Harvestehude. 190 Flüchtlinge sollen jetzt in die umstrittene Unterkunft in Harvestehude einziehen. Ein exklusiver Rundgang.
Das Ergebnis wirkt fast ein bisschen enttäuschend: Vier Betten, vier Stühle, ein Tisch, ein Kleiderschrank, ein Kühlschrank. Absolut unspektakulärer Standard, ein nüchternes Nullachtfünfzehn-Zimmer. Das steht in erheblichem Kontrast zur spektakulären Vorgeschichte. Denn kaum eine Flüchtlingsunterkunft in Hamburg hat für mehr Schlagzeilen gesorgt als die nun fast fertiggestellte an der Sophienterrasse in Harvestehude.
In der kommenden Woche sollen hier – mit einem Monat Verspätung – 190 Flüchtlinge einziehen. Nachbar Benedikt Schramm kennt das Haus noch aus Zeiten, in denen die Bundeswehr das Gebäude als Kreiswehrersatzamt nutzte. Der schmucklose Zweckbau aus den 50er-Jahren, die nüchterne Aura des Verwaltungstrakts, die langen Flure und die schweren Glastüren wirken vertraut.
Nur mit dem Unterschied, dass Schramms Grundstück jetzt durch einen Holzzaun vom ehemaligen Bundeswehrgelände getrennt ist, die Flure gelb getüncht sind und bald Flüchtlinge seine Nachbarn sein werden. Damit die Neuankömmlinge auch im Freien eine Sitzgelegenheit haben, denkt der Unternehmensberater über eine Bankspende nach. „Ich glaube, wir schaffen das“, sagt er. Da sei er ganz bei der Kanzlerin.
Vor ein paar Monaten sah das noch ganz anders aus. Denn sowohl das Verwaltungs- als auch das Oberverwaltungsgericht hatten Schramm und andere klagende Anwohner auf ihre Klage hin darin bestätigt, dass eine Flüchtlingsunterkunft in der ursprünglich vorgesehenen Größe von 220 Personen an der Sophienterrasse unzulässig sei. Die Richter urteilten, das Villenviertel an der Alster sei laut Plan ein „geschütztes Wohngebiet“. „Wohnähnliche“ Nutzungen wie eine Flüchtlingsunterkunft seien laut Plan ausgeschlossen.
Die Flüchtlingsunterkunft war lange Zeit juristisch hart umkämpft
Fast zwei Jahre lang war die Liegenschaft mit der Flurstücknummer 801 juristisch hart umkämpft. Erst unter der Androhung, den Bebauungsplan zu ändern, wurde ein Kompromiss erzielt, der neben der reduzierten Bewohnerzahl eine befristete, knapp neunjährige Nutzungsdauer und eine „einvernehmliche“ Umzäunung vorsah. Zudem müssen 80 Prozent der Bewohner Familien aus Bürgerkriegsländern sein. Nur so konnte die Stadt ihr politisches Zeichen im „Nobelviertel“ setzen – und die Anwohner ihr Gesicht wahren.
Nun ist Schramm mit Eimsbüttels Bezirksamtsleiter Torsten Sevecke (SPD) das erste Mal in der belegungsreifen Unterkunft. Während Sevecke davon ausgeht, dass die Unterkunft „funktioniert“ und sich „ganz entspannt“ integrieren lässt, äußert sich Schramm erstmals öffentlich und namentlich. Ihm sei klar, dass das Haus unter besonderer Beobachtung stehe.
Nach wie vor legt der Nachbar Wert auf die Feststellung, dass es nie darum gegangen sei, die Unterkunft zu verhindern. Allein die Größe wurde beanstandet, um die integrative Kraft des Stadtteils nicht zu gefährden. „Und da hat uns das Gericht zweimal recht gegeben.“ Geärgert habe ihn dabei vor allem, dass sich die Politik des SPD-Senats hartnäckig über die Gerichtsbarkeit stellen wollte. Inhaltlich hätte sich damit nur niemand beschäftigen wollen. Viel lieber sei von den Klägern das Bild der gut betuchten „Nazis in Nadelstreifen“ gezeichnet worden, während die Flüchtlingsinitiative Harvestehude große Sympathie erfuhr. Da mache es sich die Öffentlichkeit zu einfach, sagt Schramm heute.
Abgesehen davon wird er nicht müde, darauf hinzuweisen, dass sich die Stadt jeden Flüchtling in der Sophienterrasse schätzungsweise 120.000 Euro kosten lasse, die Integration schon qua Rechnung gelingen müsse. Unterm Strich hat Schramm aber seinen Frieden gemacht: „Wir glauben daran, dass es hier in Harvestehude funktioniert. Und wir haben die einmalige Chance zu zeigen, dass es mit diesem Kompromiss besser wird.“
Insgesamt hat die Unterkunft fast 23 Millionen Euro gekostet
Die Unterkunft, die mit Grundstückserwerb, Umbau und Betrieb fast 23 Millionen Euro kostet, ist vom Betreiber Fördern & Wohnen inzwischen in 23 geschlossene Wohnbereiche eingeteilt worden. Im Erdgeschoss schmücken schon die Willkommenszettel das Verwaltungsbüro. Im Rest des Hauses mussten Wände versetzt und Sanitäranlagen installiert werden.
Aus kleinteiligen Büros sind geräumige Schlafplätze geworden. Noch nicht fertig sind Spielplatz und Außenanlagen; sie folgen im Frühjahr. Insgesamt bietet die spartanische Ausstattung aber wenig Komfortables. Aufsehenerregend ist allein die Lage der Unterkunft, fast alle Zimmer haben Villenblick.
Bezirksamtsleiter Sevecke, der neben dem CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Michael Westenberger und Klägeranwalt Gero Tuttlewski als Architekt des Kompromisses gilt, zeigt sich zufrieden mit dem Ergebnis. Am Efeubewuchs der Umzäunung könne noch gearbeitet werden. Aber ansonsten seien alle Beteiligten aufeinander zugegangen und nun in Erwartung der Flüchtlinge. „Das wird gut.“ Er sei weiterhin davon überzeugt, dass jeder Stadtteil seinen Beitrag in der Flüchtlingsfrage leisten müsse. Künftig müssten dafür auch das Plan- und Baurecht geändert werden, vor allem mit Blick auf die Klagen andernorts in der Stadt.
Hendrikje Blandow-Schlegel, Vorsitzende der Flüchtlingshilfe Harvestehude, hat indes schon ganz praktische Hilfe mit ihren mehr als 400 Unterstützern vorbereitet. „Willkommenstütchen stehen für jeden Bewohner bereit, ein Refugee-Guide in unterschiedlichen Sprachen und auch eine Umgebungskarte zur Orientierung.“ Etwa 220 Paten, die sich um die Flüchtlinge kümmern können, hätten sich gemeldet, Tee- und Spielstunden seien geplant, ebenso Ausflüge. „Wir wollen die Flüchtlinge aber nicht überrennen, sondern bieten Unterstützung an, wenn sie gebraucht wird“, sagt die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete. Die Erwartungshaltung der Initiative sei nicht euphorisch, eher bodenständig.