber aktuell (Stand: 31. Juli) ein Vielfaches – nämlich 3548 Plätze. Mit Ausnahme von Sülldorf ist Bahrenfeld damit unter allen Altonaer Stadtteilen – von Altona-Altstadt bis Rissen – der einzige, der das Soll nicht nur erfüllt, sondern mehr als übererfüllt.
Unterbringung von Flüchtlingen: Deshalb trifft es immer wieder Bahrenfeld
Allerdings fehlten bei der Präsentation Angaben über die Größe der einzelnen Stadtteile und deren besondere Struktur. Bahrenfeld ist mit 10,9 Quadratkilometern deutlich größer als beispielsweise Groß Flottbek (2,4 Quadratkilometer), Othmarschen (6 Quadratkilometer) oder Nienstedten (4,4 Quadratkilometer).
Außerdem gab es im Stadtteil, anders als in den zum Teil ursprünglich rein dörflich strukturierten Nachbarstadtteilen, historisch bedingt schon immer deutlich mehr Gewerbe- und sogar Kleinindustrieflächen sowie ursprünglich militärisch genutztes Gelände. Das bedeutet, dass in Bahrenfeld die benötigten Flächen für die Stadt schlichtweg leichter zu generieren sind als andernorts.
Bahrenfelder fordern von der Politik: Flüchtlinge im Westen gerechter verteilen
In zahlreichen Wortbeiträgen wurde diese „Ungleichbehandlung“ zum Teil scharf kritisiert. Immer wieder forderten Rednerinnen und Redner, dass die anderen Stadtteile im Hamburger Westen deutlich mehr in die Verantwortung genommen werden müssten, auch von einer „Geldlobby“ war die Rede.
Petra Lotzkat machte in ihren Erwiderungen immer wieder klar, dass die Stadt alles tue, um Flächen zu finden, die sich für die Unterbringung von Geflüchteten eigneten. Das sei in Stadtteilen mit vielen Privatgrundstücken aber ungleich schwieriger als in anderen. Das Eigentumsrecht sei ein Gut, das hoch eingeschätzt werden müsse, sagt Lotzkat – „und wir können ja nun niemanden zwingen“.
Trotz gelegentlicher deutlicher Missklänge ließen die bei der Anhörung anwesenden Zuhörerinnen und Zuhörer keinen Zweifel daran, dass sie versuchen wollen, die eintreffenden Flüchtlinge nach der Fertigstellung des Bauvorhabens nach Kräften zu unterstützen und im Stadtteil zu integrieren. So wie es von vielen Helferinnen und Helfern in Bahrenfeld seit Jahren gehandhabt wird.
Unterbringung von Flüchtlingen: Staatsrätin zeichnet düsteres Zukunftsbild
Für die Zukunft zeichnete Lotzkat ein pessimistisches Bild. Lag die Zahl der vordringlich wohnungssuchenden Haushalte (mit Dringlichkeitsschein oder Dringlichkeitsbestätigung) bis 2015 fast durchgehend unter 8000, ist sie 2016 (9359 Haushalte) und 2017 (11.765 Haushalte) sprunghaft angestiegen.
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Die Zahl der in Hamburg vordringlich wohnungssuchenden Haushalte hat sich von 2016 bis 2022 stetig weiter erhöht. Zum Stichtag 31. Dezember 2022 betrug die Zahl 13.566. Der Zuzugsdruck von Flüchtlingen werde weiter unvermindert anhalten und im kommenden Herbst noch einmal stark ansteigen. Schon jetzt müsse es gelingen, jährlich 10.000 Geflüchtete in Hamburg unterzubringen.
Das sei für das kommende Jahr „unter größten Anstrengungen noch halbwegs vorstellbar“, doch wie es danach weitergehen solle, erfülle sie mit großer Sorge.
Hamburg-Bahrenfeld: Bauantrag für Flüchtlingsunterkunft schon kommende Woche
Wie am Montagabend mitgeteilt wurde, soll der Bauantrag für das Projekt Wichmannstraße bereits in der kommenden Woche eingereicht werden. Zuletzt hatte es auf dem Gelände, wie berichtet, Arbeiten des Kampfmittelräumdienstes gegeben.
Ziel ist es, die Wohnungen zunächst für die Unterbringung von Flüchtlingen zu nutzen und dann in zwei Schritten in geförderten Wohnraum umzuwandeln. Und zwar, so die Planung, möglichst alle Häuser nach vier Jahren.