Hamburg. Immer mehr Menschen kommen an die Ausgabestellen. In Eidelstedt arbeiten Bedürftige mit anderen Ehrenamtlichen zusammen.
An Tagen wie diesen ist die Welt für Jan Duda in Ordnung. Jeden zweiten Mittwoch im Monat packt der gebürtige Pole an der Ausgabestelle der Hamburger Tafel in Eidelstedt mit an und hilft tatkräftig, die Lebensmittel zu sortieren und aufzubauen, ehe dann am Nachmittag die Verteilung beginnt. Der ehemalige Journalist will nicht nur nehmen, sondern auch geben. „Ich bekomme halb Rente, halb Grundsicherung“, sagt der 67-Jährige, der in Eimsbüttel lebt, daher sei das Geld sehr knapp. Er ist berechtigt, sich bei der Tafel mit Lebensmitteln zu versorgen, aber dafür sei er auch bereit zu helfen.
Hamburger Tafel ist permanent im Krisenmodus
Die Hamburger Tafel versorgt laut Julia Bauer, Vorstand des Vereins, 45.000 Menschen. Seit ein paar Jahren verschärft sich die Situation ihren Angaben zufolge zunehmend: „Vor zwei Jahren hatten wir noch knapp 30.000 Menschen, die die Tafel genutzt haben.“ Doch seit Beginn der Corona-Pandemie sei man permanent im Krisenmodus. Die Schwierigkeiten in der Pandemie seien nahtlos in die Kriegssituation durch den russischen Angriff auf die Ukraine übergegangen.
„Es gibt eine enorme Unsicherheit bei den Menschen, sie haben Angst, ob sie es sich noch leisten können zu heizen. Das ist für viele auch ein enorm großer psychischer Druck. Die Menschen versuchen überall zu sparen“, sagt Julia Bauer. Aber viele hätten einfach gar nicht die Möglichkeit dazu. „Zur Tafel kommen viele Ältere, Migranten, Alleinerziehende, aber auch junge Familien, die kein großes finanzielles Polster haben.“ Bei jungen Familien mit kleinen Kindern könne oftmals nur einer arbeiten, dann sei das Geld sehr knapp. „Da machen 50 Euro mehr oder weniger für den Strom was aus.“
Ab dem 20. eines Monats stünden dann auch immer mehr Unangemeldete vor den 31 Ausgabestellen der Tafel. Doch um bei der Tafel versorgt zu werden, müssen die Bedürftigen einen Bescheid vorlegen, dass sie beispielsweise Hartz IV oder Grundsicherung bekommen oder nur eine kleine Rente.
140 Ehrenamtliche helfen der Hamburger Tafel
Die 14 Fahrzeuge der Tafel sind jeden Tag in der Stadt unterwegs, um die Ausgabestellen und zudem 65 soziale Einrichtungen im gesamten Stadtgebiet zu beliefern. Neben sieben festen Mitarbeitern halten laut Bauer etwa 140 ehrenamtliche Helfer den Tafelbetrieb am Laufen.
So wie die 18 Ehrenamtlichen in Eidelstedt, wo die Ev.-Luth. Kirchengemeinde Eidelstedt im Wechsel mit dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) die Tafel organisiert. Diakon Uwe Loose, in der Kirchengemeinde für die Seniorenarbeit zuständig, legt selbst Hand an, wenn sie im Keller des Ree-Wie-Hauses die Tische aufstellen und anfangen, Lebensmittel in Tüten zu verpacken. An diesem Mittwoch enthalten die Tüten Haltbares wie zwei Sorten Marmelade, Teebeutel, Dosentomaten, eingelegte Paprika, eine kleine Packung Müsli und eine Trinkmahlzeit. Außerdem gibt es körbeweise Joghurt und Quark.
Häufig muss die Tafel frische Lebensmittel dazukaufen
Als dann der Wagen der Tafel mit frischen Waren anrollt, wird das Angebot deutlich üppiger. Es kommen Himbeeren, Weintrauben, Äpfel, Limetten, Bananen, Feigen und Mandarinen und viel frisches Gemüse wie Lauch, Zucchini, Salat, Kürbis, Tomaten und Karotten.
Körbeweise tragen die Helfer außerdem Brot und Brötchen unterschiedlicher Hamburger Bäcker in den Raum, die gleich in Papiertüten abgepackt werden, um sie danach austeilen zu können. „Heute ist es wirklich wie im Schlaraffenland“, sagt Julia Bauer. Es sei zu merken, dass in Hamburg gerade Ferien und viele verreist sind – was offenbar viele Supermärkte, aber auch Bäcker bei ihren Bestellungen oder der Produktion nicht beachtet hätten. Ein glücklicher Umstand für die Tafel.
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Häufig müsse die Tafel aber inzwischen frische Produkte dazukaufen, weil die Supermärkte inzwischen selber knapper kalkulierten und Ware kurz vor Ablauf der Mindesthaltbarkeit oder nicht mehr ganz taufrisches Obst und Gemüse vergünstigt verkaufen, anstatt es an die Tafel zu spenden. 90 Tonnen schlägt die Tafel nach Angaben von Julia Bauer jede Woche um.
Tafel plant weitere Spendenaktionen in Hamburg
Für Ronald Diendorf ist die Arbeit bei der Tafel in Eidelstedt ein fester Termin im Kalender. Seit 15 Jahren sei er schon an Bord, sagt der 86-Jährige. „Wenn man in Rente ist, kann so ein Tag in der Wohnung sehr lang werden“, sagt der ehemalige Handwerker bei Hamburg Wasser. „Ich freue mich, dass das hier alle 14 Tage losgeht“, sagt der Hamburger. Er sei dankbar, dass er und seine Frau ihr Auskommen hätten. „Wir kommen über die Runden“, sagt Diendorf, aber Armut könne jeden treffen. Auch während der Pandemie war der agile Rentner bei der Ausgabestelle, die immer geöffnet blieb, aktiv.
Mit speziellen Aktionen versucht die Hamburger Tafel derzeit, auf die Nöte der Bedürftigen, die sie versorgt, aufmerksam zu machen. So wurden kürzlich erstmals in der Europa Passage, im Alstertal-Einkaufszentrum und im Elbe-Einkaufszentrum Lebensmittelspenden und Hygieneartikel entgegengenommen. „Teilweise sind ganze Familien mit ihren Kindern gekommen, die ihr Taschengeld gespendet haben“, sagt Julia Bauer. Von manchen Spendern seien die Tafel-Mitarbeiter aufgefordert worden, Wunschlisten zu schreiben, und dann seien die Leute damit einkaufen gegangen.
„Insgesamt sind an dem Tag 15 Tonnen an Lebensmitteln und Hygieneartikeln zusammengekommen“, sagt die Tafel-Vorständin, die hauptberuflich mit ihrem Mann eine PR-Agentur führt, dankbar. Auch am 27. Oktober und am 24. November soll die Aktion in den Einkaufszentren wieder stattfinden – von 12 bis 18 Uhr.
Hamburger Tafel sucht Fahrer
Außer Fördermitgliedern sucht die Hilfsorganisation aber auch weiterhin nach Fahrern, die tagsüber die Transporter lenken können. Am Ende seines Arbeitstages bei der Ausgabestelle in Eidelstedt ist Jan Duda ein wenig erschöpft, aber auch sehr zufrieden. Und er darf sich, wie die anderen Tafel-Kunden, Lebensmittel mitnehmen. Das hilft ihm finanziell, vor allem ist es das Treffen mit all den bekannten Gesichtern, das gemeinsame Arbeiten mit den anderen Ehrenamtlichen, das ihn begeistert. Seit zehn Jahren sei er schon dabei, sagt Duda, nur einmal, als er eine Operation hatte, da habe er gefehlt. Lächelnd fügt er hinzu: „Ich freue mich immer und warte darauf, dass ich herkommen darf.“