Sie sind die Letzten ihres Gewerks. Die Serie über Handwerksberufe, die vom Aussterben bedroht sind. Heute: Glasmalerin Corinna Hempel.
Hamburg. Im gemächlichen Rhythmus der vorbeiziehenden Wolken erhellen bunte Lichtflecken den Boden der Kirche, sie leuchten gelb und blau, das Farbspiel lässt die Steine schillern wie eine Wasseroberfläche im Sonnenlicht. "Es ist faszinierend, wie die Wirkung von bunten Glasfenstern mit den Jahreszeiten und dem Lichteinfall wechselt", sagt Corinna Hempel, als sie auf einer Leiter am bunten Fenster der herrlichen Dreieinigkeitskirche Allermöhe die Bleieinfassungen der Scheiben ausbessert.
Licht und Farbe haben die Hamburgerin vor 21 Jahren mit dazu bewogen, den Beruf der Glasmalerin zu erlernen. Denn schöne Scheiben hat die zierliche Frau schon im Grundschulalter im Atelier ihres Vaters bewundert, der sich 1976 als Glasmaler selbstständig gemacht hatte. So selten war der Beruf schon vor 20 Jahren, dass die Tochter bei ihrem Vater in die Lehre ging. Zur Prüfung musste sie bis nach Köln fahren. Auch ihre Schwester Manuela erlernte den Beruf, ist aber inzwischen wegen gesundheitlicher Probleme nur noch selten im Atelier. Heute kann man die Glasmaler ganz Norddeutschlands an einer Hand abzählen. Auch wegen der überschaubaren Konkurrenz reicht die Arbeit, die früher praktisch die ganze Familie ernährt hat, für Corinna Hempel noch zum Leben.
Allerdings waren die Zeiten für das mehr als 1000 Jahre alte Gewerbe schon einmal besser. "Es werden keine neuen Kirchen mehr gebaut, und in der modernen Architektur spielen Glasfenster leider keine Rolle mehr", sagt die Liebhaberin alter Möbel - ihr kleines Haus in Neuengamme hat sie mit Einzelstücken aus den 50er-Jahren eingerichtet.
Auch dank der generationenübergreifenden Erfahrung der Familie Hempel hat die Werkstatt bereits etliche Fenster berühmter Bauwerke in der Hansestadt gestaltet. Corinna Hempel arbeitete in der St.-Marien-Kirche, fertigte die Porträtfenster im Bürgermeisteramtszimmer des Rathauses und restaurierte die von der Künstlerin Elisabeth Coesner gestalteten Fenster in der Hauptkirche St. Nikolai.
"70 bis 80 Prozent der Aufträge kommen von der öffentlichen Hand", sagt Corinna Hempel. Die wenigen privaten Auftraggeber sitzen häufig in Eppendorf oder Winterhude und lassen die Fenster ihrer Treppenhäuser im Jugendstil erneuern.
Dabei vereint der Beruf der Glasmalerin Handwerk und Kunst. Corinna Hempel bessert die Bleieinfassungen alter, undichter Fenster aus, steht dabei auf teilweise 20 Meter hohen Gerüsten und leistet damit auch körperlich anstrengende Arbeit. Sie malt aber auch feine Figuren auf Fensterbildern, dann ist sie ganz Künstlerin. "Altes bewahren" gehört dann zu ihren Aufgaben, und um das Originaldekor eines Fensters wiederherstellen zu können, stöbert Corinna Hempel durch die Archive von Museen und blättert tagelang durch antiquarische Bücher. Nach monatelanger Suche hat sie im Staatsarchiv und im Museum für Hamburgische Geschichte Beschreibungen und historische Fotoplatten aus dem Jahr 1896 gefunden. "Anhand dieser Vorlage konnte ich dann die Porträtfenster im Rathaus mit den Bürgermeistern Mönckeberg, Versmann und Lehmann wieder rekonstruieren", sagt die Kunstglaserin.
Derzeit arbeitet sie an einem im Krieg zerstörten Jugendstilfenster in der Handwerkskammer, das die Berufe wie Bäcker oder Schlachter mit ihren Werkzeugen zeigt. Allerdings möbelt die Künstlerin nicht nur alte Fenster auf: Beim Bauern in ihrer Nachbarschaft wartet auch noch ihr alter Karmann Ghia darauf, wieder flottgemacht zu werden: Die Künstlerin hat nicht nur ein Händchen für Fenster, sondern auch für Oldtimer.