Hamburg. Corinna und Manuela Hempel arbeiten in einem vom Aussterben bedrohten Beruf. Das Atelier am Achterschlag wurde 1976.

Für Corinna Hempel ist 2020 das Jahr der runden Zahlen: Die 50 Jahre alte Glasmalerin und Kunstglaserin begann vor 30 Jahren mit ihrer ­Ausbildung und führt seit 20 Jahren den Betrieb, das Glaskunst-Atelier Hempel am Achterschlag 1 in Curslack. Damals, im Jahr 2000, ging ihr Vater in den Ruhestand.

Ihre ältere Schwester Manuela Hempel ist die zweite Kraft in dem Betrieb, der 1976 von Vater Adolf Hempel (85) gegründet worden ist. Manuela Hempel war bereits von Ende der 1970er- bis Ende der 1990er-Jahre im Atelier aktiv, ehe sich die Glas- und Porzellanmalerin zwischendurch 16 Jahre lang selbstständig machte. „Ich habe aber zwischendurch immer auch im Betrieb der Familie mitgearbeitet“, sagt die 60-Jährige.

Glasmalerinnen: Fenster in 17 Metern Höhe restauriert

Sie schätzt an ihrem Beruf besonders den kreativen Aspekt: „Jede unserer Arbeiten ist ein Unikat.“ Doch die Arbeit sei körperlich sehr anstrengend. „Wir müssen viel stehen, uns beugen und schweres Glas tragen.“ Ihre Schwester ergänzt, dass viel auf Leitern und Gerüsten gearbeitet werde, nicht selten gehe es 20 Meter hoch hinaus. „Man muss in diesem Beruf schwindelfrei sein.“

In diesem Jahr arbeitete die kleine Firma viel im Dom zu Verden an der Aller, restaurierte dort Fenster in 17 Metern Höhe. „Wir haben die Domkirche beidseitig eingerüstet und an den Fenstern von innen und außen gearbeitet“, berichtet Corinna Hempel. Fragmente der bis zu 170 Jahre alten Fenster wurden neu bemalt und neu verglast.

In der Vergangenheit arbeiteten die Spezialistinnen aus Curslack auch im Hamburger Rathaus und in der Handwerkskammer, zudem in verschiedenen Klostern, etwa in Ebstorf und Lüneburg. Auch für die Reinigung sehr alter Fenster würden die Profis engagiert. Manchmal arbeitet sie mit 500 Jahre alten Glasscheiben, sagt Corinna Hempel. Ob sie so eine schon mal fallenlassen hat? „Nein, zum Glück nicht. Aber der Gedanke ist da, sobald ich eine sehr alte Scheibe in der Hand halte.“

Bei anspruchsvollen Aufträgen mit im Boot

In dem Zwei-Frauen-Betrieb hilft gelegentlich ein freiberuflicher Glaser aus. Außerdem arbeiten die Hempel-Schwestern mit anderen Glasereien zusammen. Einige Betriebe in Hamburg würden auch Bleiverglasungen anfertigen, berichtet Corinna Hempel. Aber ihre Firma sei inzwischen die einzige in der Hansestadt, die die Glasmalerei beherrscht. Immer wieder werden die Hempels deshalb bei anspruchsvollen Aufträgen mit ins Boot geholt.

Bei Restaurierungen alter Fenster reproduzieren Corinna und Manuela Hempel Gläser. Die Neuanfertigungen werden dann originalgetreu nachgebildet. Andere Fensterbilder entstehen nach Vorlagen. Dann wird das Motiv – etwa ein Siegelring – auf Glas übertragen und das Glas rundherum in Blei eingefasst. „Wir arbeiten auch nach Entwürfen von Künstlern“, sagt Corinna Hempel.

„Heute lernen immer weniger junge Menschen diesen 1000 Jahre alten Beruf“, sagt die Atelier-­
Chefin. „Es ist ein aussterbender Beruf, wie es leider bei vielen anderen Gewerken im Kunsthandwerkbereich ebenfalls der Fall ist, etwa beim Schirmmacher oder Hutmacher.“

Kunst am Bau ist zur Seltenheit geworden

Als Vater Adolf Hempel Anfang der 1950er-Jahre das Handwerk des Glasmalers in einer großen Firma in St. Georg erlernte, war die Nachfrage noch groß: „Nach dem Krieg, in den 1950er- und 1960er-Jahren, wurden – nicht nur für Kirchen – massenhaft kunstvolle Fenster angefertigt“, sagt Corinna Hempel. Früher habe jedes Rathaus und jede Schule, die etwas auf sich hielten, in Blei gefasste und oft auch bemalte Fenster gehabt, betont die Kunsthandwerkerin. „Heute ist das anders, da gibt es ja auch kaum noch Kirchenneubauten.“ Kunst am Bau sei selten geworden. „Auch im privaten Bereich ist Glasmalerei aus der Mode gekommen. Bei Neubauten wird sie selten erwünscht.“

Bei alten Häusern würden kunstvolle Fenster jedoch oft erhalten. Bleiverglasung und ein individueller Look seien oft auch bei Innen- und Haustüren erwünscht.