Neuengamme. 31 Kinder und Jugendliche haben mit ihren Betreuern in Neuengamme ihre Lager zum Historischen Spiel aufgeschlagen. Was sie erleben.
Handys, Uhren und modische Kleidung sind hinter dem Gemeindehaus an der Feldstegel in Neuengamme derzeit tabu. Schließlich ist dort die Zeit stehen geblieben. 31 Kinder und Jugendliche sowie 13 Erwachsene bewegen sich fünf Tage lang im Jahre 868, dem Frühmittelalter. Die Teilnehmer des Historischen Spiels tragen authentische, oft selbst genähte Kleidung und gehen in den beiden Lagern Beschäftigungen dieser Zeit nach.
Schüsseln und Becher werden aus Ton geformt und in einer Feuertonne eineinhalb Tage lang gebrannt. Apotheker entfachen mit einem Blasebalg ein Feuer, um in einem Topf Seife aufzuweichen. Sie soll neu geformt, mit Kräutern gemixt und gefärbt werden. An einem weiteren Feuer wird Linsensuppe gekocht – das heutige Mittagessen für das Mittelaltervolk. Zum Nachtisch gibt es Joghurt mit Nüssen und Honig. In weiteren Zelten wird mit Schmuck, Zinn oder Holz gearbeitet. Unter anderem produzierten die jungen Lagerbewohner Armbrüste.
Historisches Spiel: In Neuengamme eine Woche lang wie im Mittelalter leben
Die Arbeiten werden unterbrochen, um sich bei dem Schwert- und Ballspiel Jugger zu vergnügen. Daran haben alle Spaß – Handwerker, Händler und die Kämpfer sowieso. Einige Meter weiter trainieren junge Byzantiner – Theophilus (Max Ole Westphal, 11, aus Altengamme) und Julius (Maximilian Lüdemann, 10, aus Kirchwerder) den Schwertkampf. Schließlich wissen sie nicht, was die Wikinger im Nachbarlager vorhaben, ob sie friedlich oder feindlich gesonnen sind.
Bei dem Spiel, das möglichst authentisch verlaufen soll, haben Wikinger ihr Lager neben einer byzantinischen Burg aufgeschlagen. Nur eine Brücke trennt die beiden Lager. Die Wikinger sind mit ihrem Schiff an der Küste Griechenlands gestrandet, nahe der Burg Tenaro (die es tatsächlich gab), inmitten des Herrschaftsgebietes des byzantinischen Reichs.
Viele Wiederholungstäter
„Meine Rüstung habe ich selbst angefertigt, mit etwas Unterstützung des Magistrats“, sagt Theophilus, der zum ersten Mal an einem Historischen Spiel teilnimmt. Anders als die anderen Kinder und Jugendlichen, von denen die meisten Wiederholungstäter sind. Auch die 13 Teamer, die das Historische Spiel ehrenamtlich betreuen, waren meist schon in Neuengamme dabei, als Teamer oder als Besucher oder beides. Viele der Teamer sind vom Fach, haben Geschichte oder Archäologie studiert oder sind gerade dabei.
Während die Kinder und Jugendlichen um 16 Uhr nach Hause fahren und am nächsten Morgen wieder in ihre Gewänder schlüpfen, bleiben die meisten Teamer auch über Nacht an der Feldstegel. „Wir schlafen im Gemeindehaus“, sagt Marius Starcke (22) aus Neuengamme, in den beiden Lagern als Halvar der Starke respektiert. „Wir improvisieren viel, um die Kinder möglichst stark einzubeziehen. Nur die groben Handlungsstränge sind vorgegeben“, sagt Joshua Pawelzik (31) aus Osdorf, einer der Teamer. Tagsüber ist er Björn der Rote, benannt nach seinem edlen Wikinger-Gewand.
Erst am letzten Tag sind Angehörige willkommen
Das Historische Spiel hat am Montag, 7. August, begonnen und endet am Freitag, 11. August. Erst am letzten Tag sind auch Eltern, Großeltern und Geschwister in ihrer Kleidung aus dem 21. Jahrhundert willkommen. Zwischen 14 und 16 Uhr können sie das Mittelalter-Volk in seinen beiden Lagern bestaunen und Kaffee trinken. „Meist bringen Eltern Kuchen mit“, sagt Alexander „Demetrios“ Gorth (26) aus Stellingen. Björn der Rote betont, dass sich die Teamer über helfende Hände beim Abbau freuen. Schließlich müssen neben den großen Zelten, einem Drachenboot, das zum Wikingerboot umfunktioniert worden ist, und einem Holzkarren auch viele kleine Gegenstände ordentlich verstaut werden.
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Die Teamer engagierten sich bei diesem Historischen Spiel besonders stark. Weil Diakon Martin Tonne erkrankt ist, halfen sie – unterstützt von Pastorin Doris Spinger – mehr als sonst bei der Vorbereitung des Spektakels. „Das Ganze wurde dezentral organisiert“, sagt Björn der Rote. Für ihn war es trotz zahlreicher Teilnahmen als Teamer „das kälteste und verregnetste Historische Spiel“. Trotzdem hatte der Wikinger viel Spaß, so wie seine Kollegen und die Besucher auch. Die betreuten Zeitreisen hinter dem Gemeindehaus werden seit fas 30 Jahren in jedem Sommer angeboten.