Harburg. Die Organisation nimmt zum ersten Mal in ihrer Geschichte keine neuen Kunden mehr auf. Helferinnen und Helfer sind frustriert.
Zu viele Bedürftige, zu wenig Spenden: Die Tafel Harburg zieht die Notbremse. Ab sofort nimmt sie keine neuen Kunden mehr auf. Das beschloss der Vorstand der Organisation am Mittwoch. Zuvor hatten die Helferinnen und Helfer an der Vormittagsausgabe einen Besucherrekord verzeichnet.
„In der vergangenen Woche kam die Frage schon einmal auf“, sagt Ansbert Kneip, Sprecher der Tafel. „Da haben wir noch entschieden, dass wir so lange neue Kunden aufnehmen, wie es geht. Dass es schon jetzt nicht mehr gehen würde, hätten wir da nicht gedacht.“
200 Menschen standen am Mittwoch nach Lebensmitteln an
200 Menschen hätten am Mittwoch in Harburg nach Lebensmitteln angestanden, die die Tafel als Spende bei Handel, Gastronomie und auch direkt bei Produzenten einsammelt und in ihren Ausgabestellen in Harburg, Fischbek, Buchholz und Winsen verteilt. So viele waren es an einem Tag noch nie. Einmal pro Woche können Berechtigte sich Lebensmittel abholen.
Nicht jeder der 1500 bei der Tafel Harburg registrierten Berechtigten kommt jedoch jede Woche. Im Schnitt sind es wöchentlich 800 Harburgerinnen und Harburger, die anstehen. Allein am Mittwoch hatte die Tafel 20 Neuaufnahmen, die ihre Bedürftigkeit nachwiesen. Am Tag davor waren es zehn. Und auch die, die schon länger berechtigt sind, kommen nun regelmäßiger.
Es könnte noch schlimmer kommen, wenn die Heizkostenrechnung da ist
„Es gibt immer einige, die sich schämen, zur Tafel gehen zu müssen, die es deshalb auch vermeiden, wenn sie können“, sagt Kneip. „200 Menschen – so viel hatten wir noch nie; und wir sind erst in der ersten Monatswoche! Dazu kommt, dass in diesen Wochen die meisten erst ihre Heizkostenrechnung bekommen – wahrscheinlich mit hohen Nachzahlungen und Abschlagserhöhungen. Es tut wirklich weh, jetzt Menschen abweisen zu müssen. Das haben wir in mehr als 25 Jahren noch nie gemacht.“
Der steigende Bedarf auf der Nachfrageseite trifft auf sinkende Sachspenden an die Tafeln. „Unsere Sammeltouren dauern längst nicht mehr so lange wie noch im vergangenen Jahr“, sagt Kneip, „weil es einfach weniger einzusammeln gibt. Wo wir früher noch mit einem vollen Wagen zurückkamen, können wir heute froh sein, wenn er halbvoll ist.“
Discounter verramschen ablaufende Ware zunehmend selbst
Am deutlichsten merke man das bei den Supermärkten. „Viele Discountketten verramschen die Ware, die sie zuvor gespendet hätten – Lebensmittel, die sich dem Haltbarkeitsende nähern – jetzt zu herabgesetzten Preisen selbst – zumeist auch mit Erfolg. Zudem kalkulieren sie im Einkauf knapper und nehmen stattdessen leere Regale in Kauf.“
Auch Großspenden aus den Logistikzentren der Handelsketten blieben immer häufiger aus. Wo einst Grundnahrungsmittel palettenweise gespendet wurden, finden die Sammler oft leere Rampen vor. „Besonders zurückgegangen sind die Spenden an Kühlware, also Molkereiprodukte, Aufschnitt und Fleisch. Manchmal habe ich nur Gemüse im Auto“, berichtet Ansbert Kneip.
Landwirte sind durch Ernteausfälle und Dieselpreis belastet
Und selbst dieses Gemüse wird knapp. Normalerweise spenden Landwirte gut und gerne, aber Ernteausfälle und der steigende Dieselpreis lassen auch hier das Volumen sinken. „Das wenige, was wir hereinbekommen, wollen wir auch so an unsere Kunden verteilen, dass sie etwas davon haben“, sagt Kneip. „Deshalb müssen wir jetzt die Reißleine ziehen.“