Hamburg. Der Plattenladen übersteht seit 40 Jahren jede Krise. Inhaber Christian Kind setzt auf Rock und Metal – und weiterhin auf CDs.

Ein paar Jahre ist es her, da hat Christian Kind ein Schild vor einem Plattenladen in Wien gesehen: „Das ist kein Geschäft, sondern ein sozialer Ort“, stand da drauf. Das hat ihm gefallen. Wohl vor allen Dingen, weil dasselbe auch für seinen Laden gilt. Sein Laden, das ist die Plattenkiste an der Gärtnerstraße im Hamburger Stadtteil Hoheluft-West – ein Fachgeschäft für Schallplatten und CDs.

Den Laden gibt es seit 1982, damals noch mit Sitz im Grindelviertel. 1982, das war 14 Jahre vor der Gründung von Spotify, 13 Jahre vor Youtube, sechs Jahre, bevor die CD die Schallplatte als erfolgreichsten Tonträger ablöste. Die Plattenkiste ist einer von rund 20 unabhängigen Plattengeschäften, die es trotz Media Markt und Saturn, trotz Spotify und Youtube, immer noch in Hamburg gibt. Oder vielleicht sogar deswegen.

Plattenkiste in Hamburg-Hoheluft: Manche Kunden kommen täglich

Christian Kind hat die Plattenkiste vor elf Jahren übernommen. Es ist ein bodenständiger, kleiner Laden. Kein Schanzen-Chic, kein Glamour, kein Chichi. Dafür immer derselbe freundliche Verkäufer mit dem Vollbart und den exzellenten Musikkenntnissen hinterm Verkaufstresen.

Und viele Stammkunden, die mochten, wie es 1982 noch war. Und die immer noch finden, dass man in einen Plattenladen nicht nur zum Kaufen geht, sondern auch zum Stöbern, zum Quatschen, zum Reinhören und Runterkommen.

Kunde des Hamburger Plattenladens: „Das ist wie eine Familie hier“

Da ist zum Beispiel Jens. Der Zeitungsausträger kommt fast jeden Tag her. Er arbeitet nachts, legt sich morgens noch mal zum Schlafen hin – und wenn er wieder wach ist, geht er rüber zur Plattenkiste. „Das ist wie eine Familie hier“, sagt er.

Manchmal stöbert er nur, aber natürlich kauft er hier auch regelmäßig seine Platten. „Mir ist klar, dass ich sie im Großhandel bestimmt auch für weniger Geld bekommen würde. Aber die drei, vier Euro mehr zahle ich gerne, wenn ich dadurch helfen kann, so einen Laden zu erhalten.“

Plattenkiste: Chartmusik sucht man hier vergeblich

Jens hat ganz früher Platten gehört, dann CDs, jetzt ist er wieder zur Vinyl zurückgekehrt. Das letzte Album, das er hier vor ein paar Tagen gekauft hat, ist von der norwegischen Metalband Enslaved.

Heavy Metal und Rock – das sind die Schwerpunkte der Plattenkiste. Hier und da auch mal Hip-Hop oder Elektro. „Es muss einfach authentisch sein“, sagt Christian Kind. „Ich kann mich hier jetzt nicht hinstellen und Jazz anbieten, da kenne ich mich nicht aus und kann nicht vernünftig beraten.“ Auch Chartmusik sucht man hier vergeblich. „Aber wer das neue Helene-Fischer-Album haben möchte, der geht ja ohnehin zu Saturn“, sagt der 45-Jährige.

Auf circa 80 Quadratmetern Verkaufsfläche bietet Kind rund 15.000 Tonträger an. Hauptsächlich CDs und Schallplatten. Ein paar Kassetten und DVDs hat er auch noch. „Aber das ist eher Liebhaberei.“

Vinyl-Hype? Letztendlich eine Generationsfrage

Dass Kind der CD noch so viel Platz einräumt, werde manchmal belächelt. Doch Kind sagt: „Gerade viele ältere Kunden haben sich in den 80ern von der Schallplatte getrennt und eine CD-Sammlung aufgebaut und wollen jetzt nicht wieder zurück.“

Und was ist mit dem Schallplatten-Hype? Dem großen Vinyl-Revival, von dem immer die Rede ist? Kind zuckt mit den Schultern. „Klar wächst der Anteil, aber man muss sich halt den Gesamtmarkt anschauen. Und da hat Vinyl nur acht Prozent. Dann gibt’s noch ein bisschen CD und der Rest ist Streaming.“

Die Plattenkiste an der Gärtnerstraße: Besitzer Christian Kind ist sechs Tage die Woche in seinem Laden.
Die Plattenkiste an der Gärtnerstraße: Besitzer Christian Kind ist sechs Tage die Woche in seinem Laden. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Und so sei der Vinyl-Hype am Ende eine Generationsfrage. „Die jungen Leute finden Vinyl wieder super, haben aber nicht das Geld, sich massenhaft Platten zu kaufen. Vinyl ist im Vergleich zur CD eben teurer.“

Ob man davon leben kann? Wenn klar ist, dass das ganz große Kuchenstück die Streamingdienste bekommen? „Sagen wir so“, sagt Christian Kind, „ich bin schon froh, dass meine Frau einen festen Job hat. Reich wird man hier jedenfalls nicht. Man muss das schon sehr lieben, was man tut, aber das tue ich und deshalb ist es gut so.“

Metal-Szene unterstützte die Plattenkiste im Lockdown

Sechs Tage die Woche ist Kind im Laden. Zwar hat er hier und da mal Aushilfen. „Aber nichts Festes. Es ist schwer, Leute zu bekommen, die sich wirklich auskennen“, sagt er.

Ob Kind jemals darüber nachgedacht hat, alles hinzuschmeißen? Er nickt. „Das war während des zweiten Lockdowns. Monatelang mussten wir schließen. Und die Förderung, die ich hätte beantragen können, hätte mir höchstens einen Bruchteil der Fixkosten wieder eingebracht.“ Er versuchte es schließlich über Click und Collect.

„Damit hab ich zwar auch nur Kleinstbeträge verdient, aber immerhin hatte ich Kontakt zu den Kunden.“ Aus heutiger Sicht die richtige Entscheidung. „Bei einigen anderen Geschäften, die das nicht angeboten haben, sind die Kunden nie wieder zurückgekommen.“

Kinds Abnehmer sind geblieben. „In der Metal-Szene kennt man sich und sieht sich als Gemeinschaft“, sagt Kind. „Das unterscheidet sie zum Beispiel vom Pop. Da gibt’s das in dieser Art nicht.“

Viele Plattenkiste-Kunden sind echte Sammler

Außerdem würden Tonträger im Pop-Bereich kaum noch eine Rolle spielen. „Ein Chartlied zu pressen, lohnt im Grunde nicht, weil es schon wieder out ist, wenn es im Regal steht“, sagt der Plattenkiste-Betreiber.

Kinds Rock- und Metalfans sind anders. „Meine Kunden sind oft echte Sammler. Denen ist es im Zweifel egal, ob das 14. Album von ihrer Lieblingsband nicht so doll ist. Sie wollen es trotzdem haben.“

Und: Wenn sie in den Laden kommen, bringen sie Zeit mit. „Manche stöbern zwei Stunden und kaufen gar nichts“, sagt er. „Aber ich finde das total okay. Es ist doch ein Kompliment, wenn sich die Kunden hier wohlfühlen.“

Plattenkiste in Hamburg – „Rock- und Metal-Szene hält wirklich zusammen“

In der Corona-Zeit waren es auch die Kunden, die Kind aus dem tiefen Loch im Lockdown geholt hätten. „Irgendwann hatte ich die Idee, mit befreundeten Künstlern eine CD zusammenzustellen, um für den Erhalt des Ladens etwas Geld zu bekommen.“

Am Ende war der Erfolg so groß, dass es gleich drei CDs wurden. „An dieser Aktion hat man eben auch gesehen, dass die Rock- und Metal-Szene wirklich zusammenhält.“ Und vielleicht auch, dass der Hinweiszettel aus Wien mit dem sozialen Ort auch in der Plattenkiste hängen könnte. Wobei: Das weiß hier ja ohnehin jeder.