Hamburg. In dem Haus an der Chrysanderstraße lebte einst ein Nazi-Arzt, heute bröckelt es vor sich hin. Doch es gibt Zweifel an der Sanierung.

Seit fast acht Jahren steht die Villa im Schweizerstil an der Chrysanderstraße 32 in Bergedorf schon leer. An der Fassade zeigt sich der Verfall, Risse durchziehen den Putz. Im Dezember 2023 forderte die Bezirksversammlung die Behörden zum Handeln auf: Der Leerstand sollte angesichts des knappen Hamburger Wohnungsmarktes entschieden bekämpft, die Eigentümer mithilfe des Hamburger Wohnraumschutzgesetzes unter Druck gesetzt werden. Das Bezirksamt verkündet jetzt auf Nachfrage der Bergedorfer Zeitung Fortschritte.

Die Hausverwaltung stehe in „kontinuierlichem Kontakt mit verschiedenen Fachbetrieben und Bauunternehmen, um die Sanierung des Gebäudes zu planen und durchzuführen“, berichtet Bezirkssprecher Lennart Hellmessen. Damit soll das historische Gebäude gerettet werden – in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gingen dort zunächst jüdische Künstlerinnen und Intellektuelle ein und aus, bevor ein berüchtigter Nazi-Arzt in die Villa einzog. Ein Sanierungskonzept liege dem Hamburger Denkmalschutzamt vor, das Genehmigungsverfahren werde derzeit abgestimmt.

Historische Villa an der Chrysanderstraße soll saniert werden

„Zudem hat der Verfügungsberechtigte die Wiederherstellung des Stromanschlusses beauftragt. Ebenfalls wurde der Wasseranschluss des Gebäudes zwischenzeitlich reaktiviert“, so Hellmessen weiter. Die Hausverwaltung muss dem Bezirksamt regelmäßig über den Fortschritt berichten und belegen, dass es vorangeht. Ansonsten könnten Bußgelder verhängt werden. Das Ziel: Am Ende soll die marode Villa wieder bewohnbar sein.

Für FDP-Politiker Geerd Dahms sind sind diese Ankündigungen Augenwischerei. Der Denkmalschutzexperte hat das Objekt schon länger im Blick und kann nicht erkennen, dass die aus seiner Sicht notwendigen Maßnahmen durchgeführt werden. „Das Haus verrottet und zerfällt von außen“, sagt Dahms gegenüber der Bergedorfer Zeitung. Seiner Einschätzung müsse das Gebäude möglichst schnell eingerüstet werden, Putz und Gesims restauriert. „Wasseranschluss und Strom nützen da nichts“, sagt Dahms.

Denkmalexperte Geerd Dahms sieht das Haus in akuter Gefahr

Die Risse in der Fassade seien von außen deutlich zu erkennen. Dahms Befürchtung: Regenwasser könnte in die Spalten eindringen und dann gefrieren: „Dann platzt da alles ab. Als nächstes fallen Teile des Gesimses in Richtung Augustaberg“, so der Denkmalsachverständige. Nach Meinung des FDP-Politikers lassen sich Bezirksamt und Denkmalschutzamt von der Hausverwaltung hinhalten.

Die Experten in der Hamburger Denkmalbehörde hatten noch im Februar gegenüber der Bergedorfer Zeitung betont, dass sie die Villa auf dem Augustaberg nicht für akut gefährdet halten. Ein direktes Eingreifen des Denkmalschutzamtes sei deswegen nicht erforderlich gewesen. Die Hausverwaltung OZC hatte damals versprochen, dass bald Renovierungsmaßnahmen eingeleitet werden sollen. Anschließend solle das Haus verkauft werden. Auf eine erneute Anfrage der Bergedorfer Zeitung reagierte OZC bisher nicht. Die genaue Identität der Eigentümer ist unbekannt. Es soll sich um chinesische Investoren handeln.

An der Chrysanderstraße lebte der Nazi-Arzt Heinrich Haselmayer

Zur Zeit der Weimarer Republik lebte der Augenarzt Arnold Burk mit seiner Frau Lotte und den gemeinsamen Kindern in der 1870 erbauten Villa. Das herrschaftliche Anwesen war ein Treffpunkt für Hamburger Künstler. So war die avantgardistische Malerin Anita Rée eine enge Freundin von Lotte Burk. Ihre Bilder hängen bis heute in der Hamburger Kunsthalle. Rée war Jüdin und nahm sich im Dezember 1933 angesichts der immer antisemitischer werdenden Stimmung in Deutschland das Leben.

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Familie Burk zog zu Beginn des Zweiten Weltkriegs nach Uhlenhorst und vermietete die weiße Villa an den Schwiegersohn der Nachbarn, den Arzt Heinrich Haselmayer. Politisch wehte damit ein anderer Wind an der Chrysanderstraße 32 – denn Haselmayer war ein strammer Nazi der ersten Stunde. Er war am gescheiterten Putsch von Adolf Hitler im Jahr 1923 beteiligt und im „Kampfbund deutsche Kultur“ tätig. Als der Mediziner nach Bergedorf zog, hatte er seine Karriere in der Partei allerdings schon durch betrunkene Eskapaden ruiniert. In dem historischen Haus praktizierte er als Arzt im Sinne des Regimes. Seine Dissertation hatte Haselmayer über „Die Notwendigkeit der Sterilisation Schwachsinniger“ geschrieben.

Nachdem Familie Burk das Haus nach dem Krieg verkaufte, sollte die Villa mit ihren 281 Quadratmetern Wohnfläche eigentlich abgerissen werden – wurde aber unter Denkmalschutz gestellt. Immer wieder wurde das Haus zum Verkauf angeboten, zuletzt für 2,25 Millionen Euro bei immobilienscout24.de.