Hamburg. Trotz Pandemie und Inflation waren die Auftragsbücher des Ateliers Hempel voll. Die Arbeit führte die Schwestern auch ins Ausland.
„Kunstverglasungen stehen hinten an, wenn das Geld knapp ist“, das ist den Schwestern Corinna (52) und Manuela Hempel (62) klar. Dennoch hat ihr Glaskunst-Atelier Hempel am Achterschlag in Curslack ein erfolgreiches Jahr hinter sich. „Wir hatten neben Routine-Jobs besonders viele schöne Aufträge“, sagt Corinna Hempel. Jeder für sich war eine Herausforderung: Unter anderem gestaltete das Atelier bleiverglaste Fenster für eine Villa in Bielefeld und zwei Jugendstil-Wohnhäuser in der Hamburger Innenstadt. Darüber hinaus fertigten sie neue Fenster für einen Kunden in Straßburg an – „nach Jugendstil-Fenster-Entwürfen von dessen Großvater, der auch Kunstglaser war“, sagt Corinna Hempel.
Glaskunst-Atelier Hempel gestaltet und restauriert
Die gelernte Glasmalerin und Kunstglaserin hat das Unternehmen im Jahr 2001 von ihrem Vater Adolf Hempel übernommen. Die Arbeit in dem Atelier ist vielfältig: Die Schwestern verzieren Fenster mit Malerei und/oder fassen kleine Scheiben in Blei. Bei Restaurierungen werden fehlende Teile alter, großer Fenster durch Glas ersetzt, das manchmal auch häufig schon mehr als 100 Jahre alt ist.
Die Kunst bestehe darin, die dazugekommenen Elemente so zu gestalten, dass sie nicht oder nur schwer als „neu“ zu erkennen sind. Restaurierungen alter Fenster machten in 2022 etwa die Hälfte der Aufträge aus. Die anderen Hälfte bestand aus Neuanfertigungen fehlender Fenster-Elemente.
Aufträge in Bielefeld und Frankreich
In den vergangenen vier Monaten arbeiteten die Glaskünstlerinnen für Privatleute, die eine denkmalgeschützte Villa von 1910 in Bielefeld besitzen: Die bleiverglasten Fenster im Wintergarten wurden im Zweiten Weltkrieg von der Druckwelle einer Bombe, die auf dem Nachbargrundstück explodierte, zu einem großen Teil zerstört.
Die Expertinnen aus Curslack haben das einfache Fensterglas, mit denen die zerstörten Scheiben damals ersetzt worden sind, entfernt und durch Bleiverglasungen ersetzt. „Das war sehr aufwendig, weil es um zwölf große Bleiverglasungen mit Tausenden kleiner Scheiben mit mundgeblasenen Butzen ging“, sagt Corinna Hempel.
Altbestände von Kunstglasern im Lager
Bei Butzen handelt es sich um flüssige Glasmasse, die mit einer Glasmacherpfeife zu Kugeln aufgeblasen und anschließend geglättet wird. Durch die in Blei gefassten Butzen entstehe eine spezielle, plastisch wirkende Optik. „Die Butzen kaufen wir zu, wie auch das Blei und das Glas. Das Material wird dann von uns verarbeitet“, sagt Manuela Hempel. Weil Butzen selten nachgefragt werden, seien sie schwer zu beschaffen.
„Wir hatten mehrere Hundert in unserem Bestand. Sie sind mehr als 100 Jahre alt. Vom Alter und auch von den Farben her passten sie genau zu den bleiverglasten Fenstern in dem Wintergarten“, sagt Manuela Hempel. Ihr Vater habe früher oft Altbestände von Kunstglasern aufgekauft, von dem Materiallager würden sie und ihre Schwester immer wieder profitieren. „Von 408 in Bielefeld benötigten Butzen mussten wir nur 40 zukaufen“, sagt die 62-Jährige.
Großauftrag in Hamburg dauerte ein knappes Jahr
Einen weiteren Großauftrag bescherte ihnen die Eigentümergemeinschaft zweier denkmalgeschützter Jugendstil-Wohnhäuser in der Hamburger Innenstadt: Zehn jeweils etwa sechs Quadratmeter große Fenster mit vielen Glasmalerei- und Bleiverglasung-Elementen mussten rekonstruiert und neu angefertigt, andere Elemente instand gesetzt werden. Die Arbeiten der Curslacker Spezialfirma dauerten von Juni 2021 bis Mai 2022.
In dem großen Materiallager befände sich viel altes und neues Glas, größtenteils mundgeblasene und handgefertigte Gläser, betonen die Schwestern. Das mundgeblasene Glas, sogenanntes Echtantik-Glas, werde in Deutschland nur noch von einem Unternehmen produziert, „von einer Glashütte im Bayerischen Wald“, weiß Corinna Hempel.
Restaurierungen mit Originalglas
Ihr Vater habe unter anderem Bestände aus seinem 1724 gegründeten Lehrbetrieb Kröplin und Sohn in Hamburg aufgekauft, als die Firma Mitte der 70er-Jahre geschlossen wurde. Corinna Hempel: „Der Vater des Chefs unseres Vaters, Herr Kröplin senior, war 1900 in Amerika, um dort Opalglas zu kaufen. Das kommt uns heute noch zugute.“ Das Schöne an den Restaurierungen mit dem alten Originalglas sei, dass die Nachbesserungen hinterher nicht zu sehen seien.
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Ein weiterer Kunde lebt in Straßburg (Frankreich). „Sein Großvater hat ihm Entwürfe für Jugendstil-Fenster hinterlassen. Nach dreien dieser Entwürfe hat sich der Kunde von uns Fenster anfertigen lassen“, sagt Corinna Hempel. „Er wollte alte Opal-Gläser haben. Zum Glück haben wir auch die im Bestand.“ Eine Spedition beförderte die Fenster aus Curslack nach Straßburg, wo sie von einem Tischler eingebaut worden sind. „Solche Neuanfertigungen aus der Jugendstil-Zeit, sogenanntes Tiffany-Glas, machen wir eher selten“, sagt die 52-Jährige.
Viele Aufträge im kommenden Jahr
Adolf Hempel hatte sich 1976 selbstständig gemacht und das Glaskunst-Atelier gegründet. Corinna Hempel arbeitet seit 30 Jahren in dem Unternehmen. Ihre Schwester, Glas- und Porzellanmalerin, fing in dem väterlichen Betrieb bereits 1977 an, blieb dem Familienunternehmen allerdings zwischendurch 16 Jahre lang fern. Damals betrieb sie eine eigene kleine Glaskunst-Werkstatt in Lohbrügge. Die Schwestern werden von zwei Aushilfen unterstützt, die auch auf den Baustellen tätig sind.
Auch der Ausblick auf das kommende Jahr sieht gut aus. Es gebe bereits Anfragen für größere Projekte, darunter eine Hamburger Kirche, berichten die Schwestern. Auch kleinere Aufträge gibt es. „Für Januar sind wir bereits fast ausgebucht“, sagt Corinna Hempel. In Krisenzeiten sei es aber alles andere als klar, dass die Auftragsbücher bis zum Jahresende voll sind, betonen die Fachfrauen. „Schließlich haben ein kaputtes Dach oder eine kaputte Heizung Vorrang“, sagt Manuela Hempel.