Hamburg. Anlagenbetreiber kritisiert Behörden. Potenzialflächen bieten Platz für höchstens vier neue Windräder in Bergedorf, meint Jens Heidorn.

„Alibiflächen“ nennt Windkraftanlagenbetreiber Jens Heidorn die jüngst vorgestellten Potenzialflächen in Bergedorf, auf denen der von der Bundesregierung geforderte Ausbau von Windenergie in Hamburg möglich sein soll. Heidorn geht davon aus, dass lediglich drei bis vier Anlagen in den neu auszuweisenden Flächen im Bezirk Bergedorf aufgestellt werden. „Mehr wird nicht möglich sein“, sagt der 61-Jährige. Denn die meisten Flächen seien für moderne, große Windkraftanlagen zu klein oder anderweitig ungeeignet.

Nur deutlich mehr als 150 Meter hohe Anlagen ließen sich wirtschaftlich betreiben, betont der Geschäftsführer der NET Windenergie GmbH in Bergedorf. Auch durch die geplante Vergrößerung der Eignungsgebiete Altengamme und Neuengamme – bisher gibt es dort Eignungsgebietsstreifen, zukünftig soll jeweils die gesamte Fläche ausgewiesen werden – können keine zusätzlichen Anlagen errichtet werden, da die Abstände der Windenergieanlagen untereinander viel zu klein wären, sagt Heidorn.

Windkraft Bergedorf: Anlagenbetreiber kritisiert Behörden

Auch Flächen, die die zuständigen Behörden – Umweltbehörde und Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) – jetzt im Blick haben, wie am Ochsenwerder Elbdeich, in Spadenland oder am Horster Damm, befinden sind nach Heidorns Ansicht „viel zu nah an Wohnbebauung“. Zwar gelte wie bei der Flächennutzungsplanänderung von 2014 nach wie vor ein Mindestabstand von 300 Metern zu Einzelhäusern und von 500 Metern zu Siedlungen, doch würden die Behörden neuerdings Siedlungen anders definieren, sagt Heidorn.

„Bisher galten auch für im Zusammenhang bebaute Deichstraßen dieselben Regelungen wie für klassische Siedlungen“, sagt der Experte. „Nun werden sie von den Planern in den Behörden wie Einzelhäuser betrachtet, darf mit Windrädern an dicht bebaute Deichstraßen bis zu 300 Meter rangegangen werden.“

Flächen sind zu nah an einer Wohnbebauung

„Unser gesetzlicher Auftrag ist es nicht, Windenergieanlagen aufzustellen, sondern potenzielle Flächen auszuweisen“, sagt dazu André Stark. „Wir stehen derzeit am Beginn eines längeren Verfahrens, in dem die gesetzlich vorgegebenen Abstandwerte ein erster Ausgangspunkt waren“, so der Pressesprecher der BSW. Das gesamte Verfahren sei längst noch nicht abgeschlossen.

Der in Bergedorf lebende Heidorn ist auch stellvertretender Vorsitzender des Hamburger Landesverbandes des Bundesverbandes WindEnergie e.V.: „Unser Verband ist gegen diese Vorgehensweise“, sagt er. Seiner Ansicht nach brauchen sich die Menschen an den Deichstraßen dennoch nicht sorgen: Denn Anlagen, die so dicht bei den Häusern stehen, dürfen maximal 150 Meter hoch sein – und solche Anlagen seien am Markt gar nicht mehr verfügbar, da ein wirtschaftlicher Betrieb unter den Rahmenbedingungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes nicht mehr möglich sei.

Stadtplanerin Ute Müller diskutierte bei einem Treffen mit Verbandsvertretern und Anlagenbetreibern

Die maximal vier neuen Windräder in Bergedorf können laut Heidorn in Ochsenwerder, nördlich des bestehenden Windparks am Ochsenwerder Landscheideweg, und in Curslack, südlich des Wasserwerkes, aufgestellt werden.

Windkraft
Jens Heidorn (61) aus Bergedorf, stellvertretender Vorsitzender des Hamburger Landesverbandes des Bundesverbandes WindEnergie e. V. und Geschäftsführer der NET Windenergie GmbH in Bergedorf, die seit 1991 Windkraftanlagen im Bezirk betreibt, kritisiert das Vorgehen der Behörden. © Thomas Heyen | Thomas Heyen

Bei einem Treffen von Mitgliedern des Clusters Erneuerbare Energien Hamburg (einem Zusammenschluss von mehr als 280 Unternehmen) und Heidorns WindEnergie-Landesverband im Hotel Hafen Hamburg stellte Stadtplanerin Ute Müller von der BSW den Fachleuten die Potenzialflächen vor. Heidorn diskutierte mit Ute Müller, Anne Jandke (Hamburger Energiewerke) und Yvonne Thurmann (Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft) anschließend über das Thema – und machte seinem Unmut Luft. Schließlich könne er nicht nachvollziehen, wieso nach zweijähriger Planung in den Behörden fast nur „Alibiflächen“ aufgetischt würden.

Insbesondere das Artenschutzrecht lasse wenig Spielraum

Ute Müller entgegnete, dass es eine gründliche und gewissenhafte fachrechtliche Betrachtung aller Flächen im Außenbereich hinsichtlich der Lärmimmissionen auf angrenzende Wohngebiete, Artenschutz und Flugsicherheit gegeben habe. Insbesondere das Artenschutzrecht lasse wenig Spielraum. Da für Windenergieanlagen zudem künftig keine Höhenbegrenzungen mehr gelten, stelle Repowering, also das Ersetzen alter Anlagen durch größere neue, eine gute Möglichkeit dar, die Energiemenge zu steigern.

„Die bereits repowerten Anlagen in den Vier- und Marschlanden sind aber erst wenige Jahre alt. Sie auszutauschen, lohnt sich frühestens in zehn, 15 Jahren“, sagt Heidorn, der sich wundert, dass dies sich scheinbar noch nicht bis zur BSW herumgesprochen hatte.

Laut Heidorn hätten alle Vorgaben mit nur einer Fläche umgesetzt werden können

Der Bergedorfer nutzte die Gelegenheit, um die Behördenvertreter auf eine große Fläche hinzuweisen, die sein Verband schon vor zwei Jahren vorgeschlagen hatte. „Die Fläche wurde aber aus naturschutzfachlichen Gründen ausgeschlossen“, so Heidorn. Ginge es nach dem Amt für Naturschutz, ärgert sich der Anlagenbetreiber, würde kein einziges neues Windrad in Bergedorf aufgestellt werden.

Bei der Fläche handelt es sich um mehr als 200 Hektar Grünland sowie von Landwirten intensiv bewirtschaftete Abschnitte südlich des bestehenden Altengammer Windparks. Auf der Fläche „hätte man einen Windpark bauen und die gesamten Vorgaben für Hamburg – zusammen mit den bereits vorhandenen Eignungsgebieten – umsetzen können“.

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Es stellt sich die Frage, wieso die Behörden größtenteils untaugliche Flächen vorschlagen und wo Hamburg tatsächlich neue Windkraftanlagen aufstellen will. Heidorn glaubt, dass die bei der geplanten Änderung des Flächennutzungsplans federführende BSW einem Irrglauben erliegt, was die Höhe der Anlagen betrifft. Im vergangenen Jahr hätte ein Betreiber noch den Bau einer 150-Meter-Anlage in Ochsenwerder beantragt und im März 2024 dafür die Genehmigung erhalten. Doch die nütze ihm nichts, weil sich das Ganze inzwischen bei der Größe nicht mehr rechnet.

„Diese recht aktuelle Genehmigung dürfte aber der Grund sein, warum man in der Behörde fälschlicherweise der Ansicht ist, dass es noch Unternehmen gibt, die 150-Meter-Anlagen aufstellen wollen“, so Heidorn. Nach der Sommerpause 2025 wollen die Behörden eine überarbeitete Planung vorstellen.