Curslack. Der Hauptkommissar gehörte vier Jahrzehnte lang zur Bergedorfer Wache. Warum es für den 60-Jährigen „der geilste Job der Welt“ war.

Als Matthias Lange in den Polizeidienst eintrat, da durfte er noch nicht mal selbst am Steuer eines Streifenwagens Platz nehmen. Schließlich war der heutige Hauptkommissar damals gerade erst 16 Jahre alt. Seinen Führerschein machte er erst zwei Jahre später als volljähriger Oberwachtmeister. „Ich war einer der jüngsten Hamburger Polizisten“, erinnert sich Matthias Lange, der gerade seinen 60. Geburtstag feierte. Damit ist das Ende seiner Dienstzeit gekommen: Nach fast 44 Jahren bei der Polizei Hamburg geht der Dorfsheriff von Curslack und Neuengamme in Pension.

Damit verlässt auch der zurzeit dienstälteste Mitarbeiter das Polizeikommissariat 43. Denn bis auf einem kurzen Aufenthalt bei der Bereitschaftspolizei und in Barmbek ging es schon im März 1983 an die Wache in Bergedorf. Nach seiner Ausbildung dorthin versetzt zu werden, war immer sein Wunsch gewesen. Unweit seines Elternhauses am Brookdeich fuhr er von der Wache 61 an der Wentorfer Straße, dem heutigen Standesamt Streife. 1992 wurde schließlich seine Wache mit der Lohbrügger Wache (heute Kulturzentrum Lola) zum PK 43 am Ludwig-Rosenberg-Ring zusammengelegt.

Polizei Hamburg: Als Zivilfahnder jagte er Fahrraddiebe und Drogendealer

Eine Zeit der Umstrukturierung, in der auch Matthias Lange sich dazu entschloss, eine andere Aufgabe wahrzunehmen: Er wurde Zivilfahnder. Gut zwölf Jahre machte er im Bezirk Bergedorf Jagd auf Einbrecher, Fahrraddiebe und Räuber. Vor allem Drogen und Beschaffungskriminalität spielten Anfang der 1990er Jahre eine große Rolle.

Als Zivilfahnder setzt Lange im Jahr 1997 am Hohendeicher See einen Randalierer fest.
Als Zivilfahnder setzt Lange im Jahr 1997 am Hohendeicher See einen Randalierer fest. © Privat

Seinen größter Fund machte er einst in einem Pokal. Schließlich kannte er solch eine Trophäe bestens aus seinem Fußballerleben. Lange spielte für zahlreiche Vereine der Region. Bei einer Wohnungsdurchsuchung schraubte er einfach mal am Boden herum. Tatsächlich fielen dann knapp 500 Gramm Kokain heraus, erinnert sich Matthias Lange, der bei Freunden und Fußballkumpels Matze genannt wird. Vor allem in seiner Zeit als Zivilfahnder war er aber auch als Blondie bekannt. Oder auch als BAC. Würde man Matthias Lange fragen, ist das eine Abkürzung für „Blondie aus Curslack“. Vielleicht habe es aber auch etwas mit seiner Lieblingsspirituose Bacardi zu tun, gibt er zu.

Ehefrau Imke war der große Rückhalt und eine Vertrauensperson im Ort

Auch wenn er die Unabhängigkeit als Zivilfahnder sehr geschätzt habe, gab es gar keinen Zweifel daran, im Jahr 2005 seinen absoluten Wunschposten zu übernehmen: Er wurde Dorfsheriff von Curslack und Neuengamme. Nach seiner Zeit als Zivilfahnder als Polizeiposten wieder uniformiert zu sein, sei eine Umstellung gewesen. Schließlich war er dann wieder von Weitem als Polizist zu erkennen. Sich daran wieder zu gewöhnen, habe etwa ein Jahr gedauert, resümiert Lange.

Matthias Lange in seinem Büro: Zu Pfingsten soll der Posten geräumt sein.
Matthias Lange in seinem Büro: Zu Pfingsten soll der Posten geräumt sein. © Lena Diekmann

Vom Haus seiner Familie am Curslacker Deich 165a rückte er zu Einsätzen aus, bearbeitete Anzeigen und empfing Bürgerinnen und Bürger in seinem Büro im Erdgeschoss. Wenn er allerdings gerade nicht auf seinem Posten war, dann kam es schon mal vor, dass seine Frau Imke die Tür öffnete oder ans Telefon ging. „Den Job hätte ich so nie machen können ohne meine Frau“, betont Matthias Lange. Auch beim Einkaufen habe sie sich so manche Geschichte anhören müssen. „Als Frau vom Dorfsheriff war sie eben auch eine Vertrauensperson im Ort“, stellt Matthias Lange fest.

Konflikte löste er auch gern auf unkonventionelle Weise

Auch musste sie auf ihren Mann häufig verzichten, wenn der an seinem Geburtstag alljährlich die Feierlichkeiten zum Kriegsende in der KZ-Gedenkstätte begleitete, anstatt mit Frau, Söhnen und später auch Enkeln an der gedeckten Kuchentafel zu sitzen. „Die Familie hat meinen Job mitgetragen“, betont Matthias Lange. Denn der Job eines Dorfsheriffs ist keiner, der mit dem Feierabend endet. Den Satz „Wo ich dich gerade sehe, kannst du mal eben...“, habe er wohl unzählige Male von Bürgerinnen und Bürgern gehört, die er gerade zufällig auf der Straße getroffen hatte. Einkaufen geht er daher schon lange nicht mehr: Schließlich könnte das dann schon mal Stunden dauern.

Matthias Lange hatte kein Problem damit, auch außerhalb der Dienstzeit tätig zu werden. Konflikte löste er gern auch auf unkonventionelle Art, gab Hilfestellung, um zwischenmenschlich eine Lösung zu finden. Dadurch habe er sich in all den Jahre ein großes Netzwerk aufgebaut, sind allein in seinem Handy heute an die 1000 Kontakte gespeichert. Was ihn allerdings gestört habe, waren die vielen Streitigkeiten unter Nachbarn, zu denen er gerufen wurde mit der Erwartung, das zu regeln. Und womöglich der einen Seite Recht und der anderen Schuld zu geben. „Und dann wurde sich auch noch beschwert, wenn man das nicht nach der Vorstellung abgearbeitet hat“, erklärt Matthias Lange.

Obdachlosen vor dem Ertrinken in der Elbe gerettet

Das kann das Fazit seiner Berufszeit aber keinesfalls trüben: „Ansonsten war es der geilste Job der Welt“ , sagt der 60-Jährige. Vor allem die jährliche Begleitung der großen Festivitäten, wie Erdbeerfest, Schützenfest oder Erntedankfest hätten ihm viel Spaß gemacht. Auch zur KZ-Gedenkstätte Neuengamme, die während seiner Postenzeit entstanden ist, pflege er eine enge Beziehung.

Echter Lebensretter: Am Kraueler Hauptdeich rettete Matthias Lange vor fünf Jahren einen obdachlosen Mann aus der Elbe, der dort gecampt hatte und von der Flut überrascht worden war.
Echter Lebensretter: Am Kraueler Hauptdeich rettete Matthias Lange vor fünf Jahren einen obdachlosen Mann aus der Elbe, der dort gecampt hatte und von der Flut überrascht worden war. © Florian Büh

Doch wo viel Licht ist, da ist auch Schatten: Vor fünf Jahren konnte er einen Obdachlosen durch sein beherztes Eingreifen gerade noch vor dem Ertrinken in der Elbe retten. Viele andere Einsätze gingen leider wesentlicher tragischer aus: Wie gleich zu Beginn seiner Zeit als Dorfsheriff, als ein Teenager bei Altengamme in der Elbe ertrank. Oder ein 34-Jähriger im Oktober 2018 am Jean-Dolidier-Weg mit dem Auto gegen einen Baum raste und seine ehemalige Lebensgefährtin mit in den Tod nahm. Familien und Angehörige nach plötzlichen Todesfällen zu benachrichtigen und zu betreuen, sei keinesfalls leicht gewesen, da habe er viel Leid gesehen. Doch das habe eben genauso zu seiner Aufgabe als Dorfsheriff gehört, stellt Lange fest.

Mit der Frau am Mittelmeer entspannen und dann einen Minijob

Auch wenn seine Dienstzeit Ende Mai offiziell zu Ende geht, hat er sich bereits in den Resturlaub und somit aus dem aktiven Dienst verabschiedet. Zu Pfingsten soll sein Postenbüro am Curslacker Deich dann komplett geräumt sein, prognostiziert Lange. Wenn der Raum dann renoviert ist, soll daraus ein Büro und Gästezimmer werden, verrät er. Es gibt also einiges zu tun im Haus und auch Garten, weiß der 60-Jährige. Schließlich sei in den vergangenen Jahren viel liegen geblieben. Dem will er sich in den kommenden Monaten nun verstärkt widmen und sich erstmal aus dem Dorfleben zurückziehen.

Das sei für ihn notwendig, um nach 18 Jahren als Dorfsheriff Abstand zu finden und auch um seinem Nachfolger das Feld zu überlassen. „Der kann das sehr gut“, ist Lange überzeugt. Bei größeren Festivitäten, wie Erntedankumzug, Schützenfest und auch Laternenumzug war Oberkommissar Zbigniew Zodel im vergangenen Jahr stets an Langes Seite und lernte sein künftiges Revier dabei bereits bestens kennen.

Matthias Lange und seine Frau lockt nun auch der Süden, ab in den Flieger ans Mittelmeer und einfach mal abschalten. Auf die faule Haut wird er sich im Ruhestand nämlich keinesfalls dauerhaft legen, sondern sich einen Minijob suchen – und auch mal wieder einkaufen gehen: „Wenn meine Frau mich lässt“, sagt Lange mit einem Augenzwinkern.