Hamburg. Sie sind Musiker, Tänzerinnen, Veranstalter – und wurden durch den russischen Angriffskrieg vertrieben. Sieben Geschichten aus Hamburg.
In die zweitgrößte deutsche Stadt sind sie natürlich auch geflüchtet. 33.000 schutzsuchende Ukrainerinnen und Ukrainer sind bisher nach Hamburg gekommen. Unter ihnen viele Künstler und Kulturschaffende. Sie haben im vergangenen Jahr nicht nur mit ihren in der Ukraine gebliebenen Verwandten und Freunden gebangt, sondern auch die Ukraine mit nach Hamburg gebracht, ihre Musik, ihre Bühnensprache, ihre Kunst.
Hier berichten sie über ihre Flucht, ihre Ängste und Hoffnungen, über ihre Projekte und Veranstaltungen in Hamburg. Und über den Trostfaktor des kulturellen Lebens.
Sängerin aus der Ukraine: In Hamburg fühle ich mich sicher
Olga Ali Greschnaya, Sängerin: In Hamburg fühle ich mich sicher, seit ich aus der Ukraine gerettet wurde. Diese schöne Stadt hat mir viele Freunde und Bekannte geschenkt wie die tolle Pianistin Maryna Vasyleva und ihre großartige Band Konzertbrigade Ukraine, in der ich singe und mit der wir Hilfsgelder für die Ukraine sammeln. Außerdem singe ich mit dem Free People-Team zugunsten der Streitkräfte und mit der Düsseldorfer Band Die Erinnerung.
Ich unterrichte Gesang für jugendliche und erwachsene Geflüchtete: Für mich sind das meine Verwandten, sie kommen oft zum Unterricht und erzählen mir von ihren Erfahrungen. Dann schmerzt mein Herz für die Ukraine. Das ist mein Land, in dem ich aufwuchs, ich vermisse meine Straße, meine Lieben, die dort geblieben sind, meine Nachbarn, Menschen, die im Krieg gestorben sind. Ich telefoniere täglich mit meinen Verwandten dort und bete, dass sie und meine Freunde, die derzeit in der Armee dienen, am Leben bleiben. Und ich hoffe, dass es den Sieg geben wird. Ich hoffe, dass sich die Ukraine erholen wird und die Wunden geheilt werden. Als gläubiger Mensch möchte nach den Gesetzen der Bibel in Frieden, Liebe und Güte leben.
Performerin aus Kiew: Ich habe in der Ukraine nichts mehr verloren
elisELIS, Performerin: Am 1. März 2022 kam ich aus Kiew nach Berlin. Ich hatte gar nicht geplant, nach Deutschland zu fliehen, ich wollte nach Frankreich, vielleicht weiter nach England, ich hatte in Rochester zeitgenössische Fotografie studiert. Ein Freund in Berlin erzählte mir, dass es im Hamburger Lichthof Theater die Möglichkeit gibt, eine Residenz zu bekommen, und weil ich schon in Kiew mit der Gruppe „Rofl Monkey Lalala“ Theater gemacht hatte, entschied ich mich um. So kam ich nach Hamburg – im Oktober war unser Stück „#ukrwarbody“ im Lichthof zu sehen, voriges Wochenende das Happening „Feel My Goosebumps“, entstanden gemeinsam mit Dong Zhou und Huen Tin Yeung.
Ich habe noch Familie und Freunde in der Ukraine, wir stehen auch in Kontakt, aber über den Krieg reden wir nur wenig, eher über die Bewältigung des Alltags. Es ist schwierig, doch sie entwickeln Strategien, um weiterzumachen. Alle in der Ukraine haben Hoffnung, aber sie sind müde und erschöpft – der menschliche Körper hält unvorstellbare Qualen aus, doch die Psyche leidet, denke ich.
Meine Zukunft? Ich bin keine gute Planerin. Natürlich muss der Krieg irgendwann enden, aber für mich persönlich wird sich wenig ändern. Schon zuvor hatte ich vor, wegzuziehen, ich habe in der Ukraine nichts mehr verloren. Natürlich war ich emotional und körperlich angefasst, als der Krieg begann, aber Kunst zu machen, kreativ zu sein und meinen Körper in Sicherheit zu bringen, ist das wichtigste. Also verfolge ich mein Abenteuer weiter, wo immer auf dieser Welt es mich auch hinführt.
Geigerin aus Kyiv: Konnte mir nicht vorstellen, mein Land zu verlassen
Elisaveta Kabolska, Geigerin: Als der Krieg begann, war ich in Kyiv. Es war mein erstes freies Wochenende seit langer Zeit , da ich zu dem Zeitpunkt in mehreren Orchestern tätig war und an vielen Projekten teilnahm. Es war sehr schrecklich, als ich die Sirenen zum ersten mal hörte, aber ich wollte nicht weg, denn ich konnte mir nicht vorstellen, mein Land zu verlassen, die Ukrainer, meine Lieblingsstadt Kyiv und natürlich auch meine Eltern. Als ich jedoch ganz in meiner Nähe Bombeneinschläge hörte, überwältigte mich die Angst. Nachdem ich mit Freunden einige Tage und Nächte in einem Luftschutzbunker verbracht hatte, war die Entscheidung gefallen, ins Ausland zu flüchten, um am Leben zu bleiben. Das war eine sehr schnelle Flucht Richtung Westen, weg vom Krieg.
Drei Tage habe ich bis zur polnischen Grenze gebraucht, da die Züge und Busse überfüllt waren. In friedlichen Zeit wären es nur acht Stunden. Ich hatte nur einen Rucksack und meine Geige dabei. Bevor ich in Hamburg ankam, lebte ich zwei Wochen in Polen, alleine. Meine Eltern und viele meiner Freunde sind in der Heimat geblieben. Ich mache mir große Sorgen um sie und mein Land. Da es dort immer noch sehr gefährlich ist, habe ich meine Familie seit einem Jahr nicht gesehen.
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Was mir derzeit hilft, sind die Musik und die Menschen, die ich in Hamburg kennengelernt habe. Ich bin dankbar dafür, dass ich die Möglichkeit habe, zu musizieren und künstlerisch mit tollen Kollegen zusammen zu arbeiten, auch wenn es nicht regelmäßig passiert. Ich freue mich darauf, am 31. März bei der Uraufführung von „Silentium“, einem Projekt des Hamburger Komponisten und Pianisten Leon Gurvitch, in der Elbphilharmonie zu spielen. Doch meine Gedanken sind immer noch zu Hause und die Unruhe lässt mich nicht los. Eine glückliche Zukunft sehe ich erst, wenn der Krieg in meiner Ukraine beendet ist.
Tänzerin aus Kiew: Die Unsicherheit kommt in Wellen
Daniella Preap, Tänzerin & Choreografin: Ich bin am 24. Februar aus Kiew geflohen und über Krakau und Berlin nach Hamburg gekommen. Hier war ich für ein halbes Jahr Residenzkünstlerin auf Kampnagel, hatte danach eine befristete Teilzeitstelle. Ich bin aufgetreten, habe choreografiert, Workshops gegeben, auch für das Thalia Theater habe ich gearbeitet, einmal im Rahmen der „Embassy of Hope“, einmal zur „Langen Nacht der Weltreligionen“. In der dritten Märzwoche werde ich auf Kampnagel eine Videoinstallation beim „TanzHochDrei“ zeigen.
Ursprünglich hatte ich geglaubt, nach ein paar Monaten zurückkehren zu können, wenn es ruhiger ist und die Situation in der Ukraine sich stabilisiert hat. Wenn man hier keine Projekte hat, wird man schnell deprimiert, fängt an, darüber nachzudenken, wie es weitergehen kann, wie man überlebt, Freunden und Familie zu Hause helfen kann; meine Schwester ist bei ihrem Partner in Kiew. Die Unsicherheit kommt in Wellen, ein dauerndes Auf und Ab. Ich werde mich jetzt darauf fokussieren, fließend Deutsch zu lernen, damit ich vielleicht studieren kann. Und ich habe mich in einen Norddeutschen verliebt. Mein Plan zurückzukehren, hat sich also erst einmal verändert...
Veranstalterin aus Kiew: Spüre die Kraft der Kultur als universelle Sprache
Alona Dmukhovska, Veranstalterin: Seit April wohne ich wegen des grausamen und unprovozierten Krieges Russlands gegen die Ukraine in Hamburg, nicht in meinem geliebten Kiew. Während dieser Zeit habe ich dreimal mehr gearbeitet als sonst: um mein Team und Land zu unterstützen, um nicht verrückt zu werden wegen der schrecklichen Nachrichten zu Hause. In Zusammenarbeit mit dem Bramfelder Kulturladen habe ich im Sommer Konzerte mit ukrainischen Musikern und ukrainische Filmabende organisiert, dazu kam eine Kooperation mit dem Reeperbahn Festival, bei dem wir vier Bands präsentierten und die Podcast-Reihe „Ukraine Calling“ bei ByteFM.
Gerade jetzt spüren wir die Kraft der Kultur als universelle Sprache und die Notwendigkeit unserer Arbeit, weil wir für die europäischen Freunde noch unentdeckt sind. Wir laden jeden ein, sich der Mission des Schutzes der ukrainischen Kultur anzuschließen. In Ihrer Stadt, auf Ihrer Playlist, auf Ihrem Fernseher. Sprechen Sie mit Ihrer Regierung, um die Ukraine jetzt zu bewaffnen. Damit unsere Kultur auch zu Hause leben und arbeiten kann.
Instrumentalist aus Kiew: In Hamburg fühlen wir uns sicher
Jean Yanochkin, Multiinstrumentalist: Das Wichtigste im Leben eines jeden Menschen ist seine Familie. Wir sind sehr froh, in dieser für unser Land schwierigen Zeit in Deutschland zu leben, hier in Hamburg fühlt sich meine Familie aus Kiew rundum sicher, und auch meinen Beruf, meine Leidenschaft kann ich hier weiter ausüben. Auch meine Tochter Yana, die bereits sehr gut Deutsch gelernt hat und von einem Platz am Albert-Schweitzer-Gymnasium träumt, spielt Geige und singt, zum Beispiel in der ukrainischen Version des Kindermusicals „Eule findet den Beat“. Ich habe mit Maryna Vasylievas Konzertbrigade an vielen Wohltätigkeitsveranstaltungen zur Unterstützung der Ukraine teilgenommen und auch viele lokale Jazzmusiker getroffen, die mich als Pianist gerne zu ihren Konzerten und Jam-Sessions einladen. Musik verbindet einen mit der Gesellschaft, und das ist mir derzeit sehr wichtig.
Natürlich unterhalte ich so gut es geht die Verbindungen zu den Freunden und Kollegen, die in der Ukraine geblieben sind. Ich hoffe daher sehr, dass die Ukraine den Krieg so schnell wie möglich gewinnt und zukünftig auch Teil der Europäischen Union wird. Und mir liegt es am Herzen, den Menschen hier die ukrainische Kultur vorzustellen, uns auszutauschen und so der deutschen Gesellschaft etwas zurückzugeben.
Kunststudentin aus Kiew: Ich habe hier sehr viel Hilfe bekommen
Varvara Perehinets, Kunststudentin: Als der russische Angriffskrieg begann, war ich zum Glück nicht in Kiew, wo ich Malerei studiere, sondern im Westen der Ukraine. Wegen der Pandemie hatte unser Unterricht nur online stattgefunden. Trotzdem war für mich schnell klar, dass ich mein Land verlassen und somit meinen Vater und seine Familie zurücklassen muss. Meine Mutter und mein Bruder sind schon seit Längerem in der Slowakei.
Seit April 2022 wohne ich in Hamburg, zusammen mit meiner Großtante, die schon lange hier lebt. Sie hat mich auch auf die Hochschule für bildende Künste Hamburg aufmerksam gemacht. Dort hatte ich das Glück, in eine Klasse ukrainischer Gaststudentinnen im Department für Grafikdesign aufgenommen und weiterhin unterrichtet zu werden. Das hat mir Halt gegeben in einer Zeit großer Depression und Sorgen. Ich habe hier sehr viel Hilfe bekommen und die Möglichkeit, meine Arbeiten auszustellen.
Zurzeit zeige ich meine Kunst in der Ausstellung „Re:Feb.24/UKR“ im Westwerk. Meine Tuschezeichnungen, auf denen ich die Hauptfigur kopflos darstelle, setzen sich mit jeglicher Form von Propaganda und Manipulation auseinander. Natürlich beziehe ich mich darin auf die aktuelle Situation in Russland, diesem riesigen Land mit so vielen Menschen, von denen viele nicht nachdenken und hinterfragen. Das ist schrecklich.
Aber auch hier in Hamburg erlebe ich häufig, dass Menschen sich nicht mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigen. Ich will mit meiner Kunst wachrütteln und zeigen, was dieser Krieg wirklich bedeutet. Das ist es, was ich als Künstlerin im Moment tun kann. Aber es ist hart für mich; ich lebe in zwei verschiedenen Welten: hier als Künstlerin und in Gedanken in meiner Heimat. Tue ich das Richtige? Das ist die Frage, die ich mir oft stelle.