Bergedorf. Valeria und Janina flohen vor dem Krieg in ihrer Heimat. Die 26-Jährigen hatten Glück – und erzählen vom größten Zufall ihres Lebens.
Es klingt ein bisschen wie in einem Märchen: Noch im April wussten die beiden 26-Jährigen nicht, ob sie ihre Familien jemals lebend wiedersehen werden, wo sie nach ihrer Flucht aus dem umkämpften Dnipropetrowsk in der Ukraine landen, was ihnen die Zukunft bringen wird. Und heute haben sie beide eine feste Anstellung bei der Hamburger Sparkasse. Wie es zu diesem glücklichen Zufall kam, können sie eigentlich noch immer kaum fassen: „Das Schicksal meint es unglaublich gut mit uns.“
Dabei war ihre Flucht aus der Ukraine alles andere als gut geplant: Schnell warme Klamotten, den Pass und irgendwelche Medikamente eingepackt, „vielleicht Pflaster oder so“. Das waren ihre ersten Gedanken, als Valeria Shvetsova ihren kleinen Koffer packte. Die 26-Jährige konnte diese lähmenden Stunden im schmutzigen Keller einfach nicht mehr aushalten.
Junge Ukraine-Flüchtlinge finden Job bei der Haspa
„Alle paar Stunden rannten wir aus dem 14. Stock nach unten, spielten mit den Kindern und sprachen über irgendwas – nur nicht über den Krieg“, erzählt sie. Es gab Wasser und Kuchen, aber keinen Handy-Empfang. Als das Bomben-Getöse weniger wurde, ging Valeria wieder hoch, rief ihre Freundin Janina Doroshenko an, die sie seit dem neunten Lebensjahr kennt. Und so machten sich die beiden auf den Weg, saßen vier Tage lang neben fremden Auto- und Busfahrern, kamen über Breslau und Berlin schließlich in Bergedorf an.
Die Umstellung ist riesig, denn die beiden, die aus einer Millionenstadt kommen, leben inzwischen in einem winzigen Dorf in Schleswig-Holstein, das gerade einmal 2500 Einwohner zählt. Hier aber wurden sie freundlich und warmherzig aufgenommen. Doch der Start war schwierig – zum Beispiel, als sie ihre Währung, die Hrywnja-Scheine, umtauschen wollten: „Erst standen wir vor der falschen Tür, dann war die Bank geschlossen“, erinnert Valeria, die froh war, als die Nachbarin fragte, ob sie im Auto mit nach Rahlstedt fahren wollten. Sie habe dort einen Arzttermin, die Mädels könnten ja unterdessen bummeln gehen.
Den richtigen Mann in der Haspa getroffen
Und plötzlich standen sie vor einer Haspa-Filiale: „Der Wachmann zeigte uns die richtige Tür und rief einen Immobilien-Spezialisten der Bank, der vor 30 Jahren aus Odessa nach Deutschland gekommen war.“ Der Mann war schließlich ihr Glücksbringer: Ob sie auch Englisch könnten, fragte er – und wunderte sich, dass Valeria sogar gut Deutsch spricht. „Super, ihr könntet sehr schnell bei uns einsteigen“, hieß es.
Dem unerwarteten Job-Angebot folgten natürlich noch Vorstellungsgespräche und Motivationsbriefe. Aber es klappte: Heute arbeitet Valeria als Bank-Angestellte in der Rahlstedter Filiale. Ihre Freundin Janina startetet ebenfalls in den Job, braucht aber etwas mehr Geduld (bei Musik und Deutsch-Vokabeln): Sie fährt täglich knapp zwei Stunden zu ihrer Arbeit in der Haspa-Filiale am Jungfernstieg.
Konten eröffnen und Sparbücher anlegen
Kein Wunder, dass die Frauen gern genommen wurden, schließlich hat Valeria Betriebswirtschaft studiert und arbeitete zuletzt bei einer Logistik-Firma aus Südkorea: „Die wollten mich auch in ihrer Filiale in Dormagen einsetzen, aber ich wollte nicht von meiner Freundin weg“, erzählt Valeria, die ukrainischen Flüchtlingen bei der Konto-Eröffnung hilft, für andere Kunden Sparbücher anlegt, beim Online-Banking berät: „Mit der Digitalisierung ist die Ukraine viel weiter. Die haben nicht so unbequeme und altmodische Apps wie hier in Deutschland.“
Auch am Jungfernstieg sind viele Kunden aus der Ukraine, freuen sich Janinas Kollegen im Service-Bereich über Übersetzungshilfe, wenn es etwa um eine neue PIN geht oder um Überweisungen. Dabei ist sie eigentlich Tierärztin – und vermisst ihren Ehemann, der ebenfalls als Tierarzt in einer Praxis arbeitet und derzeit viele verletzte Hunde operiert.
Chef lockt mit Festanstellung
Mit ihrem befristeten Aufenthaltstitel dürfen die beiden zunächst bis Ende 2023 in Deutschland bleiben, „aber mein Chef will mich fest anstellen, und ich will bleiben“, meint Finanzberaterin Valeria. Sie ahnt, dass der Krieg in ihrer Heimat wohl kein schnelles Ende finden könnte. Und gerade jetzt fliehen wieder viele Ukrainer, die Angst vor einem Winter im Bombenhagel haben.
„Es gibt kaum Wasser und Strom, zuletzt haben wir Notstrom-Aggregate gebracht“, erzählt Waldemar Kluch. Der ehemalige Box-Promoter, der einst das Dima-Sportcenter am Havighorster Weg in Lohbrügge betrieb, hat sich der Flüchtlingshilfe sehr verschrieben. Erst vor wenigen Tagen brachte er drei Tonnen Hilfsgüter an die Grenze. Wagen plus Anhänger hatten Taschenlampen und Schlafsäcke geladen, Funkgeräte und warme Kleidung, dazu viele Medikamente: „Die Bergedorfer Polizei hat uns kastenweise Tabletten gegen Brustkrebs, blutstillende Mittel und Schmerztabletten geschenkt“, freut sich der 64-Jährige, der zudem vom Bezirksamt Wandsbek Desinfektionsmittel bekam.
„Es werden Schutzmasken gegen den Gestank der Toten gebraucht“
Als er zudem Gaskocher, Prothesen und Rollatoren ablieferte, wurde ihm eine besondere Bitte angetragen: Beim nächsten Mal möge ich doch bitte Schutzmasken gegen Gestank mitbringen. „Sie graben die Toten aus, als Beweise für den Europäischen Gerichtshof“, ließ sich Waldemar Kluch berichten.
Wer Spenden abgeben möchte (gern auch warme Winterschuhe oder Isolierfolien), ist werktags von 12 bis 20 Uhr am Neuen Weg 47 willkommen, zudem in der ehemaligen Spielhalle am Sander Damm 41. Ehrenamtlich arbeitet hier derzeit Alla Smahlii, die Ende März aus Odessa kam, wo sie einen wichtigen Job hatte.
„Ich war Oberst bei der Polizei und für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität zuständig“, sagt Alla Smahlii, und wüsste noch viel mehr über Geldwäsche und Korruption zu erzählen. Doch auch ihre heutige Tätigkeit ist sehr wichtig: „Täglich kommen 50 bis 60 Leute, die Sachen brauchen, Kleidung, Spielzeug, Decken. Und viele wollen sich ihre Geschichte von der Seele reden – in der Heimatsprache natürlich.“
Raucher hatte einfach Glück
So auch Nadja, deren Sohn sich beim Militär das Knie verletzte. „Und mein Mann hat sich als Reservist bei den Panzerfahrern gemeldet, obwohl er schon viel zu alt dafür ist“, meint sie. „Mein Sohn ist auch mit Splittern verwundert, aber er hat Glück gehabt: Als die Rakete in den Graben einschlug, war er gerade draußen, um eine Zigarette zu rauchen“, erzählt Natascha.
Die beiden halten sich an den Händen und sagen ihre wenigen Worte auf Deutsch: „Danke an alle Deutschen, ihr helft uns so viel.“