Hamburg. Bis zum Jahr 2017 fallen 1000 Wohnungen aus der Mietpreisbindung heraus. Politiker fürchten Gentrifizierung.

Sie ist hier aufgewachsen, schon als Kind hat Simone Maruhn die Hochhäuser der Lenzsiedlung gemocht. Die Nähe zur Osterstraße, die Nachbarn, die kurzen Wege. „Es ist einfach nett hier“, sagt die zweifache Mutter. „Und es ist eine der wenigen bezahlbaren Wohnungen in Eimsbüttel.“

Mit ihrem Mann Andreas und den beiden Söhnen ist sie ganz oben angekommen in der oft verpönten Hochhaussiedlung: zehnter Stock, drei Zimmer, 80 Quadratmeter. Der Blick? Ein Traum. Schon auf der anderen Straßenseite wären diese 80 Quadratmeter unbezahlbar für die Erzieherin und den Busfahrer. „Für Normalverdiener wie uns ist Eimsbüttel kaum noch erschwinglich“, sagt die 38-Jährige. In den Sozialbauten der 70er-Jahre lebt die Familie aber gut und günstig. Noch.

Denn wie an vielen anderen Orten der Stadt läuft auch in der Lenzsiedlung die Mietpreisbindung bald aus, bis zum Jahr 2017 verlieren knapp 1000 Wohnungen ihren rechtlich geschützten Status. Gleichzeitig verliert der Stadtteil Lokstedt, zu dem die Lenzsiedlung gehört, fast 1000 seiner 1200 Sozialwohnungen. Nur ein Beispiel von vielen: Im ganzen Stadtgebiet enden in den kommenden zehn Jahren etwa 45.000 Mietpreisbindungen bei fast der Hälfte aller Sozialwohnungen.

„Das ist eine Katastrophe“, sagt Eckard Pahlke, Vorsitzender des Mietervereins zu Hamburg. „Gemessen an den 70er-Jahren, als Hamburg fast 400.000 Sozialwohnungen hatte, ist der Bestand zu gering.“ Zumal er sich weiter dezimiere, denn die Zahl der bedürftigen Einwohner nehme im Gegensatz zur Zahl der Sozialwohnungen seit Jahren nicht ab. „Ich halte das für einen Skandal“, so Pahlke.

Auch die Bürgerschaftsfraktion der Partei Die Linke moniert, dass der Stadt 270.000 Sozialwohnungen fehlen. Laut Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage hätten im Jahr 2012 rund 367.000 Haushalte Anspruch auf eine Sozialwohnung gehabt. Der Bestand betrug zu diesem Zeitpunkt aber nur 96.854. Und auch die Perspektive sei düster: „Die Chance, mehr für den nötigen geförderten Wohnungsbau zu tun, wurde im Koalitionsvertrag verpasst“, sagt Heike Sudmann, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linken.

Die Stadtentwicklungsbehörde hält diese Zahlen für einen „theoretischen Bedarf“. Sprecher Magnus Kutz: „Die Förderung für den sozialen Wohnungsbau wurde deutlich ausgeweitet. Sozialwohnungen entstehen im gesamten Stadtgebiet.“ Seit 2011 seien jährlich mehr als 2000 geförderte Wohnungen bewilligt worden, Hamburg habe allein im Jahr 2013 pro Kopf rund zehnmal so viele Neubauwohnungen gefördert wie im Bundesdurchschnitt geschehen.

Im Fall der Lenzsiedlung befürchten Eimsbüttler Bezirkspolitiker aber nicht nur den Verlust von Sozialwohnungen. „Mit steigenden Mieten droht auch die Gefahr der Gentrifizierung“, sagt Manuela Pagels, Abgeordnete der Linken in der Eimsbüttler Bezirksversammlung. Die Lenzsiedlung könne eine sozial unverträgliche Aufwertung erfahren, weniger zahlungskräftige Menschen könnten aus dem Stadtteil gedrängt werden. Selbst die regierende SPD sieht diese Gefahr. „Für die betroffenen Mieter kann das zum Problem werden“, sagt Gabor Gottlieb, SPD-Abgeordneter in der Bezirksversammlung. Dabei seien die Ursachen aber nicht allein im Ende der Sozialbindungen zu suchen. „Die Schieflage ergibt sich auch dadurch, dass zwischen 2003 und 2011 faktisch keine neuen Wohnungen mit Sozialbindung hinzugekommen sind.“ Überdies erwarte er vom Vermieter, der Stadttochter Saga/GWG, dass sie ein verlässlicher Partner ist und bleibt.

Saga-Sprecher Michael Ahrens knüpft dort an: „Wir werden bei dieser Großwohnsiedlung – ähnlich wie bei anderen Siedlungen auch – sehr sorgsam mit möglichen Anpassungen umgehen und den Quartierskontext berücksichtigen.“ Das Auslaufen der Mietpreisbindung sorge ohnehin nicht für eine automatische Verdrängung von Mietern. Denn das Unternehmen schöpfe die mietrechtlichen Erhöhungsmöglichkeiten in der Regel nicht aus. Im Gegenteil: Die Nettokaltmieten lägen seit Jahren etwa 20 Prozent unterhalb des Mietenspiegels und wirkten damit mietpreisdämpfend.

Lenzsiedlungsbewohner wie Simone Maruhn hoffen, dass dies auch so bleibt: „Es wäre schade, wenn einige Nachbarn die Miete nicht mehr aufbringen könnten und aus Eimsbüttel verdrängt werden“, sagt sie. In den bis zu 14 Stockwerke hohen Häusern mit ihren 3000 Bewohnern liegt der Qua-dratmeterpreis bei fünf bis sechs Euro. „Noch ist die Lenzsiedlung für alle da“, sagt Simone Maruhn.

Es lohne sich jedenfalls genau zu verfolgen, welche Auswirkungen die Aufhebung der Mietpreisbindung haben wird, sagt Dieter Läpple, international renommierter Professor für Stadtökonomie und Stadtforschung. „Denn bisher waren ja die Großsiedlungen nicht von Verdrängungsprozessen betroffen.“ Aber die Lage der Lenzsiedlung sei sehr attraktiv. Nicht nur für Normalverdiener.