Hamburg. Neben dem Claßen-Hof stehen weitere städtische Bauernhäuser seit Jahren leer. Anwohner sind verärgert und werfen der Stadt Taktik vor.
Den sogenannten Claßen-Hof kennt so ziemlich jeder im Dorf Billwerder. Er liegt am Billwerder Billdeich 544, besteht aus einem 1886 erbauten Haus und einer reetgedeckten, hölzernen Scheune, die bereits um 1750 gebaut worden ist, berichtet Rainer Stubbe. Der 60-Jährige lebt einige Hundert Meter weiter an derselben Straße – und ärgert sich jedes Mal, wenn er am Claßen-Hof vorbeikommt, über den Leerstand.
„Haus und Scheune stehen seit fünf Jahren leer und verfallen“, sagt er. Das Grundstück mitsamt dem Hof gehört der Stadt Hamburg, wird vom Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG, Finanzbehörde) verwaltet.
Hamburg erklärt Leerstand mit Planung für Oberbillwerder
Das Gründerzeithaus ist laut Stubbe 1886 von Hermann Claßen gebaut worden. Bis vor fünf Jahren sei die Immobilie von dessen Nachfahren bewohnt worden. Das Haus gehöre seit 1910 der Stadt Hamburg. Stallungen in einem Anbau der mehr als 270 Jahre alte Scheune sowie Weideflächen würden nach wie vor an Pferdehalter verpachtet.
Das Gebäude steht seit dem 1. Januar 2018 leer, bestätigt Claas Ricker, Sprecher der Finanzbehörde. „Aufgrund der Planungen für die Anbindung des neuen Stadtteils Oberbillwerder wurde die Prüfung der weiteren Verwertung zunächst zurückgestellt“, teilt Ricker mit. Um eine Verwahrlosung einzudämmen, werde das Gebäude weiterhin beheizt, gebe es monatliche Kontrollbegehungen, „um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten“.
Stadt lehnt Pläne für Restaurant auf dem Bauernhof ab
„Die Stadt lässt den Hof verwahrlosen“, kritisiert Stubbe. Er wisse aus verlässlicher Quelle von Wasser im Keller, von der Decke fallendem Stuck und von nicht mehr vorhandenen Heizungsrohren aus Kupfer. „Die haben Einbrecher gestohlen.“ Als die Dorfgemeinschaft Billwärder, zu deren Vorstand Stubbe zählt, sich beim Bergedorfer Bezirksamt nach dem Zustand des Hauses erkundigte, habe es geheißen, dass man nichts von einem Leerstand wisse, berichtet Stubbe.
Schon vor fünf Jahren, als die letzten Pächter der Familie Claßen ausgezogen waren, hätten sich Interessenten für das Haus bei der Stadt gemeldet, weiß Stubbe: „Sie wollten dort ein Restaurant eröffnen, doch die Stadt hat abgelehnt.“ Damals habe es an öffentlichen Infoabenden zur Zukunft von Billwerder geheißen, dass dort – mit Blick auf den geplanten, neuen Stadtteil Oberbillwerder – ein Bauernhof für Kinder entstehen soll.
15 Interessenten in den vergangenen fünf Jahren für das Haus
„So hat es damals die heutige Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein mitgeteilt. Aber Oberbillwerder wird es doch erst 2040 geben. Soll das Haus so lange leer stehen?“, fragt sich Stubbe. Ricker: „Erst im September 2021 wurde die Entbehrlichkeit der Flächen für Oberbillwerder seitens des Bezirksamtes mitgeteilt. Konkrete Planungen für die weitere Verwertung der Gebäude werden grundsätzlich gemeinsam mit dem Bezirk vorbereitet und abgestimmt.“
In den vergangenen fünf Jahren seien 15 Interessenten-Meldungen bei der Stadt eingegangen, darunter auch die eines Konzeptes für eine Erlebnisbauernhof-Kindertagesstätte, teilt Ricker mit. Der LIG prüfe gemeinsam mit dem Bezirksamt „mögliche genehmigungsfähige Nutzungsvarianten mit dem Ziel einer gemeinsam abgestimmten Ausschreibung, die eine immobilienwirtschaftliche Weiternutzung ermöglicht“. Im jetzigen Zustand und ohne Sanierungen sei das Gebäude allerdings nicht vermietbar.
In seinem Café wird Stubbe oft auf den Claßen-Hof angesprochen
Immer wieder werde der 60-Jährige, der auf seinem Hof Neun Linden ein Café betreibt, von Kunden auf das unbewohnte Claßen-Haus angesprochen. Stubbe. „Viele sagen mir, dass sie es gern kaufen würden.“ Dass die Stadt scheinbar langfristig Pläne für die Nutzung des Hofes habe, müsse doch nicht bedeuten, dass die Gebäude jahrzehntelang ungenutzt bleiben, meint Stubbe, der auf die große Wohnungsnot und die fehlenden Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete, unter anderem aus der Ukraine, verweist. Das Objekt sei bereits mehrfach für die kurzfristige Unterbringung für Flüchtlinge vorgeschlagen worden, berichtet der Sprecher der Finanzbehörde: „Es wurde als ungeeignet abgelehnt.“
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In ganz Hamburg gebe es viele Bauernhöfe im Besitz der Stadt, die unter anderem an Landwirte und Pferdehalter verpachtet sind, sagt Stubbe. Einige lasse die Stadt allerdings leer stehen und verwahrlosen, kritisiert der studierte Landschaftsplaner. So gebe es neben dem Claßen-Hof beispielsweise auch ein Bauernhaus am Billwerder Billdeich 98, nahe dem Glockenhaus der Kirchengemeinde, das die Stadt laut Stubbe ebenfalls verfallen lasse.
Stubbe unterstellt der Stadt System: Verfall, Abriss und teurer Verkauf
„Das Gebäude steht seit 1. Januar 2017 leer und ist aufgrund fehlender Heizung, veralteter Elektrik und Leitungssysteme nicht bewohnbar“, sagt Ricker und fügt hinzu: „LIG und Bezirksamt stehen zwecks Entwicklungsperspektive zu Leerständen städtischer Gebäude im Austausch.“ Derzeit würden 45 Pachthofverträge mit Hofstelle vom LIG betreut, teilt Ricker mit. Davon stünden fünf Pachthöfe leer. Bei vier Pachthöfen stehe die weitere Nutzungs- bzw Entwicklungsperspektive noch nicht fest.
„Passiert nichts, weil die Behörden unwissend sind und ihre Mühlen langsam mahlen?“, fragt Stubbe. Er sei sich da nicht so sicher – und habe Angst, dass die Stadt das aussitze und die Häuser verfallen lasse, um sie schließlich abreißen zu lassen und die Grundstücke teuer verkaufen zu können, sagt der Diplom-Landespfleger.