Hamburg. Verfassungsschutz warnt: Scientology will Image mit Frontorganisationen verbessern. Was vermeintlich harmlose Hefte damit zu tun haben.
Ihr Design ist etwas angestaubt, der Inhalt sind vermeintlich generische Informationen zu legalen und illegalen Drogen, zu Sucht und Abhängigkeit. „Crack ist die stärkste Form von Kokain und auch die gefährlichste“, heißt es in einem der Heftchen des Vereins „Sag Nein zu Drogen“. Ein weiteres Exemplar warnt, dass auch einmaliger MDMA-Konsum bei Jugendlichen tödlich sein kann. Diese kleinen Broschüren liegen immer wieder in Bergedorfer Geschäften und gastronomischen Betrieben aus und sind nun ins Visier der Bezirkspolitik geraten. Denn der Verein hinter den Aufklärungsheftchen hat Verbindungen zu Scientology.
Grüne und Linke haben eine gemeinsame Anfrage ans Bezirksamt gestellt, auch die AfD hat sich des Themas angenommen. Der Verein „Sag Nein zu Drogen“ soll demnach immer wieder mit Infoständen in der Bergedorfer Innenstadt aktiv sein. Der Fragenkatalog von Grünen und Linken ist umfangreich: Wie oft war der Verein in den vergangenen Jahren in Bergedorf unterwegs? Werden Veranstalter von Sportevents oder Kinderfesten über die Hintergründe aufgeklärt? Und an wen können sich Betroffene wenden? Schließlich hat die Hamburger Innenbehörde ihre Arbeitsgruppe Scientology 2010 aufgelöst, seit 2018 gibt es auch keine Beratung beim Verfassungsschutz mehr.
Zusammenhang mit Scientology? Anti-Drogen-Broschüren besorgen Politik
Tatsächlich verschweigt der Verein nicht, dass es eine Verbindung zur Scientology-Organisation gibt. Wer auf der Website herumstöbert, muss allerdings ein wenig suchen. Doch im Impressum findet sich der Satz: „Der Verein Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben wurde in Deutschland im Jahr 2003 von Mitgliedern der Scientology Kirche gegründet.“ In den gedruckten Broschüren ist allerdings kein derartiger Hinweis zu finden. Dort wird nur Bezug zur amerikanischen „Foundation for a Drug-Free World“ mit Sitz in Los Angeles genommen.
Britta Pavlovic ist Sozialpädagogin und war früher selbst in der Beratungsstelle der Hansestadt Hamburg tätig. Sie findet die Anti-Drogen-Broschüren immer wieder im Bezirk. „Sie liegen teilweise auch in Bibliotheken und Bücherhallen aus“, erzählt sie der Bergedorfer Zeitung. Das Gedankengebäude von Scientology sei in den Broschürentexten selbst nicht zu sehen. Das präsentierte Wissen sei „auf dem Level eines Schulreferats“.
Pavlovics Einschätzung: Es geht nicht direkt darum, neue Mitglieder zu werben. „Mit diesen Kampagnen möchte Scientology an die gute Sache andocken“, so die Sozialpädagogin. Drogenabhängige würden außerdem als vulnerable Gruppe betrachtet werden, als Menschen, die auf der Suche nach dem nächsten Anker in ihrem Leben sind.
Verfassungsschutz warnte immer wieder vor der Kampagne
Der Hamburger Verfassungsschutz hatte in der Vergangenheit immer wieder in der Öffentlichkeit vor den Anti-Drogen-Kampagnen aus dem Umfeld von Scientology gewarnt. Aus Sicht der Behörde handelt es sich dabei um sogenannte Frontgroups der Organisation.
„Unter der Bezeichnung „soziale Hilfsprogramme“ getarnte Initiativen rücken gesellschaftlich relevante Themen wie „Drogenhilfe“, „Menschenrechte“ oder „Hilfe in Krisengebieten“ in den Fokus ihrer vermeintlichen Aufklärungsarbeit“, heißt es beim Verfassungsschutz. Über solche gesellschaftlich akzeptierten Themen sollen auch Kontakte zu demokratisch engagierten Gruppen aufgebaut werden.
Scientology bezeichnet Verein als „weltanschaulich neutral“
Der Hamburger Pressesprecher von Scientology bezeichnet „Sag Nein zu Drogen“ auf Nachfrage der Bergedorfer Zeitung als „weltanschaulich neutralen Verein mit humanitärer Zielsetzung“. Die verbreiteten Unterlagen würden nicht auf die Scientology-Kirche verweisen. Der Verein vermittle keinerlei Kontakte zu Scientology. Die Scientology-Organisation unterstütze den Verein allerdings ehrenamtlich. Während der Fußballeuropameisterschaft 2021 habe der Verein „Sag Nein zu Drogen“ mehrere Zehntausend Hefte in Hamburg verteilt, darunter auch in zirka zehn Geschäften in Bergedorf.
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Der Hamburger Verfassungsschutz schreibt in seinem Jahresbericht 2023, dass es das erklärte Ziel der Scientology-Organisation sei, eine „scientologische Gesellschaft zu errichten“. Diese erfülle Merkmale einer totalitären Organisation wie einen ideologischen Alleinvertretungsanspruch, rigider Dogmatismus und einen Führerkult. Die Ideologie von Scientology sei daher mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar.
Nach Ansicht des Verfassungsschutzes sollen in einer „scientologischen Gesellschaft“ nur die sogenannten „Clears“ Rechte genießen, also Menschen, die von allen geistigen Störungen befreit wurden. Diese Befreiung gelinge nur durch Techniken, die Scientology-Gründer Ron L. Hubbard entwickelt haben will.
Scientology weist Vorwürfe des Verfassungsschutzes zurück
Die Scientology-Organisation hat der Bergedorfer Politik eine Erklärung zur Verfügung gestellt. Die Organisation verweist darin auf die im Jahr 2008 verabschiedete „Grundsatzerklärung über Menschenrechte und Demokratie“. Demnach gehe Scientology unter anderem davon aus, dass alle Menschen „mit gleichen unveräußerlichen Rechten“ geschaffen wurden. Die Erreichung spiritueller Freiheit sei nur in einer Welt möglich, in der die Menschenrechte vollständig beachtet werden.
Die Organisation betont außerdem, dass dem Verfassungsschutzes des Saarlandes 2005 verboten wurde, die Organisation weiterhin zu beobachten. Bundesweit habe der Verfassungsschutz keinen Nachweis erbringen können, dass sich Scientology aktiv gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richte.