Videoumfrage zur Beliebtheit von Lehrern am Corvey Gymnasium wurde 1,1 Millionen Mal aufgerufen. War der Schulfrieden gefährdet?
- Schülerinnen drehen beliebtes TikTok-Video am Corvey-Gymnasium
- Schulleitung lässt das Video der Siebklässlerinnen löschen
- Gab es eine Gefahr für den Schulfrieden?
Hamburg. 1,1 Millionen Klicks und mehr als 200 Kommentare: Ein TikTok-Video der Schülerzeitung am Gymnasium Corveystraße in Hamburg-Lokstedt ist innerhalb von zwei Tagen durch die Decke gegangen – und hat an der Schule für einen Eklat gesorgt.
Aufreger war zunächst nicht etwa der Inhalt, sondern der Umgang mit dem Video. Denn aufrufen lässt sich der Clip, den drei Siebtklässlerinnen und Mitarbeiterinnen der Zeitung erstellt haben, mittlerweile nicht mehr. Dem Abendblatt liegen Ausschnitte vor.
Schule Hamburg: Schulleitung lässt TikTok-Video löschen
Dabei startete das Projekt als harmlose Umfrage. Das Personal war laut einer Mutter der beteiligten Schülerinnen einverstanden mit dem Filmen. Ob allen klar war, dass das Video auf TikTok landete, könne sie im Nachhinein aber nicht mit Sicherheit sagen.
"Welche Lehrerin oder welchen Lehrer finden Sie am nettesten?", fragten die Siebtklässlerinnen vor laufender Kamera. Die Antworten waren offenbar so unterhaltsam, dass nicht nur Kinder und Jugendliche, die das Gymnasium besuchen, das Video öffneten und kommentierten.
Trotzdem bat die Schulleiterin des Gymnasiums die drei Zwölf- und 13-Jährigen nur zwei Tage nach Veröffentlichung des Videos in ihr Büro und soll sie dazu aufgefordert haben, den Clip zu löschen. Nach Abendblatt-Informationen waren bei dem Gespräch weder die Eltern der Kinder noch eine Lehrerin dabei.
Schule Hamburg: Schülerzeitun muss TikTok-Videos löschen – Eltern irritiert
Auch ein zweites Video zu jener Umfrage, in dem die Schulleiterin selbst zu Wort kam, mussten die Mädchen nach kurzer Zeit wieder von der Plattform löschen.
Eltern der betroffenen Schülerinnen und Schüler irritierte diese "schnelle Löschung", wie eine Mutter dem Abendblatt mitteilte. Sie hätten sich eine Entscheidung mit "Augenmaß" gewünscht.
Schulleiterin lässt TikTok-Video löschen – "Schulfrieden gefährdet"
Laut Schulleiterin Antje Schmedemann waren "Einzelfragen" nicht geklärt. So soll unter anderem nicht allen Betroffenen klar gewesen sein, wie die Aufnahmen verwendet werden, oder dass es eine Kommentarfunktion gibt, die allen Nutzerinnen und Nutzern offen steht.
"Der Unmut darüber war so stark, dass der Schulfrieden gefährdet war", so Schmedemann. Kritische Anfragen habe es sowohl von Lehrkräften als auch von Elternseite gegebenen. Konkrete Beispiele nannte sie nicht. "Mir als Schulleitung blieb daher nichts anderes übrig, als das Video löschen zu lassen", begründete sie ihre umstrittene Entscheidung.
Leitung lässt Video löschen – Zensur bei Hamburger Schülerzeitung?
Laut Tobias Mast vom Leibniz-Institut für Medienforschung "gelten hohe Anforderungen für Eingriffe der Schulleitung". Diese hätten in jedem Fall Verhältnismäßigkeitsvorgaben zu genügen und dürfen nicht ohne weiteres eine Löschung als besonders schweren Eingriff in die journalistische Gestaltungsfreiheit der Schülerinnen und Schüler fordern, so der Experte weiter. Grundsätzlich fielen Schülerzeitungen unter das Presserecht und unterstehen nicht der Schulleitung.
Um eine Zensur handelt es sich laut Mast dennoch nicht. "Das Zensurverbot in Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG bezieht sich lediglich auf die Vor-Zensur, d.h. um staatliche Maßnahmen, die bereits vor der Erst-Veröffentlichung, also präventiv greifen und diese unterbinden", so Mast auf Abendblatt-Anfrage. Dennoch könne es sich um einen "rechtswidrigen Eingriff" in die Pressefreiheit handeln.
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Schülerinnen dürfen weiter Videos für TikTok drehen
Es sei in der Rechtswissenschaft umstritten, ob die Pressefreiheit nur die klassische Zeitung auf Papier oder auch Online-Medien wie eine Präsenz auf TikTok erfasst. Der Betrieb eines solchen Kanals zur journalistischen Zwecken unterfalle aber Grundrechten der Schülerinnen und Schüler.
Grundsätzlich stehe die Schulleitung dem Wunsch, einen Trend auf TikTok aufzugreifen und einen Kanal für die Schülerzeitung zu erstellen, "offen gegenüber". Die Löschung des Kanals stand laut Schmedemann nicht zur Debatte.
"Wir werden einige bislang ungeklärte Voraussetzungen besprechen müssen", so die Schulleiterin. Sie freue sich aber, wenn die Schülerzeitung "neue Projekte in diesem Bereich findet und erfolgreich umsetzt".