Hamburg. Fachleute der Jugendhilfe fordern mehr staatliche Unterstützung. In Bergedorf steigen die Fallzahlen für die ambulante Erziehungshilfe.
„Das reicht nicht. Dem können wir nur unter Protest zustimmen“, ereiferte sich Dennis Gladiator (CDU) jüngst im Bergedorfer Jugendhilfe-Ausschuss. Dessen Mitglieder hatten, wie stets am Jahresende, über die Rahmenzuweisungen für die regionale Kinder- und Jugendhilfe abzustimmen. 2,4 Millionen Euro sollen an 19 Bergedorfer Einrichtungen fließen, die sich der offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) widmen. Darunter sind Jugendzentren, Mädchentreffs und die Straßensozialarbeit in Neuallermöhe.
Da angesichts der Hamburger Haushaltslage kein Träger ernsthaft zusätzliches Geld erhofft hatte, war das Thema schnell abgehandelt – wenn da nicht noch ein Hinweis auf andere Zahlen wäre: Die um ein Vielfaches teureren Hilfen zu Erziehung explodieren. Allein im Bezirk Bergedorf stieg die Zahl von 380 auf 467 ambulante Fälle im vergangenen Jahr – „wir rechnen mit einer weiteren Steigerung“, so Rathaussprecher Lennart Hellmessen. Zusammen mit den stationären Hilfen hat der Bezirk in diesem Jahr 35,8 Millionen Euro ausgegeben, im Vorjahr waren es noch 31,4 Millionen Euro.
Lieber offene Jugendarbeit stärken als teure Einzelfallhilfen
Aktuell hatte sich dazu Ende November auch das Statistikamt Nord gemeldet: „In Hamburg sind im Jahr 2023 öffentliche Mittel in Höhe von 1,73 Milliarden Euro für die Kinder- und Jugendhilfe aufgewendet worden. Das sind neun Prozent mehr als im Vorjahr“, so die Statistiker. Und ein Großteil davon sei eben in die Hilfen zur Erziehung geflossen, dazu zählen Plätze in Heimen oder Pflegefamilien, die Erziehungsberatung und sozialpädagogische Familienhilfe. Dieser Posten verschlang mit 435 Millionen Euro hamburgweit genau ein Viertel aller Mittel, genau 25 Prozent.
„Die Bergedorfer OKJA braucht mindestens eine Million Euro mehr. Denn alles, was sie nicht abfängt, verlangt später die teuren Einzelfallhilfen“, mahnt Dennis Gladiator. Er ist davon überzeugt, dass „präventive Jugendarbeit teure Heimplätze ersparen kann“. Bei den Haushaltsberatungen will er in diesem Bereich also „dringend nachsteuern“. Denn es liege doch offensichtlich auf der Hand, dass „die Antragssummen sich an die Realität des Haushalts anpassen und nicht an die Bedürfnisse der Jugendlichen“.
Der Bedarf wachse immens, bestätigt auch Ina Achilles im Namen des Vereins Sprungbrett, der in Neuallermöhe das Kinder- und Familienhilfezentrum leitet: „Wir brauchen viel mehr Beratungskapazitäten. Dabei reden wir über Peanuts im Präventionsbereich der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Unterdessen wird woanders, nämlich bei den stationären Hilfen in Heimen, viel Geld verbrannt. So eine Einzelfallhilfe kostet ja schnell mal 10.000 Euro und mehr.“
Wohlfahrtsverbände fordern bessere Austattung
Man sollte „lieber präventiv investieren“, betont auch Carolin Becker, die Referentin für Kinder- und Jugendhilfe beim Paritätischen Wohlfahrtsverband in Hamburg: „Es ist dramatisch, wenn es keine Alternative zum Zuhause gibt. Aber auch Kinder aus Heimen sind auf gut ausgestattete Jugendzentren angewiesen.“
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Zugleich wachse die Not, all die „massiv schwierigen“ Kinder und Jugendlichen unterzubringen, die aus ihren Familien herausgenommen werden mussten: „Das sind die Kinder, denen es am Schlechtesten geht, weil in ihren Familien Schlimmes passiert ist.“ Der Bedarf steige seit Jahren, so Becker, „aber alle Wohnplätze sind über-ausgelastet“. Der Staat müsse schlichtweg mehr Geld in die Hand nehmen, nicht zuletzt, weil es an Personal fehlt: „Bei Nachtdiensten müssen die Fachkräfte zu zweit Dienst haben. Und tagsüber betreut oft nur ein Sozialpädagoge neun bis zehn Kinder. Da bleibt keine Zeit, mit einem einzelnen Kind mal zum Arzt zu gehen oder zur Psychotherapie.“