Hamburg/Föhr. Er zog durch Nepal, China, die Mongolei und Russland: Über sein Abenteuer hat Jeremias Winckler nun ein Buch geschrieben.

Das Ende seiner Reise durch Asien erlebt Jeremias Winckler nur noch im Fieberwahn. Mit einer lebensgefährlichen Infektion lag er im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und kämpfte drei Wochen lang ums Überleben.

Zuvor war der 19-Jährige viereinhalb Monate durch Nepal, China, die Mongolei und Russland gereist. Was er damals zurück nach Deutschland mitgebracht hat, waren Erlebnisse, Begegnungen, Abenteuerberichte – und eine lebensgefährliche Krankheit. Über diese Reise hat der 25-Jährige jetzt ein Buch geschrieben.

Hamburger reist durch Nepal, China, Russland – und überlebt nur knapp

Ist es naiv oder jugendlicher Optimismus und der Glaube daran, dass schon alles gut gehen wird? Für Jeremias ging es im Juni vor sechs Jahren jedenfalls ziemlich unvorbereitet auf die große Reise. „Ich habe mir keine Ziele ausgewählt, sondern die Reise mit einem One-Way-Ticket in Nepal begonnen – und von dort ging es immer weiter. Ich habe mich treiben und mich von anderen Reisenden inspirieren lassen“, erzählt Jeremias beim Treffen an der Nieblumer Wassersportschule auf Föhr. Dort arbeitet er derzeit als Kite- und Surflehrer.

Sich auf Unbekanntes einzulassen, scheint ihm zu liegen: Das erste Mal war er mit zwölf Jahren für drei Wochen weg von seiner Familie in Schnelsen – zum Schüleraustausch in England. Mit 14 Jahren bekam er ein Stipendium für Australien und lebte zwei Monate in Adelaide. Ein Jahr ging er während der zehnten Klasse nach Kanada.

Und nur drei Tage nach seinem Abitur am Corvey Gymnasium in Lokstedt flog Jeremias zum Arbeiten nach Mexico City – bis zum One-Way-Ticket nach Katmandu in Nepal, wo sein Abenteuer am 21. Juni 2017 begann.

19-Jähriger schlief in Asien lieber auf Sofas Einheimischer als im Hotel

Die Kultur anderer Länder kennenlernen, Menschen begegnen – das war es, was er wollte. Und das geht auf der Couch von fremden Menschen besser als vom bequemen Hotelbett aus. „Wenn man in einem Land ist und von Hotel zu Hotel reist, wird man eine Kultur nie kennenlernen. Ich habe im Hostel angefangen, ab China dann keine Herbergen mehr genutzt, sondern habe überwiegend bei Einheimischen gewohnt.“

Jeremias Winckler legte im Himalaya in Nepal 150 Kilometer und 5500 Höhenmeter zu Fuß zurück.
Jeremias Winckler legte im Himalaya in Nepal 150 Kilometer und 5500 Höhenmeter zu Fuß zurück. © Jeremias Winckler | Jeremias Winckler

Die Menschen hätten ihn einfach eingeladen. Klingt komisch, ist aber nicht überraschend. Jeremias ist einer, der offen ist, gern erzählt, keine Scheu hat, sondern neugierig ist. Die besten Voraussetzungen also, um in der Ferne zu bestehen. „In der Mongolei ist man darauf angewiesen, dass andere einen aufnehmen. Wenn es kalt ist, brauchst du eine Unterkunft und Infrastruktur.“

Bergsteigen in Nepal, Hemmungslosigkeit und Polizeigewalt in China

Er war in Nepal, hat dort in acht Tagen 150 Kilometer und 5500 Höhenmeter zu Fuß zurückgelegt. In China erlebte er den Kontrast zwischen der Höflichkeit beim Teetrinken und der Hemmungslosigkeit bei Essensgelagen. „Ich befinde mich in einer Art Schockzustand“, schreibt er in seinem Buch über China.

Er wird dort Zeuge staatlicher Willkür und Polizeigewalt, als vor seinen Augen ein Mann misshandelt wird: „Ein Sicherheitsbeamter hebt seinen Schlagstock und lässt ihn niederfahren. Ein Kind hält sich weinend die Augen zu. Ich schaue dem Mann hinterher. Er wird abgeführt.“

Jeremias Wincklers Buch heißt „Gratwanderung“.
Jeremias Wincklers Buch heißt „Gratwanderung“. © Genevieve Wood | Genevieve Wood

Seinen Drang, immer weiterzureisen, beschreibt er in seinem Buch „Gratwanderung“ so: „Etwas in mir treibt mich vorwärts, drängt mich immer wieder zum Aufbruch. Ich merke, dass ich erst zur Ruhe kommen werde, wenn ich die Grenze des mir Möglichen erreicht habe.“

Hamburger Jugendlicher reitet auf wildem Pferd durch die Mongolei

Die Zeit in der Mongolei ist prägend gewesen: „Die fortwährend hohe körperliche Belastung. Hunger, Kälte und Anstrengung und die Einsamkeit haben einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen“, sagt er. Er ist keiner, der sich völlig kopflos in Dinge hineinstürzt: „Meine Abwägung von Risiken passe ich dem Alltag und den Standards der Ortsansässigen an. Was für die Bevölkerung zum Alltag gehört, traue ich mir auch zu.“

In der Mongolei hört er Wölfe heulen, schläft bei Nomaden und kauft sich einen Hengst für umgerechnet 300 Euro, um besser voranzukommen. Kurz zuvor war das Tier noch wild. „Dieses schöne Tier wurde geschlagen und gefügig gemacht, sodass es seinem Herrn gute Dienste leistet“, schreibt er.

19-Jähriger verletzt sich beim Reiten in der Mongolei

Schön bescheuert, mögen vor allem Reiter denken – ohne jegliche Reitkenntnisse auf einem nahezu wilden Hengst 1000 Kilometer durch die Mongolei zu reiten, im Schnitt 60 Kilometer am Tag. Sein Kaltblüter Ghostbuster aber hat ihn durch die Mongolei getragen – nicht unbedingt zuverlässig, was aber am fehlenden Können des Reiters lag.

Immer wieder fällt Jeremias von dem buckelnden Pferd, immer wieder kommt er an seine Grenzen. „Mein Körper ist mit Blutblasen und Schürfwunden überzogen. Ich kann nicht mehr. Ich bin erschöpft. Aber ich muss weiter, solange ich noch die Kraft habe, mich im Sattel zu halten“, schreibt er.

Reise endet vor russischem Gericht in Moskau – seine Rettung

Mit der transsibirischen Eisenbahn geht es nach Russland – und dort in Moskau endet seine Reise unfreiwillig: erst in einem Moskauer Gefängnis, dann vor Gericht, weil es Probleme mit seinem Visum gibt und Jeremias ausgewiesen wird.

Und doch war die Ausweisung seine Rettung. Kurz nach seiner Rückkehr geht es für ihn ins UKE. Nachdem ein Breitbandantibiotikum angeschlagen hatte, stellte sich heraus, dass Jeremias nicht unter Pest oder Tollwut litt und er auch nicht HIV positiv war, sondern Leptospirose hatte, die vor allem durch tierischen Urin oder Kot übertragen wird.

„Ich kann von Glück sagen, dass mein Körper so lange standgehalten hat. Hätte mein Körper einige Tage früher nachgegeben, wäre ich wohl in Russland gestorben.“

Kitesurfer Jeremias will für Weltcups trainieren

Was er beim nächsten Abenteuer anders machen würde? „Ich hätte mein Trinkwasser besser abkochen sollen. Mit den russischen Behörden ist nicht zu spaßen. Meine Familie ist vor Angst tausend Tode gestorben – ich hätte mich häufiger bei ihnen melden sollen.“

Jeremias Winckler, Wassersportler und Weltenbummler aus Schnelsen mit Bachelor, arbeitet als Kitesurf-, Windsurf-, Wingfoil- und SUP-Lehrer in Nieblum auf Föhr. Er will Profi-Kiter werden.
Jeremias Winckler, Wassersportler und Weltenbummler aus Schnelsen mit Bachelor, arbeitet als Kitesurf-, Windsurf-, Wingfoil- und SUP-Lehrer in Nieblum auf Föhr. Er will Profi-Kiter werden. © Carlotta Johannsen | Carlotta Johannsen

Jeremias wäre nicht Jeremias, wenn er nicht schon das nächste Abenteuer planen würde. Stillstand gibt es bei dem Wassersportler kaum. Nach der Saison bei Dirk „Hücki“ Hückstädt von der Nieblumer Wassersportschule auf Föhr möchte er ein Praktikum im Journalismus machen, für die olympischen Formula Kite Events von 2024 trainieren, sein zweites Buch weiterschreiben – und er plant die nächste Reise: durch Patagonien oder Tadschikistan.

Jeremias Winckler, Gratwanderung – Erzählungen einer Durchquerung Asiens, ISBN 978-3-7526-5950-4,
13,99 Euro.