Hamburg. Seit 90 Jahren trotzt der kleine Laden der Konkurrenz. Warum sich der Verkauf einzelner Schrauben lohnt und was Kunden schätzen.
Die Frau mit dem Kinderwagen braucht so einen Pinökel. Glaubt sie jedenfalls. Möglicherweise auch einen Nupsi, vielleicht auch einfach eine Schraube. Schwer zu sagen. „Der Wagen fällt immer wieder in sich zusammen. Und die Stelle, wo ein Teil fehlt, ist so schlecht einsehbar. Können Sie mal schauen?“, fragt sie. Uwe Kaspereit, Inhaber von Eisenwaren Harms an der Hoheluftchaussee in Eimsbüttel, nimmt den Wagen, dreht ihn, leuchtet mit der Taschenlampe.
Dann geht er rüber zu diesem Schrank mit den vielen kleinen Schubladen, der sich fast über die gesamte Länge des Raumes erstreckt und kommt mit drei Schrauben wieder. Die erste ist zu dick, die zweite zu dünn, die dritte passt. Nach ein paar Minuten steht der Kinderwagen wieder. Die Frau macht ein erleichtertes Gesicht. „Wie viel bekommen Sie?“, fragt sie und holt ihr Portemonnaie aus der Tasche. „Ach“, sagt Kaspereit. „Dafür bekomme ich gar nichts.“
Eimsbüttel: Baumarkt im Mini-Format gibt es seit 90 Jahren
So was macht er manchmal. Einfach, weil ihm danach ist. „Dann denke ich, dass das meine gute Tat für den Tag war und damit fühle ich mich wohl.“ Dass Kaspereit mit dem Verkauf einzelner Schrauben, Nägel oder Dübel allein nicht über die Runden kommen würde, versteht sich von selbst. Aber womöglich ist genau dieser Service der Grund dafür, warum es das Geschäft nun seit ziemlich genau 90 Jahren gibt.
Eisenwaren Harms ist eines der bekanntesten inhabergeführten Geschäfte hier in der Gegend. Wenn schnelle Hilfe gefragt ist – weil die Dichtung wieder leckt, weil das Bohrloch zu groß geraten ist oder weil irgendein Teil fehlt, dessen Namen auch durch Google-Recherche nicht ermittelbar ist – dann führt der erste Weg fast immer an die Hoheluftchaussee 17.
Eisenwaren Harms ist ein Baumarkt im Mini-Format mit Schlüsseldienst. Jeder Quadratzentimeter des Geschäftes ist belegt mit Haushalts- und Eisenwaren aller Art. Klebstoffe, Tupperdosen, Drahtbürsten, Schläuche, Mülleimer, Salzstreuer, Schraubenzieher, Spaten.
Nach dem Krieg wurde das Geschäft in Eimsbüttel neu aufgebaut
Und im Grunde hat sich damit das Sortiment seit der Eröffnung vor 90 Jahren gar nicht so großartig geändert. Nur das Haushaltswarensortiment ist über die Jahre größer geworden. Gegründet wurde das Fachgeschäft von dem namensgebenden Ehepaar Gustav und Elisabeth Harms, ursprünglich mit Sitz in Rothenburgsort.
Doch im Krieg brannte das Geschäft nieder, nichts blieb. Aber Elisabeth Harms – inzwischen Witwe – wollte nicht aufgeben und machte mit dem weiter, was sie in den Trümmern fand. Etwa dem stählernen Karteikartenschrank, der zunächst provisorisch für die Unterbringung von Schrauben dienen sollte. Schließlich eröffnete sie neu – dieses Mal in einem Behelfsbau an der Hoheluftchaussee 17.
Eisenwaren Harms: Heutiger Inhaber kam nach der Wende nach Hamburg
Ziemlich genau 26 Jahre später sitzt Uwe Kaspereit im Bundesnotaufnahmelager in Gießen und spricht mit einem Mitarbeiter. Kaspereit hatte bis dahin in der DDR gelebt, hatte Flugblätter verteilt und sich laut gegen das System aufgelehnt. Zwei Jahre sitzt er im Gefängnis, bis er von der Bundesregierung freigekauft wird und er ausreisen darf. Wo er hinwill, fragt ihn der Mitarbeiter. Und Kaspereit sagt: nach Hamburg.
Hier arbeitet der gelernte Kfz-Elektromechaniker zunächst eine Weile bei Bosch. Dann erzählt ihm ein Freund, der bei diesem Eisenhöker in Hoheluft arbeitet, dass sie dort noch jemanden suchen. Und so landet Uwe Kaspereit bei Eisenwaren Harms.
Mini-Baumarkt in Eimsbüttel: Große Märkte wurden zur Konkurrenz
Ende der 80er-Jahre steht es nicht gut um das Geschäft. Der Inhaber, der zwischenzeitlich übernommen hat, erwägt, aus privaten Gründen den Laden zu schließen. Und in diesen Tagen spürt Kaspereit, dass er diese Schließung irgendwie verhindern möchte. Zu sehr hängt er inzwischen an der kleinen Welt aus Schrauben und Nägeln. Und so übernimmt er schließlich selbst.
Obwohl es gute Gründe gegeben hätte, es zu lassen. „Plötzlich wurden überall die großen Baumärkte eröffnet“, erinnert er sich. „Und die Eisenhändler in der Nachbarschaft schlossen einer nach dem anderen.“ Kaspereit aber blieb. Seine These: „Wenn wir diese Zeit überstehen, dann werden wir irgendwann Kult sein und dann haben wir es geschafft.“ Und er sollte recht behalten.
Eisenwaren Harms an der Hoheluftchaussee – am liebsten per „Du“
Nahezu jeder hier kennt das Geschäft. Nur, dass es jeder anders nennt. Die einen sagen Eisencarl, andere – zum Beispiel Dittsche neulich in seiner TV-Sendung – sagen Eisendieter, wieder andere korrekterweise Eisen Harms. Wenn Uwe Kaspereit mit ‚Herr Harms‘ angesprochen wird, dann lässt er es einfach so stehen. Oder wechselt gleich ins „Du“ über. So ist es ihm am liebsten. Das schafft Vertrauen, meint er. Und darauf komme es am Ende ja an.
„Die Leute können sich darauf verlassen, dass wir nur das verkaufen, was ihnen auch weiterhilft. Und wenn wir genau das Produkt nicht haben, dann drehen wir ihnen nichts anderes an.“ Wenn er aber helfen kann – mit dem richtigen Nagel, Kleber oder Dichtungsring – dann macht ihn das auch nach all den Jahren immer noch glücklich.
Eimsbüttel: Eisenwaren Harms macht auch Hausbesuche
So wie bei der Sache mit dem Türschloss von der älteren Dame, die gerade wieder mal ins Geschäft gekommen ist. Sie war neulich schon mal da und wusste nicht weiter. Sie hatte mal jemandem ihren Wohnungsschlüssel anvertraut und dieser jemand war nun nicht mehr auffindbar. Und das bereitete ihr ein mulmiges Gefühl. Also besser Schloss austauschen, dachte sie. Aber geht das so einfach bei meiner Sicherheitstür?
Kaspereit hatte eine bessere Idee: Einfach nur den Zylinder ersetzen, dann gibt es neue Schlüssel und das Thema ist erledigt. Als Kaspereit sieht, dass der Vorschlag offenbar noch mehr Fragen aufwirft, sagt er: „Ich mache das auch gern für Sie.“ Und dann fuhr er mit dem neuen Zylinder zur Kundin nach Hause und erledigte die Arbeit. Extrakosten? Keine.
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Kaspereit hat den altmodischen Eisenhöker in die Neuzeit gerettet
„Wenn es die Zeit zulässt und die Kunden in der Nähe wohnen, übernehme ich das gerne“, sagt Kaspereit. Vielleicht auch, weil er weiß: Solche Kunden kommen wieder. Das ist dasselbe wie mit der einzelnen Schraube. „Bei solchen Leistungen verdient man im ersten Moment nichts, aber die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde im Bekanntenkreis davon erzählt, ist sehr hoch. Und so geht die Rechnung am Ende doch auf.“
Einen Namen hat sich Kaspereit inzwischen auch bei denen gemacht, die eigentlich die größten Konkurrenten sind. Nicht selten kommen nämlich auch Kunden, die vom großen Baumarkt direkt zu ihm geschickt wurden. Entweder, weil es das Produkt nicht in Kleinstmenge gab. Oder weil es Probleme bei der fachkundigen Beratung gab.
Wenn er davon erzählt, dann schwingt bei dem 65-Jährigen ein bisschen Stolz mit. Stolz darauf, den altmodischen Eisenhöker in die Neuzeit gerettet zu haben. Und genau wie beim alten Ehepaar Harms damals ist es auch heute eine Gemeinschaftsleistung.
Kult-Baumarkt in Eimsbüttel – Inhaber wollen weitermachen
Denn seit einigen Jahren steht regelmäßig nun auch Uwe Kaspereits Frau Petra hinter dem Verkaufstresen, die bei Eisenwaren Harms schon als Schülerin jobbte, als Uwe neu dazukam. Lange Jahre hatten sie sich ganz klassisch aufgeteilt: Petra kümmerte sich um die drei Söhne und Uwe um das Geschäft.
Als Uwe 2010 einen Herzinfarkt erlitt und lange im Krankenhaus war, sprang Petra von heute auf morgen ein. Und jetzt sind die Kinder ohnehin erwachsen, sodass sie den Laden nun an vielen Tagen gemeinsam wuppen. Ob einer der Söhne mal übernehmen will? Uwe Kaspereit schüttelt den Kopf und schmunzelt „Das ist alles Oldschool für die.“