Hamburg. Die Nachfahren der früheren Besitzer wollen das Haus in Bergedorf retten, wegen seiner Geschichte. Und die hat ein schauriges Kapitel.

Die weiße Villa im Schweizerstil thront über der Chrysanderstraße in Bergedorf. Als „Entrée zum Villenviertel“ bezeichnete FDP-Politikerin Sonja Jacobsen das Bauwerk mit den geschnitzten Giebeln im Dezember 2023. Doch das Gebäude steht seit sieben Jahren leer und bröckelt seitdem vor sich hin. Im Dezember des vergangenen Jahres forderte die Bezirksversammlung die Eigentümer auf, die Villa möglichst schnell wieder in einen bewohnbaren Zustand zu versetzen. Auch den Nachfahren der ursprünglichen Besitzer ist das Schicksal des Anwesens nicht entgangen. Ihr Wunsch: Das denkmalgeschützte Haus soll renoviert und dann der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.

Roland Inglis ist der Witwer der Enkelin der ursprünglichen Eigentümer Arnold und Lotte Burk. Inglis lebt mittlerweile in Hessen, doch er verfolgt das Schicksal der Villa aus der Ferne und steht in Kontakt mit den beiden verbliebenen Enkeln des Ehepaars Burk. Im Gespräch mit der Bergedorfer Zeitung betont er: „Es ist nicht nur ein altes Gemäuer.“ Die historische Bedeutung des Hauses sei enorm. Inglis kann sich deswegen vorstellen, dass in den alten Mauern eine Gedenkstätte, ein Archiv oder ein Schulungszentrum einer Stiftung angesiedelt werden könne. Denn die Chrysanderstraße 32 hat eine bewegte Geschichte, die in ein finsteres Kapitel der deutschen Vergangenheit führt.

Villa in Bergedorf war Treffpunkt die Künstler der Hamburgischen Sezession

Solange Augenarzt Arnold Burk mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern in der 1870 erbauten Villa leben, ist das Haus in der Weimarer Republik ein Treffpunkt für die Künstler der Hamburgischen Sezession. Die Malerinnen Alexandra Povorina, Gretchen Wohlwill und Anita Rée gehen in der Chrysanderstraße 32 ein und aus. „Anita Rée war eine sehr enge Freundin von Lotte Burk“, sagt Inglis. Die avantgardistische jüdische Künstlerin malt und zeichnet bei ihren Besuchen und verschenkt viele der Werke an die Familie Burk.

Arnold und Lotte Burk mit ihren Söhnen im Garten der Chrysanderstraße 32.
Arnold und Lotte Burk mit ihren Söhnen im Garten der Chrysanderstraße 32. © Bergedorfer Zeitung | Roland Inglis

Anfang der 1930er-Jahre gerät Rée zunehmend ins Kreuzfeuer antisemitischer Hetze, 1932 zieht sie sich nach Sylt zurück. Lotte Burk schreibt ihr weiter Postkarten und besucht die Malerin auf der Nordseeinsel. Ein Jahr später nimmt sich Anita Rée das Leben. Gretchen Wohlwill, ebenfalls Jüdin, flieht 1940 vor den Nazis nach Portugal. Ihre Schwester Sophie, eine Pianistin, die regelmäßig auf dem Flügel in der Chrysanderstraße 32 musizierte, bleibt in Deutschland und wird 1944 im KZ Theresienstadt ermordet.

Dieses Selbstbildnis von Anita Rée kann heute in der Hamburger Kunsthalle besichtigt werden.
Dieses Selbstbildnis von Anita Rée kann heute in der Hamburger Kunsthalle besichtigt werden. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges bekommt die Villa dann einen Bewohner von einem ganz anderen Schlag. Weil Arnold Burk die Benzinkosten für seinen Arbeitsweg ins Hamburger Marienkrankenhaus zu hoch sind, mietet die Familie eine Wohnung in Uhlenhorst und sucht gleichzeitig einen Mieter für ihr Anwesen in Bergedorf. Der neue Hausherr heißt Heinrich Haselmayer – Arzt, Schwiegersohn der Nachbarn und ein strammer Nazi.

Der Mediziner war schon 1923 am gescheiterten Hitler-Putsch in München beteiligt gewesen und hatte vor seinem Umzug nach Bergedorf im „Kampfbund deutsche Kultur“ Karriere gemacht, der den Kulturbetrieb im Sinne der Naziideologie umformen wollte. Bei seinem Umzug nach Bergedorf findet Haselmayer zum Glück keine Bilder der damals schon als entartet diffamierten Malerin Anita Rée vor. Familie Burk hatte die Kunst in ihre neue Wohnung mitgenommen und bewahrte die Werke so wohl vor der Vernichtung.

Nach dem Krieg versuchte Haselmayer, die FDP zu unterwandern

Als Haselmayer sich in Bergedorf als Arzt niederlässt, hatte seine Karriere im Nationalsozialismus bereits einen entscheidenden Knick erlitten. 1936 war er als Vortragsredner zu einer Veranstaltung einer NS-Auslandsorganisation in den damals noch freien Niederlanden eingeladen. Haselmayer erschien offensichtlich betrunken und hielt entgegen der Absprachen mit den niederländischen Behörden einen wirren Vortrag über die „Rassenlehre“ der Nazis.

In Bergedorf praktiziert Haselmayer in der Chrysanderstraße 32 auch als Arzt. Seine Dissertation hatte er 1932 eingereicht. Der Titel: „Über die Notwendigkeit der Sterilisation Schwachsinniger“. Nach dem Krieg gelingt es dem ehemaligen SA- und SS-Mitglied zunächst, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Er darf sogar weiter als Arzt arbeiten. Doch 1953 verhaften ihn britische Militärpolizisten in der Bergedorfer Villa. Heinrich Haselmayer ist Teil des sogenannten Naumann-Kreises, eine Gruppe von Altnazis, die versuchen, die FDP zu unterwandern.

Familie Burk sprach nicht über ihren rechtsradikalen Mieter

Danach zieht Familie Burk zurück in das Anwesen. „Sie wussten nicht, dass Haselmayer ein Erz-Nazi war“, sagt Roland Inglis. Über den rechtsradikalen Mieter sei in der Familie nicht gesprochen worden, sagt der Schwiegerenkel: „Es ist ein Beispiel für die schweigende Generation.“ Die Burks und ein Teil ihrer Kinder leben in den kommenden Dekaden in der Villa, ehe die Familie das Anwesen verkauft. „Es war einfach zu groß“, sagt Inglis. Wer das Haus im Schweizerstil kauft, ist bis heute nicht öffentlich. Im Dezember 2023 spricht die Bergedorfer FDP von chinesischen Investoren.

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Laut Roland Inglis hätten die neuen Käufer das Haus eigentlich abreißen wollen. Doch plötzlich stellten die Hamburger Behörden das Anwesen unter Denkmalschutz und durchkreuzten diese Pläne. Zur Zeit steht das marode Haus mal wieder zum Verkauf. Auf dem Portal immobilienscout24.de wird die Villa zum Verkauf angeboten – für 2,25 Millionen Euro. Geboten werden dafür sieben Zimmer und 281 Quadratmeter Wohnfläche. Ein stolzer Preis, um das stark sanierungsbedürftige Gebäude zu kaufen, aufwendig zu renovieren und nach den Plänen von Roland Inglis für die Öffentlichkeit bereitzustellen. Inglis hat deswegen Kontakt mit der Hamburger Politik und mehreren Stiftungen aufgenommen.

Experte Geerd Dahms macht Denkmalschutzamt schwere Vorwürfe

Auch Geerd Dahms macht sich große Sorgen um die Zukunft Villa. Er ist Mitglied der Bergedorfer Geschichtswerkstatt und Sachverständiger für Baudenkmäler. „Je mehr man über die Geschichte des Hauses weiß, desto wichtiger ist der Erhalt“, bestätigt er. Doch nach Meinung des Experten tickt die Uhr. „Es wird nicht beheizt, nicht belüftet. Ab einem bestimmten Punkt geht der Verfall dann sehr schnell“, schildert Dahms die Situation. Von außen könne man schon Risse im Haus erkennen. Dahms sieht das Hamburger Denkmalschutzamt in der Pflicht. „Die Behörden können Maßnahmen erzwingen.“

Die Fassade der Villa zeigt deutliche Verfallsspuren.
Die Fassade der Villa zeigt deutliche Verfallsspuren. © Bergedorfer Zeitung | Julian Willuhn

Das Denkmalschutzamt sieht den Zustand des Hauses auf Nachfrage der Bergedorfer Zeitung weniger kritisch. „Es ist aktuell nicht akut gefährdet“, sagt eine Sprecherin. Die rechtlichen Voraussetzungen für ein Eingreifen der Behörde seien daher momentan nicht gegeben. Das Amt stehe in regelmäßigem Kontakt zu den Eigentümern und habe sich mit diesen über die notwendigen Schritte zur Instandsetzung beraten. Tatsächlich reagiert auch die Hausverwaltung OZC auf eine Anfrage unserer Zeitung. Das Haus solle verkauft werden. Gleichzeitig würden jedoch Renovierungsmaßnahmen eingeleitet werden, um das Objekt „schnellstmöglich in einen bewohnbaren Zustand“ zu versetzen.

Zuletzt hatte das Bezirksamt Bergedorf auf den Beschluss der Politik aus dem Dezember hin Druck gemacht. Der Bezirk beruft sich auf das Hamburgische Wohnraumschutzgesetz. „Der Eigentümer hat bis ins dritte Quartal 2024 die Möglichkeit, Instandssetzungsmaßnahmen durchzuführen, um das Wohnhaus einer Wohnnutzung zuzuführen“, sagt Sprecher Lennart Hellmessen. Ansonsten kann der Bezirk Bußgelder verhängen.