Hamburg. Das Korn wächst in Neuengamme, gemahlen wird in Kirchwerder – mehr Regionalität geht nicht. Was das neue Mehl noch auszeichnet.
Neben Toilettenpapier und Hefe war es das begehrteste Gut der Corona-Pandemie: Mehl. Doch wenn nicht gerade die Regale im Supermarkt leer gefegt sind, werde das Produkt und seine Entstehungsgeschichte oftmals verkannt, ist Birger Riechmann überzeugt. Das will er ändern und zwar mit einem Mehl, das von Anfang bis Ende in den Vierlanden hergestellt worden ist: Vom Anbau des Getreides über den Mahlgang in der Mühle bis zur Abfüllung in Beutel und Verkauf.
Für solch ein regionales Produkt musste unbedingt auch ein regionaler Name her: Die Entscheidung fiel auf „Spieker“. Dieser plattdeutsche Begriff für einen kleinen Speicher stelle eine schöne Verbindung zur Landwirtschaft und wiederum dem Endprodukt her, erklärt Birger Riechmann.
Gemahlen wird nur einen Windstoß von der Anbaufläche entfernt
Der gelernte Landwirt und studierte Agrarwissenschaftler, der bei Flensburg aufwuchs und mittlerweile in Hamburg lebt, hat 2020 auch das Projekt „Hamburg blüht“ initiiert. Gemeinsam mit fünf Landwirten aus den Vier- und Marschlanden werden seitdem in den Sommermonaten Flächen im Landgebiet zum Blühen gebracht. Dabei hat der 26-Jährige auch Bauer Matthias Steffens aus Neuengamme kennengelernt. Und der war auch von Riechmanns neuestem Herzensprojekt gleich angetan.
„Solch ein regionales Produkt zu unterstützen, ist etwas Tolles. Zugleich leisten wir einen Beitrag für den Klimaschutz, weil wir die Transportwege gering halten“, sagt Matthias Steffens. Angebaut und geerntet wurde der Weizen ausschließlich auf Flächen in Neuengamme.
Im nächsten Schritt musste eine Mühle her, die möglichst regional und gern auch traditionell arbeitet, erklärt Birger Riechmann. Die Suche gestaltete sich gar nicht so leicht, denn „die großen Mühlen der industriellen Hersteller wollen solch kleine Aufträge gar nicht, und leider wird der Markt genau von diesen beherrscht“, so Riechmann.
Die Lösung fand er schließlich nur einen Windstoß entfernt von den Anbauflächen des Weizens in der Riepenburger Mühle: „Besser hätte es gar nicht sein können. Sie ist nicht nur so regional wie erhofft, sondern auch noch mit viel mehr Tradition behaftet als ich es mir hätte ausmalen können“, stellt Birger Riechmann fest.
In der Riepenburger Mühle wird bereits seit 1318 gemahlen
Die Riepenburger Mühle ist nicht nur die älteste und größte Windmühle in Hamburg, sondern sogar der älteste Gewerbebetrieb der Stadt. Bereits seit 1318 wird an dem heutigen Standort am Kirchwerder Mühlendamm 75a Getreide vermahlen.
Bei Axel Strunge stieß Birger Riechmann mit seiner Idee auf offene Ohren, schließlich setzt sich der Vereinsvorsitzende der Riepenburger Mühle schon seit Jahrzehnten dafür ein, den Galerieholländer als produzierendes technisches Denkmal erlebbar zu machen. Komplett machte das Team dann Dennis Berger, der sich seit 2020 ehrenamtlich in der Mühle engagiert und in diesem Jahr seine Meisterprüfung als Müller abgelegt hat. „Er ist mit der traditionellen Technik vertraut und kann so bestes Mehl mahlen“, schwärmt Birger Riechmann.
Im November war es so weit: Die erste Charge von „Spieker“ wurde gemahlen. Allerdings nicht unter Wind. Dafür sei es in den vergangenen Wochen zu windstill gewesen, erklärt Axel Strunge. Für das Mahlen von Mehl brauche es zudem eine konstante Drehzahl, erläutert Dennis Berger. Die liefert die motorbetriebene Feinmühle, die in diesem Jahr im Zuge der umfangreichen Restaurierung eingebaut wurde. Der Verein hatte die Feinmühle aus den 1930er-Jahren von einem Müller aus dem Wendland gekauft, der sich zur Ruhe setzte – und über zwei Jahre restauriert.
Je höher die Type-Zahl, desto mehr Mineralstoffe sind enthalten
Etwa sechs Mahlgänge in etwa dreieinhalb Stunden brauchte es, bis 200 Kilogramm Weizen zu Vollkorn-Mehl vermahlen waren. „Es zeichnet sich dadurch aus, dass alle Teile des Korns im Mehl vorhanden sind – der Mehlkörper, der Keimling und die Schale“, erklärt Birger Riechmann.
Durch diese Zusammensetzung enthalte das Vollkornmehl die meisten Mineralstoffe und sei damit gesünder als andere Mehltypen. Der Hohe Ballaststoffgehalt sorge außerdem dafür, dass eine Sättigung länger anhält. „Das Besondere an dem Vollkornmehl ist, dass anders als bei vielen industriell hergestellten Mehlen alle Bestandteile aus den gleichen Körnern bestehen. Wir mischen nicht die Reste aus den niedrigeren Typen zusammen, sondern vermahlen in einem das gesamte Korn zu Mehl“, erklärt Müllermeister Dennis Berger.
Das echte Vollkornmehl ist bereits beim Vierländer Markt Niko Clausen (Neuengammer Hausdeich 215) sowie beim Hitscherberger Hof (Kirchwerder Hausdeich 124) für 2,49 Euro pro Kilogramm zu haben. Zudem kann es im Internet (www.hamburg-blueht.de/shop) bestellt und in der Hamburger Innenstadt abgeholt werden.
Weiteres Mehl von „Spieker“ kommt in diesen Tagen in den Handel
In diesen Tagen soll nun auch die zweite Sorte von „Spieker“ in die Regale kommen: Weizenmehl Type 1050. Anfang nächsten Jahres folgt dann Weizenmehl Type 812. Die Type-Zahl gibt Auskunft darüber, wie hoch der Mineralstoffgehalt pro 100 Gramm Mehl im Schnitt ist. Als Faustregel gilt: Je höher die Type-Zahl ist, desto mehr Vitamine, Mineral- und Ballaststoffe sind enthalten. Im weithin verbreiteten Weißmehl (Type 405) sind demnach noch 405 Milligramm Mineralstoffe pro 100 Gramm enthalten.
„Das Weizenmehl des Types 1050 ist der Klassiker zum Backen von Brot und Brötchen, speziell für dunkle Grau- und Mischbrote eignet es sich hervorragend“, erklärt Birger Riechmann. Daneben eigne es sich aber auch für pikante Kuchen und Quiches.
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„Das Weizenmehl des Types 812 ist in unserer Region nicht besonders verbreitet, dabei ist es eine hervorragende Alternative zum bekannten Type 405“, sagt der 26-Jährige, der in den vergangenen Monaten von Dennis Berger viel über Mehl gelernt hat. Das Weizenmehl ist etwas dunkler als das Weißmehl Type 405, weshalb es auch den Namen „halbweiß“ trägt. „Dunkler ist es weil es einen höheren Ausmahlungsgrad hat, damit enthält es mehr Mineralstoffe“, erklärt Riechmann. Weizenmehl des Types 812 sei ideal geeignet für dunkle Weizen- und helle Mischbrote als auch für herzhaftes Gebäck.
Neben den drei Weizenmehl-Sorten soll im kommenden Jahr auch Dinkelmehl folgen, kündigt Birger Riechmann an. Dafür hat Matthias Steffens im Oktober bereits erstmals Dinkel auf einem Hektar in Neuengamme ausgesät, im August soll es erntereif sein. „Auch wir probieren gern etwas Neues aus“, sagt Matthias Steffens.
Weitere Infos im Internet: www.spieker.hamburg